Existenzgründung:AG ohne Grenzen

Mit der Ich-AG können sich Arbeitslose auch als Schriftsteller oder Sänger selbstständig machen.

Nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit hat Rainer Huxhage einen Schlussstrich gezogen. "Bevor ich als Hilfsarbeiter ende, wollte ich noch mal versuchen, meinen Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, an dem ich auch Spaß habe", sagt der 42-jährige Bielefelder. Er ging zum Arbeitsamt und gründete eine "Ich-AG". Aus dem beschäftigungslosen Schriftsetzer wurde ein hauptberuflicher Schriftsteller. Um in diesem Metier Fuß zu fassen, zahlt ihm das Arbeitsamt einen Zuschuss: 600 Euro pro Monat im ersten Jahr, 360 Euro im zweiten und 240 Euro im dritten Jahr.

Was das Schreiben angeht, fängt der begeisterte Bücher- und Literatur-Freund Huxhage nicht bei Null an. Bereits vor Jahren brachte er einen 348 Seiten dicken Fantasy-Roman zu Papier. "Yelgar - der Zug der Völker" heißt das Werk, in dem es um eine mittelalterliche Geschichte auf einem fiktiven Kontinent geht.

Huxhage plant noch zwei weitere Bücher - "Yelgar" soll zur Trilogie werden. Einen Verlag hat er inzwischen gefunden: Der "Machtwortverlag" aus Dessau will die "Yelgar"-Bücher drucken. Auf dem Markt ist seit Anfang Juni Huxhages Kinderbuch mit dem Titel "Lena und der blaue Drache", das auch im "Machtwortverlag" erschien.

Auch Larissa Strogoff aus dem Münsterland hat sich als Künstlerin mit einer "Ich-AG" selbstständig gemacht. Im vergangenen Jahr hatte sie ihr Examen als Ergo-Therapeutin bestanden, stand danach aber ohne Job da. Da sie seit fast 20 Jahren russische Volkslieder in einem Balalaika-Ensemble singt, kam ihr die Idee, sich als Schlager- und Chanson-Sängerin zu behaupten. Im Herbst soll ihre erste Solo- Platte erscheinen.

"Schriftsteller oder Sängerin - das sind in der Tat ungewöhnliche Existenzgründungen", sagt Regina Kerwien vom Landesarbeitsamt in Düsseldorf. Ursprünglich sei das "Ich-AG"-Modell vom Gesetzgeber als Förderung für Tätigkeiten im haushaltsnahen Bereich gedacht gewesen: "Für Laubkehrer, Reinigungskräfte oder Babysitter - also Bereiche, in denen es auch viel Schattenwirtschaft gibt", erläutert Kerwien.

Nach den ersten sechs Monaten hätten aber auch die Arbeitsämter gemerkt, dass der Fantasie offenbar keine Grenzen gesetzt sind.

Grundsätzlich gelte: Wer eine "Ich-AG" gründen wolle, könne das auch tun, betont Kerwien. Die Hürden seien bewusst niedrig gehalten, Gutachten oder Rentabilitätsvorschauen nicht erforderlich. "Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die eine Ich-AG gründen wollen, sich schon lange mit einer Existenz als Selbstständiger auseinander gesetzt haben und die Risiken eines solchen Schrittes kennen." Das Modell boomt: Seit Januar seien auf diese Weise in Nordrhein- Westfalen 4000 Existenzgründungen gefördert worden.

Allerdings wollen die Arbeitsämter nach einem Jahr wissen, ob die Existenzgründung erfolgreich war. "Die Arbeitseinkünfte müssen offen gelegt werden, eine Gewinn- und Verlust-Rechnung muss vorhanden sein und der Steuerbescheid des Finanzamts auch", sagt Kerwien.

Dass das Arbeitsamt die Zuschüsse völlig ohne Prüfung bewilligt, stößt auf Gewerkschaftsseite auf Kritik. "Ich habe schon in vielen Existenzgründergesprächen so manchem die Idee ausgetrieben, sich als Schriftsteller selbstständig zu machen", sagt Werner Ley, der für künstlerische Berufe zuständige Sekretär der Gewerkschaft ver.di in NRW. Die Branche sei knochenhart, Newcomer hätten praktisch keine Chance auf dem Markt. "Natürlich gibt es immer mal jemanden, der besonders begabt ist oder eine Nische clever nutzen kann und sich als Einsteiger durchsetzt. Aber jedem Erfolgreichem stehen 30 Erfolglose gegenüber. Eine reelle Chance, davon zu leben, gibt es kaum."

"Ich bin nicht blauäugig, ich weiß, dass es hart wird", sagt Rainer Huxhage. Aber auf dem Arbeitsmarkt habe er weder in seinem noch in einem anderen Beruf eine Zukunft. "Ich will zumindest meine Chance nutzen", sagt er.

(sueddeutsche.de/dpa, von Elmar Stephan und Irena Güttel)

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