Falsche Bewerber:"Bildhübsche dynamische Anwältin gesucht"

Abzocker machen sich das Gesetz gegen Diskriminierung zunutze: Sie fahnden nach Fehler in Stellenanzeigen - und klagen Tausende Euro ein.

Julia Bönisch

Der Stellenmarkt einer Tageszeitung kann eine lukrative Sache sein - nicht nur für jemanden, der einen Job sucht, sondern auch für Leute, die eigentlich gar keinen wollen. So wie für den über 50-jährigen Herren, der sich bei einem jungen Pärchen als "Tagesmutter" für ihre zweijährige Tochter bewarb.

Stellenanzeige, dpa

Stellenanzeige: Von einer Stellenanzeige, in der ein neuer Mitarbeiter für ein "junges, dynamisches Team" gesucht wird, raten Experten ab.

(Foto: Foto: dpa)

Da der Mann nicht nur keinerlei Erfahrung in der Kinderbetreuung, sondern offenbar auch ein Alkoholproblem hatte, lehnten die Eltern den Bewerber ab. Der zog daraufhin vor Gericht, verklagte das Paar wegen Diskriminierung und bezog sich dabei auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Die Anzeige habe sich offensichtlich ausschließlich an Frauen gerichtet. Er habe nur deshalb eine Absage bekommen, weil er ein Mann sei.

Der Kandidat, so befand das zuständige Arbeitsgericht, sei statt auf den Job nur auf eine Entschädigung ausgewesen und verlor. Doch da vor dem Arbeitsgericht in der ersten Instanz unabhängig vom Verfahrensausgang jede Partei selbst zahlen muss, blieben die Eltern auf den Anwaltskosten sitzen.

Als AGG-Hopper enttarnt

Ähnlich dreist ist auch der Fall des Bewerbers, der auf Stellenausschreibungen grundsätzlich nur ein Anschreiben mit äußerst wenig Text schickt, dafür aber ein umso größeres Foto beilegt - auf dem deutlich zu erkennen ist, dass er keine 30 mehr ist. "Bei Interesse", so der lapidare Hinweis an die Unternehmen, "lasse ich Ihnen weitere Unterlagen zukommen."

Schickt eine Firma die unvollständigen Unterlagen inklusive Absage zurück, zieht der Kandidat vor Gericht. Seine Begründung: Altersdiskriminierung. Da die Firma keine weitergehenden Informationen über ihn besäße, könne er nur wegen seines Alters abgelehnt worden sein.

Der Mann hat mittlerweile an verschiedenen Arbeitsgerichten 15 Verfahren angestrengt. Dass seine Masche aufflog und er als Scheinbewerber oder sogenannter AGG-Hopper enttarnt wurde, ist dem "Archiv zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz" der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz und dem Juristen Jan Kern zu verdanken.

Üppige Entschädigungszahlung

Der Doktorand an der Universität Trier hat seine Dissertation über AGG-Missbrauch geschrieben und darin Fälle dokumentiert, in denen Bewerber nicht auf einen Job aus sind, sondern auf eine üppige Entschädigungszahlung. Denn liegt tatsächlich eine Diskriminierung vor, erhält der Betroffene laut AGG zwischen einem und drei Monatsgehältern Schadenersatz.

Für seine Promotion mit dem Titel "Die gewollt diskriminierende Nichteinstellung" befragte Jan Kern alle 120 deutschen Arbeitsgerichte und wertete das AGG-Archiv aus. Darin sind alle der Kanzlei bekannten Fälle von AGG-Missbrauch gespeichert. Unternehmen, die befürchten, auf einen AGG-Hopper gestoßen zu sein, können sich beim Archiv erkundigen, ob die Person dort registriert ist. Um sicherzugehen, keine Unschuldigen anzuschwärzen, teilt es erst bei der dritten Anfrage zum gleichen Bewerber mit, dass sich sein Name in der Datenbank befindet.

Mittlerweile sind 600 Verfahren und über 250 Personen gespeichert. "Es gibt in Deutschland einen kleinen Kreis von etwa 40 Personen, die das AGG-Hopping regelrecht zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben", schätzt Jan Kern. Zwar sei die nach der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes befürchtete Klagewelle ausgeblieben und Missbrauch keine Massenerscheinung. "Doch die einzelnen Fälle bringen all jene Bewerber in Verruf, die sich tatsächlich diskriminiert fühlen und deshalb vor Gericht ziehen." Darüber hinaus seien vor allem Firmen betroffen, die sich nur schlecht wehren können.

Auf der nächsten Seite: Warum Konzerne oder große Unternehmen nur selten von AGG-Hoppern verklagt werden - aber Privatleute zahlen müssen.

"Bildhübsche dynamische Anwältin gesucht"

Keine Gründe in der Absage

Denn Konzerne oder große Unternehmen werden nur selten von AGG-Hoppern verklagt. Dort formulieren Personalabteilungen Stellenanzeigen und lassen sie im Zweifel von der eigenen Rechtsabteilung prüfen. "Unsere Kunden sind bisher von solchen Klagen verschont geblieben", bestätigt Jens Plinke, Senior-Berater bei der Kienbaum-Tochter Terra Personalmarketing. "Sie verzichten aber auch bewusst auf Formulierungen, die ihnen Ärger einbringen könnten."

Von einer Stellenanzeige, in der ein neuer Mitarbeiter für ein "junges, dynamisches Team" gesucht werde, könne er nur abraten, denn hier könnten Böswillige Altersdiskriminierung vermuten. "In Absagen verzichten Firmen zudem häufig auf die Angabe von Gründen. Das ist nicht sehr serviceorientiert, aber damit stehen sie auf jeden Fall auf der sicheren Seite."

Kinderbetreuung statt Tagesmutter

Betroffen sind viel häufiger Mittelständler und Privatpersonen: Wer etwa eine Zugeh- oder Kinderfrau sucht, einen Geschäftsführer ab 50 oder eine Kellnerin, ist für AGG-Hopper ein dankbares Opfer. Die durchkämmen die Stellenteile der Tageszeitungen systematisch und reagieren prompt auf solche Patzer. "Statt nach einer 'Tagesmutter' sollte man lieber ganz neutral nach 'Kinderbetreuung' suchen", rät Jan Kern. Ebenso solle es "Reinigungspersonal" statt "Putzfrau" heißen oder "Bedienung" statt "Serviererin".

Trotz der Missbrauchsfälle hält Kern das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Prinzip für gelungen - eigentlich. "Das AGG trägt dazu bei, dass Unternehmen sensibler mit dem Thema Diskriminierung umgehen", sagt er. Doch ein Patentrezept sei es nicht. Firmen, die diskriminieren, täten das heute einfach nur versteckter: "Wo es früher vielleicht noch ganz offen hieß, 'Für die Stelle sind Frauen nicht geeignet', denkt man das immer noch - man sagt es nur nicht mehr."

Das weiß offenbar auch die Frankfurter Kanzlei Greenfort. Die Anwälte machten sich mit folgender Stellenanzeige auf Personalsuche: "Bildhübsche dynamische Anwältinnen zwischen 25 und 35 Jahren mit deutlich zweistelligen Examina und akzentfreiem Englisch gesucht." Bebildert war der Text mit einer langhaarigen Dame, die sich auf dem Boden räkelte. Unter ihr, allerdings klein gedruckt: "Wie viele Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz würde ein solcher Anzeigentext enthalten? Wer es weiß, sollte sich bei uns als Rechtsanwalt (m/w) im Arbeitsrecht bewerben."

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