Fachanwältin:Bitte ohne Klassenkampf

Fachanwältin: Caroline Hinds ist promovierte Fachanwältin für Arbeitsrecht mit Kanzlei in Berlin.

Caroline Hinds ist promovierte Fachanwältin für Arbeitsrecht mit Kanzlei in Berlin.

(Foto: Urbschat)

Im Vertrauenskreis: Wie Mitbestimmung in anthroposophisch orientierten Betrieben funktioniert.

Interview von Sigrid Rautenberg

Caroline Hinds ist Fachanwältin für Arbeitsrecht in Berlin. Zu ihren Mandanten zählen viele anthroposophische Firmen.

SZ: Haben Angestellte anthroposophischer Betriebe andere Arbeitsverträge?

Caroline Hinds: Nein, es werden ganz normale Arbeitsverträge geschlossen.

Wie sieht es bei der Bezahlung aus?

Oft existieren eigene Einkommensordnungen. Dabei ist folgendes Modell verbreitet: Jeder erhält zunächst ein Grundeinkommen. Das entspricht einem Mindesteinkommen, das man als Single zum Leben benötigt. Darüber hinaus gibt es einen Sozialzuschlag, der sich an der Zahl der Kinder oder anderer Unterhaltsberechtigter orientiert, sowie den Funktionszuschlag, der die besondere Verantwortung der jeweiligen Position honoriert. Die unteren Tarifgruppen werden regelmäßig besser vergütet, die oberen hingegen schlechter. Im Ergebnis fahren Mitarbeiter mit Familie meist besser, Singles in Führungspositionen sind hingegen die Verlierer.

Gibt es eine Bindung an Tarifverträge?

Häufig werden Tarifverträge zumindest indirekt angewandt: Manche Einkommensordnungen bestimmen lediglich, in welche Tarifgruppe der Mitarbeiter eingeordnet wird. Dann wird im Arbeitsvertrag direkt auf den Tarifvertrag verwiesen. Wenn die Betriebe eigene Regelungen zur Vergütung haben, orientiert man sich an den Einkommensgruppen des jeweiligen Tarifvertrags. Die Vergütung wird jedoch modifiziert, weil man auch soziale Faktoren berücksichtigen möchte.

Wie funktioniert die betriebliche Mitbestimmung?

Manche Firmen haben Betriebsräte. Daneben gibt es eine anthroposophische Tradition der Mitbestimmung, die seit 1920 praktiziert wird: den sogenannten Vertrauenskreis. Das ist ein freiwilliges Gremium, das für die typischen Betriebsratsaufgaben zuständig ist: Arbeitszeiten, soziale Einrichtungen, Eingruppierungen. Außerdem gibt es meistens einen Einkommenskreis, der das Vergütungsniveau verhandelt. In manchen Firmen sind die Vertrauenskreismitglieder einem Betriebsrat so weit gleichgestellt, dass ihnen derselbe Kündigungsschutz gewährt wird. Formell hat der Vertrauenskreis allerdings nicht dieselbe Handhabe wie ein Betriebsrat.

Was sind häufige Streitpunkte?

Nach meiner Erfahrung dieselben wie in anderen Betrieben: Einführung von neuen Arbeitszeitmodellen, Einordnung der Mitarbeiter in Vergütungsgruppen, soziale Einrichtungen oder die Frage, ob die Kantine Bioessen anbieten muss.

Wie laufen die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und -nehmer ab?

Ähnlich wie in anderen Firmen mit gutem Betriebsklima - konstruktiv, aber leidenschaftlich. Allerdings sind die Vertrauenskreise nach meiner Erfahrung nie von den Gewerkschaften dominiert, selbst wenn deren Mitglieder gewerkschaftlich organisiert sind. Also kein Klassenkampf, sondern eine aufs Wohl des Betriebs und seiner Mitarbeiter ausgerichtete Diskussion.

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