Fernbeziehung und Karriere:Arbeiten statt glücklich sein

Jung, frei, flexibel müssen Berufsanfänger sein, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn der Job die Bedingungen für das Privatleben diktiert, bleibt die Beziehung bei vielen auf der Strecke.

Julia Bönisch

Glücklich, wer Traumpartner und Traumjob gefunden hat. Schade, wenn beide in verschiedenen Städten Hunderte Kilometer voneinander entfernt liegen: Immer mehr Menschen müssen für ihre Karriere und den Beruf eine Fernbeziehung in Kauf nehmen.

wartende Frau am Bahnhof, iStock

Wochenend-Ausklang auf dem Bahnsteig: Der Sonntagabend ist für Fernbeziehungs-Paare der traurigste Tag der Woche.

(Foto: Foto: iStock)

Experten gehen davon aus, dass mittlerweile jede sechste bis siebte Beziehung in Deutschland eine Liebe auf Distanz ist. Ein Viertel aller Akademiker ist im Laufe ihres Lebens gezwungen, einige Jahre vom Partner getrennt zu leben und zu arbeiten. Eine ganze Generation arbeitet in dem Bewusstsein, dass der Job die Bedingungen für ihr Privatleben diktiert und akzeptiert für die berufliche Selbstverwirklichung Nachteile.

Abendliche Telefonate gegen die Sehnsucht

Wenn der Arbeitsmarkt Mobilität und Flexibilität verlangt und die Alternative Arbeitslosigkeit heißt, bleibt vielen Arbeitnehmern gar nichts anderes übrig, als sich auf die Liebe auf Distanz einzulassen. Katharina Kellners Freund etwa hatte die Wahl zwischen äußerst schlechten Berufsaussichten in Deutschland oder einem guten Posten in den USA. Jetzt sieht sich das Pärchen nur noch drei Mal im Jahr, die langen Durststrecken müssen abendliche Telefonate überbrücken. "Wenn jemand hart und viel arbeitet, um etwas zu erreichen", sagt die 29-Jährige, "kann man nicht einfach von ihm verlangen, für eine Beziehung dieses Ziel aufzugeben. Deshalb habe ich die Entscheidung meines Freundes, aus Deutschland wegzugehen, akzeptiert."

Unfreiwillig Fernliebende wie Katharina sind mit Abstand die größte Gruppe unter den Betroffenen, doch es gibt auch Menschen, die dieses Schicksal freiwillig wählen. Wer etwa als Traumberuf "Pilot" angibt, darf nicht damit rechnen, jeden Abend zu Hause bei der Familie zu verbringen. Gleiches gilt für Manager und Politiker.

Fernliebende sind Kommunikationsprofis

Dann gibt es noch die Gruppe derjenigen, die zwar eine alltägliche Beziehung führen könnten, aber gar nicht wollen. Sie schätzen ihre Unabhängigkeit und Freiheit und wollen auf absehbare Zeit Beruf und Beziehung nicht an einem Ort vereinen. So kombinieren sie die Vorteile des Single-Daseins mit denen eines Paares.

Auch Katharina Kellner führt sich diese Vorteile immer wieder vor Augen, damit sie mit der Fernbeziehung besser umgehen kann. "Ich versuche, aus der Not eine Tugend zu machen: Ich bin selbständig, kann mich auf meinen Beruf konzentrieren und muss in vielen Dingen keine Rücksicht nehmen. Trotzdem fühle ich mich meistens nicht allein, weil ich ja einen Partner habe."

Solch einen pragmatischen Umgang mit dem Thema empfiehlt auch Peter Wendl. Der Kommunikationstrainer und Autor des Ratgebers "Gelingende Fern-Beziehung" glaubt, dass Fernliebende gerade für den Job Kompetenzen mitbringen, die jeder Personaler zu schätzen weiß. Fernbeziehungspaaren sei es etwa nicht möglich, nebeneinander her zu leben. Entweder redet das Paar am Telefon, oder die Beziehung ist vorbei. "Deshalb trainieren Fernliebende ihre Fähigkeit zur Kommunikation. Sie können sich gut mitteilen und zuhören", sagt Wendl, der an der Universität Eichstätt-Ingolstadt zum Thema "Mobilität und Partnerschaft" forscht. "Sie müssen außerdem Vertrauen in den Partner haben, selbst verlässlich sein - und trotzdem alleine ihren Mann stehen können."

Auf der nächsten Seite: Überstunden, Nachtarbeit, wenig Verpflichtungen - warum Personaler Fernliebende schätzen.

Arbeiten statt glücklich sein

Persönliche Misere wird zum Pluspunkt bei der Jobsuche

In einer Stellenanzeige klingen solche Anforderungen dann so: "teamfähig, durchsetzungsstark, flexibel, belastbar auch in Ausnahmesituationen". Auch andere Führungsqualitäten trainieren Betroffene in ihrer Fernbeziehung: Prioritäten setzen, Wichtiges vom Unwichtigen treffen, Konflikte bewältigen statt aussitzen. "Menschen mit einer Fernbeziehung sind wacher für Strömungen und können schneller Stimmungen erfassen", bestätigt Wendl.

Deshalb, so Wendl, sollen Betroffene im Job ruhig offensiv mit dem Thema umgehen. "Die Frage nach der Mobilität eines Bewerbers gehört heute zum Standardrepertoire jedes Personalers. Hier sollte man sofort sagen, dass man aufgrund einer Fernbeziehung besonders flexibel ist."

So wird die persönliche Misere plötzlich zum Pluspunkt bei der Jobsuche. Wer eine Fernbeziehung führt, leistet eher Überstunden, auch die Erfüllung eines Kinderwunsches ist unrealistisch. "Ein Fernliebender steht der Firma im Gegensatz zu anderen fast rund um die Uhr zur Verfügung. So jemand geht abends nicht gern in sein Appartment", bestätigt Astrid Habeder-Preuß, Personalberaterin bei Dr. Heimeier & Partner. Zeige der Arbeitgeber Entgegenkommen, könne man unter Umständen besondere Fernbeziehungs-Deals aushandeln: Unter der Woche ist der Mitarbeiter bereit zu Überstunden, kann dafür aber Freitagmittag pünktlich ins Flugzeug steigen.

Falsche Prioritäten?

Katharina Kellner hat ihre Fernbeziehung im Vorstellungsgespräch trotzdem verschwiegen. Sie fand, ihr Privatleben gehe niemanden etwas an. "Aber natürlich haben die Personaler mit ihrer Sichtweise nicht unrecht", sagt sie. "Würde zu Hause jemand auf mich warten, würde ich öfter pünktlich gehen."

Die 29-Jährige hofft, dass sie und ihr Freund bald wieder näher zueinander ziehen. Ihre Erfahrungen mit der Fernbeziehung haben dazu geführt, dass sie nun Prioritäten überdenkt. "Ich frage mich oft, warum wir unser Leben so organisieren, dass das private Glück unwichtiger ist als der Beruf. Eine Antwort darauf habe ich leider noch nicht gefunden."

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