Ex-Schiedsrichter Urs Meier über Fehler im Job:"Hadern kratzt am Selbstbewusstsein"

EURO 2004 - Schiedsrichter Urs Meier untergetaucht

In seiner Karriere als Fußball-Schiedsrichter traf Urs Meier auch unpopuläre Entscheidungen. (Bild: Europameisterschaft 2004 in Portugal)

(Foto: dpa/dpaweb)

Immer eine perfekte Leistung abliefern. Das wollen viele Arbeitnehmer und das wollte auch Urs Meier, langjähriger Fifa-Referee. Heute sagt er: "Ich habe kein einziges fehlerfreies Spiel gehabt." Ein Gespräch über persönliches Versagen - und wie man damit umgeht.

Von Christine Demmer

Risiken richtig einschätzen, Entscheidungen treffen, unter Druck handeln - viele Situationen aus dem Sport lassen sich aufs Berufsleben übertragen. Das weiß auch der ehemalige Schweizer Fußballschiedsrichter Urs Meier, der heute als Vortragsredner arbeitet. Als Fifa-Unparteiischer in zahlreichen Spitzenspielen, TV-Experte und Inhaber eines Küchengeschäfts habe er auch nicht alles richtig gemacht, sagt Meier. Doch zu lange dürfe man nicht über seine Fehlentscheidungen grübeln. Sonst vertue man die Chance, beim nächsten Mal alles richtig zu machen.

SZ: Was macht es so schwer, Entscheidungen zu treffen?

Urs Meier: Die Null-Fehler-Toleranz in unserer Gesellschaft hat dazu geführt, dass man Fehler nicht mehr verzeiht. Man will nicht einsehen, dass Fehler dazugehören, ja, dass sie einen Menschen sogar weiterbringen können. Damit müssen wir offener und toleranter umgehen.

Wir streben also immer nach der perfekten Entscheidung?

Ich habe laut Fifa-Statistik 883 Spiele geleitet und wollte immer das perfekte Spiel haben. Aber das ist mir nicht gelungen. Ich habe kein einziges fehlerfreies Spiel gehabt. Gut, zwei oder drei waren annähernd perfekt. Der Anspruch, fehlerfrei zu handeln, ist gut. Aber er muss begleitet sein von der Einsicht, dass dies fast nicht möglich ist. Wobei man natürlich unterscheiden muss zwischen spielentscheidenden und unbedeutenderen Fehlern. Letztere sind eher verzeihbar.

Wie verhalten Sie sich, wenn Sie merken: Ups, das war jetzt aber nicht richtig?

Wenn ich den Fehler noch auf dem Platz korrigieren kann, dann tue ich das, solange das Spiel nicht wieder aufgenommen wurde. Aber wenn das nicht geht, dann sollte man nicht versuchen, unauffällig zu korrigieren. Damit macht man den zweiten Fehler, und der vergrößert nur noch den ersten. Die Menschen spüren: Aha, jetzt will er etwas gutmachen. Damit verliert man an Glaubwürdigkeit. Wir alle machen Fehler, und das muss erlaubt sein. Wer Fehler macht, ist per se kein schlechter Mensch.

Man sollte den Fehler also entweder gleich oder gar nicht korrigieren? Wozu raten Sie stattdessen?

Akzeptieren, dass die Entscheidung falsch war, und daraus lernen. Wenn man zu lange mit sich hadert, kratzt das am Selbstbewusstsein. Dafür gibt es ein Sprichwort: Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist. Manche Menschen tragen sich ein Leben lang mit Fehlentscheidungen und stehen sich damit selbst im Weg. Man sollte den Fehler aufschreiben, das Papier zerknüllen, anzünden und verbrennen. Weg mit dem Zeug.

Peinlich ist es, wenn man von anderen auf eine Fehlentscheidung hingewiesen wird. Wie baut man sich wieder auf?

Peinlich ist es nur, wenn man nicht ehrlich mit sich selbst war. In dem Moment der Entscheidung war man ja von sich überzeugt. Man hat ja nur seine eigene Optik. Aber wenn man in der Karriereleiter weit oben steht, ist der Rucksack normalerweise voll mit Fachwissen und Erfahrungen. Wenn mich jemand nach dem Spiel auf einen Fehler aufmerksam gemacht hat, habe ich gesagt: Aus meiner Position hat es ausgesehen wie ein Foul. Wenn die Spielaufzeichnung dann etwas anderes zeigt, habe ich überlegt, wie ich beim nächsten Mal eine bessere Position einnehmen kann.

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