Flexible Arbeitswelt:Preis der Freiheit

Keine Büros, keine festen Arbeitszeiten, Urlaub so viel, man will. Klingt toll? Nicht immer: Für Mitarbeiter ist die flexible Arbeitswelt eine Herausforderung.

Kommentar von Alexandra Borchardt

Die Sache mit der Freiheit ist die: Jeder, der sich eingesperrt fühlt, glaubt, er könne gar nicht genug von ihr bekommen. Doch so mancher, der dann in sie entlassen wird, verliert seinen Halt. Dies geht Menschen so, denen ihre Arbeit genommen wird, die sich auf den Ruhestand nicht vorbereitet haben oder deren Welt nach dem Auszug der Kinder plötzlich so still geworden ist.

Ähnlich kann das mit der Freiheit am Arbeitsplatz sein. Heute meckert man noch über die bevormundende Chefin, den besserwisserischen Kollegen, die lärmende Lüftung im Büro. Dann schafft der Arbeitgeber all das ab: Anwesenheitspflicht, feste Büros, den eigenen Schreibtisch. So, wie es zum Beispiel Microsoft in seiner neuen Deutschland-Zentrale in München tut. Und plötzlich muss man erst einmal umgehen mit der Aufgabe, seinen Platz in der Firma, seinen Rhythmus zu finden. Die einen empfinden das als Paradies, die anderen als große Leere.

Firmen wie Microsoft tun dies nicht nur, um Bürokosten zu sparen. Einerseits meinen sie es gut mit ihren Angestellten. Wer flexibel arbeitet, kann seine Kinder öfter wach sehen und im Winter bei Tageslicht laufen gehen. Mails beantworten und Projekte kalkulieren kann man schließlich auch nachts - zumal man da in Weltfirmen sowieso manchmal an den Computer muss, weil mit den Kollegen in der anderen Zeitzone zu reden ist.

Andererseits meinen es die Firmen auch gut mit sich selbst: Wer keinen festen Schreibtisch im Büro hat, kommt hoffentlich mit vielen unterschiedlichen Kollegen ins Gespräch, woraus sich neue Ideen und Impulse ergeben können, so die Hoffnung. Außerdem verlangt gerade die jüngere, gut ausgebildete Generation nach Flexibilität. Vor allem Firmen, die besonders auf Kreativität und Erfindungsgeist angewiesen sind, brauchen Bewerbern gar nicht mehr kommen mit dem Neun-bis-Fünf-Job. Moderne Arbeitswelten sollen kluge Köpfe anziehen. Wenngleich die Büro-Forschung mittlerweile bezweifelt, dass die große Transparenz im Arbeitsalltag produktiver macht. Die Harvard Business Review hat dem Thema jüngst eine ganze Ausgabe gewidmet, Titel: "Why we hate our offices". Tenor: Rückzugsmöglichkeiten sind wichtig.

Wer keinen festen Platz im Büro hat, wird austauschbar

Das Modell Microsoft ist aber viel mehr als ein Raum- und Zeitkonzept. Es ist ein Sinnbild für die Arbeitswelt der Zukunft. Und von der wird jeder für sich entscheiden müssen, ob er sie zum Atmen braucht, oder ob er sie gerade noch so ertragen kann. Denn es wird sie nicht mehr häufig geben, die lebenslange Heimat in einer Firma, einem Zweierbüro oder auch nur einem Geschäftsmodell. Digitalisierung und Internationalisierung, Arbeit in teamübergreifenden Projekten zwingen viele Mitarbeiter heute schon dazu, sich den Bedürfnissen ihrer getriebenen Unternehmen anzupassen und stärker als je zuvor Regisseure ihres eigenen Lebens zu werden. Schließlich ist es wahrscheinlich, dass einem der Chef irgendwann einmal sagt: "Danke, war schön mit Ihnen." Das Leben muss weitergehen. Wohl dem, der dann eins hat.

Darauf wird es in der Arbeitswelt der Zukunft besonders ankommen: sich ein erfüllendes Leben außerhalb der Bürowände aufzubauen. Gemeinschaften zu pflegen, die Halt geben, wenn das der Arbeitgeber versäumt. Und auch das wird extrem wichtig: Grenzen zu ziehen, wenn sie nicht mehr von außen gesetzt werden. Der amerikanische Management-Professor Stewart Friedman beschreibt in seinem neuen Buch "Leading The Life You Want", wie wichtig ein Gerüst an Werten und die Kenntnis der eigenen Bedürfnisse werden in einer Geschäftswelt, die sich den kompletten Menschen einverleibt, wenn man sie denn lässt.

Führungskräfte können ihren Mitarbeitern beim Ziehen dieser Grenzen helfen. Aber dazu müssen sie mehr von ihnen kennen als den elektronischen Output, der sich bei einem Fern-Arbeitsplatz leicht messen lässt. Und sie müssen es wollen. Nicht nur das Ergebnis, auch der Mensch muss zählen. Die neue Arbeitswelt kann warm und funkelnd sein in ihren Möglichkeiten, der Freiheit, dem Platz für Ideen und persönliche Entfaltung. Sie kann aber auch kalt und unbarmherzig sein, wenn jemand nicht funktioniert. Die Symbolik trägt: Wer keinen festen Platz im Büro hat, wird dort nicht vermisst. Er wird austauschbar, zu einem Modul wie der Rollcontainer. Wer gute Mitarbeiter halten möchte, muss dafür sorgen, dass dieses Gefühl nicht entsteht.

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