Flüchtlingsklassen:Mangelware Deutschlehrer

Andrang bei Sachsens Sprachschulen

Als Lehrer mit Flüchtlingen arbeiten, wäre das eine Option für mich? Für Seiteneinsteiger, die diese Frage bejahen, tun sich neue Möglichkeiten auf.

(Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Die Kultusminister suchen dringend nach Lehrern, die junge Migranten unterrichten. Dadurch entstehen neue Chancen für Absolventen des Studienfachs "Deutsch als Fremdsprache".

Von Sabine Grüneberg

Franziska Stahlmeier ist aufgeregt, die 36-Jährige wartet auf ihr Bewerbungsgespräch im Berliner Bezirk Charlottenburg, wo derzeit künftige Lehrer für Willkommensklassen gecastet werden. Stahlmeier ist Deutschlehrerin - allerdings für Deutsch als Fremdsprache (DaF). Das heißt: Sie unterrichtet nicht an einer staatlichen Schule, sondern an Volkshochschulen oder privaten Sprachschulen, die ausländischen Sprachschülern in Kursen von zwei bis acht Wochen die deutsche Sprache näherbringen. Durch die Flüchtlingskrise eröffnen sich Stahlmeier neue Möglichkeiten.

Knapp 100 000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter sind nach einer repräsentativen Studie im Jahr 2014 aus dem Ausland nach Deutschland zugewandert. "In 2015 kommen schätzungsweise noch einmal doppelt so viele hinzu", schätzt Professor Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Das in Köln ansässige Institut hat für die Studie gemeinsam mit dem Zentrum für LehrerInnenbildung an der Universität Köln erstmals einen bundesweiten Überblick über die schulische Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher recherchiert. Gegenüber 2006 hat sich die Zahl 2014 vervierfacht, und sie wächst weiter. "Diese Schnelligkeit stellt Schulen vor große Herausforderungen."

Der Philologenverband geht von 25 000 Lehrkräften aus, die man bräuchte, um die bereits in Deutschland befindlichen Flüchtlingskinder an Schulen zu betreuen und zu unterrichten - und von circa 10 000 Lehrern zusätzlich pro Jahr. Die Gewerkschaft Erziehung und Bildung spricht gar von 38 000 Erziehern und Lehrern, die für eine schnelle Integration durch Spracherwerb und Bildung vonnöten wären.

Geringe Anerkennung, schlechte Bezahlung: Als DaF-Lehrer zu arbeiten, war bislang hartes Brot

Menschen wie Stahlmeier, die wissen, wie man Schülern aus einem anderen Sprachkreis das "ch" und das "ck" beibringt. Oder wie man den Übergang von der arabischen Schrift in lateinische Buchstaben meistert und wie man Brücken baut zwischen bereits erworbener Sprache und dem Deutschlernen. Das Problem: DaF-Lehrer sind rar. Die gut 40 DaF/DaZ-Studiengänge (Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache) an deutschen Universitäten generieren nach Schätzungen des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweisprache (FaDaF) jährlich nur etwa 750 Absolventen, die danach im deutschen Inland unterrichten. Doch von diesen wandert nach Aussage des Vorsitzenden Matthias Jung "etwa ein Drittel nach zwei bis drei Jahren wieder ab und sucht sich andere Betätigungsfelder". Er wird fast ein bisschen ungehalten, wenn man ihn nach dem Grund dafür fragt: "Jahrelang führte DaF/DaZ ein Schattendasein, obwohl es offensichtlich ist, wie wichtig die sprachliche Erstintegration von Migranten für unsere Gesellschaft ist." Die Lehren aus den Gastarbeiterwellen der Sechzigerjahre und der Zuwanderung durch die Balkankriege seien in Vergessenheit geraten. "DaF-Lehrer arbeiten derzeit unter kaum zumutbaren Arbeitsbedingungen, ihre Perspektiven sind frustrierend, eine Anerkennung im öffentlichen Schuldienst ist nicht gegeben, weil es immer noch kein Staatsexamen für das Fach gibt." Jung wundert es nicht, dass viele Lehrer da das Handtuch werfen.

Auch Franziska Stahlmeier hat sich das schon überlegt. In manchen Monaten kommt sie kaum über den Hartz-IV-Satz. Sie schlägt sich seit Jahren mit Honorarverträgen durch, alles auf selbständiger Basis, Festanstellungen gibt es kaum. Ihr Stundenlohn: 15 Euro im Durchschnitt. Also maximal 1500 Euro pro Monat bei einer Vollzeitstelle. Vor Steuern. Ohne Beitrag zur Krankenkasse. Ohne Fortzahlung im Krankheitsfall. Ohne Garantie auf Weiterbeschäftigung, wenn der Kurs endet. Ohne Urlaub und ohne Rentenversicherung, die kann sie sich nicht leisten. "Dabei hab' ich vier Jahre studiert", sagt sie kopfschüttelnd. "Hätte ich gewusst, wie prekär die Situation für DaF-Lehrer hinterher ist, hätte ich mich auf ein anderes Fach konzentriert. Wenn die Arbeit mit den Schülern nicht so viel Spaß machen würde, wäre es gescheiter, mich arbeitslos zu melden."

Doch nun soll sich ja alles ändern. Allein Berlin hat seit Beginn des Schuljahres im September mehr als 100 Willkommensklassen für Flüchtlingskinder eingerichtet und dafür 95 neue Lehrer eingestellt - immer noch zu wenig für die im August prognostizierten 3000 Kinder und Jugendlichen. Mittlerweile ist diese Zahl längst wieder überholt, der Senat geht jetzt von circa doppelt so vielen Kindern und Jugendlichen aus, die in Willkommensklassen untergebracht werden müssen. Diese Klassen besuchen die Migranten, um Deutsch zu lernen, einige Monate bis zu eineinhalb Jahren - je nach persönlichem Fortschritt. Anschließend wechseln sie in Regelklassen. Am häufigsten werden solche Einführungsklassen an Grundschulen eingerichtet, aber auch an einigen Gymnasien.

Für Flüchtlingsklassen können sich neben DaF-/DaZ-Lehrern nun auch Anwärter mit einem Diplom-, Magister- oder Masterstudium bewerben, auch Fachhochschulabschlüsse sind zugelassen. Und sogar Lehrer, die keine Muttersprachler sind, aber sehr gut Deutsch sprechen. "Die Qualität darf dabei natürlich nicht leiden", erklärt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Ihre Not ist groß, denn Scheeres will ihrem Anspruch gerecht werden, dass jedes Kind von Anfang an sein Recht auf Bildung wahrnehmen kann.

Während in anderen Bundesländern die Schulpflicht für Flüchtlingskinder hinausgezögert wird und erst nach drei beziehungsweise sechs Monaten einsetzt oder gar an die Erteilung des Aufenthaltsrechts gebunden ist, was derzeit dauern kann, gilt in Berlin und dem Saarland die gesetzliche Schulpflicht für alle Flüchtlingskinder von Anfang an. Doch auch die anderen Länder wissen: Den Kopf in den Sand stecken hilft nicht. Bald schon werden die neu zugewanderten Kinder in die Schulen drängen. Hessen bildet deshalb seit Anfang des Schuljahres 120 Lehrer in DaF/DaZ weiter, Nordrhein-Westfalen hat 300 zusätzliche Stellen geschaffen, Bayern holt pensionierte Lehrer aus dem Ruhestand und qualifiziert nach. Angesichts der genannten Zahlen an benötigten Lehrkräften wird das kaum reichen.

"Die Schwierigkeit liegt nicht nur darin, genügend Lehrer zu finden, sondern auch darin, genügend geeignete DaF-/DaZ-Fortbilder zur Verfügung zu stellen", erklärt Michael Becker-Mrotzek vom Mercator-Institut. "Wir wissen aus vielen Forschungen, dass die Lernleistung der Schüler eng mit der Ausbildungsqualität der Lehrer zusammenhängt."

Mindeststandards für den Schulbesuch junger Flüchtlinge sind noch Wunschdenken

Lehrer aus Regelklassen oder Seiteneinsteiger mal eben nachzuqualifizieren, hält Becker-Mrotzek aus pädagogischer Sicht für höchst problematisch, "vor allem bei dieser Zielgruppe". Es ist eben ein Unterschied, ob man deutsche Kinder unterrichtet, die in Friedenszeiten aufgewachsen sind, oder Kinder aus Syrien, die einen Vormittag lang nicht unter dem Tisch hervorkommen, weil draußen ein Flugzeug geflogen ist, Kinder, die womöglich gar nichts sagen oder still vor sich hinweinen. Mrotzek sieht den Handlungsdruck, hat aber auch den Eindruck: Statt langfristiger Konzepte und gemeinsamer Verfahren seien die Landesregierungen momentan nur damit beschäftigt, Willkommensklassen einzurichten. "Das Thema ist kein Projekt für eine Taskforce auf Zeit, sondern eine langfristige Aufgabe. Migrationsbewegungen, wie wir sie gerade erleben, sind ein wiederkehrendes Phänomen. Gerade deshalb sollten auch Mindeststandards für den Schulbesuch neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher gelten."

Der Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache bemängelt, dass Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache bisher nur in Nordrhein-Westfalen verpflichtend Teil des regulären Lehramtsstudiums ist. Nur etwa die Hälfte der angehenden Deutschlehrer erhält einen Einblick in die Thematik. Bei allen anderen Unterrichtsfächern, darunter Mathematik, sind es lediglich gut 40 Prozent der angehenden Pädagogen. Dabei ist es sehr sinnvoll, Mathelehrer für die Arbeit mit Flüchtlingen zu sensibilisieren. Denn Probleme im Fach Mathematik, etwa mit Textaufgaben, müssen nicht bedeuten, dass die Schüler mit dem Rechnen an sich Probleme haben.

Becker-Mrotzek empfiehlt den Bundesländern eine konkrete Verankerung in der Lehramtsausbildung. Außerdem Regelungen zur Größe der Klassen, zur Erfassung der Kenntnisse der Schüler und zu deren Übergang in Regelklassen. In vielen Bundesländern werde noch nicht einmal systematisch erhoben, wie viele neu zugewanderte Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse tatsächlich an den Schulen sind. Das macht Planbarkeit schwierig. Auch FaDaF-Chef Matthias Jung ist von Euphorie weit entfernt: "Crashkurse von zweifelhafter Qualität, fehlende Standards und Zeitverträge sind keine Perspektive. Wir müssen in Modellen denken, die Hand und Fuß haben."

Franziska Stahlmeier wünscht sich eine Festanstellung und vielleicht sogar eine Verbeamtung - das wäre ein Traum nach fast zehnjähriger Berufserfahrung. Leider war sie an diesem Tag nicht eine der drei Glücklichen, die die Schulleiter in Berlin-Charlottenburg auswählten. Aber sie kommt wie alle Bewerber auf eine Prioritätenliste, so Schulrätin Karin Babbe, und wird angeschrieben, sobald neue Lerngruppen eröffnet werden. Und das wird schon sehr bald sein.

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