Europäisches Urteil zum Arbeitsrecht:Mehr Rechte für Jüngere

"Juristischer Paukenschlag": Der Europäische Gerichtshof stärkt den Kündigungsschutz von Hunderttausenden Arbeitnehmern in Deutschland.

Daniela Kuhr

In einem aufsehenerregenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag entschieden, dass deutsches Arbeitsrecht gegen europäische Vorschriften verstößt. Die EU-Richter stärkten vor allem den Kündigungsschutz von jüngeren Arbeitnehmern. Ihrer Auffassung nach verstößt das deutsche Kündigungsrecht gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (Rechtssache C-555/07). Von besonderer Brisanz ist, dass die Luxemburger Richter die deutschen Gerichte anwiesen, die Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ab sofort nicht mehr anzuwenden. Normalerweise darf nur das Bundesverfassungsgericht ein deutsches Gesetz kippen. Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität in Bonn, sprach von einem "juristischen Paukenschlag".

Europäisches Urteil zum Arbeitsrecht: Kurzfristige Kündigungen werden nach dem EuGH-Urteil in Deutschland schwieriger.

Kurzfristige Kündigungen werden nach dem EuGH-Urteil in Deutschland schwieriger.

(Foto: Foto: iStock)

Schicksalsalter 25

Bislang gilt nach deutschem Recht: Die Kündigungsfrist, die ein Arbeitgeber beachten muss, wenn er sich von einem Mitarbeiter trennen will, wird schrittweise länger, je länger der Mitarbeiter in dem Betrieb beschäftigt ist. Wer erst seit zwei Jahren arbeitet, darf mit einer Frist von einem Monat gekündigt werden. Nach 15 Jahren Beschäftigung dagegen beträgt die Frist schon sechs Monate. "Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt", heißt es im BGB weiter. Genau darin liegt laut EuGH jedoch eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters.

1926, als die Vorschrift in Kraft trat, ging der Gesetzgeber davon aus, dass jüngere Menschen wegen ihrer größeren Mobilität weniger schutzbedürftig sind. Der EuGH hält diese Überlegung für verfehlt. Das Gericht erlaubt zwar gewisse Ungleichbehandlungen, wenn damit beschäftigungspolitische Ziele verfolgt werden. Doch im Ergebnis trifft die Vorschrift nicht nur die Jüngeren. Sie hat zur Folge, dass zwei Mitarbeiter, die einem Betrieb gleich lange angehören, auch nach vielen Jahren noch einen unterschiedlichen Kündigungsschutz genießen - etwa, weil der eine zum Zeitpunkt der Einstellung 20 Jahre alt war, der andere aber schon 26 Jahre oder älter.

"Nur konsequent"

Fachleute hatten bereits erwartet, dass der EuGH die Regelung kippen würde. "Das Urteil ist insoweit nur konsequent", sagte die Arbeitsrechtlerin Martina Perreng vom Deutschen Gewerkschaftsbund.

Deutlich überraschender ist der zweite Teil des Richterspruchs. Indem der EuGH die nationalen Gerichte anwies, die Vorschrift nicht mehr anzuwenden, schwingt er sich nach Ansicht von Kritikern zum Ersatzgesetzgeber auf. Denn weil nun die Beschäftigungsjahre vor dem 25. Lebensjahr mitberücksichtigt werden müssen, gelten ab sofort für Hunderttausende Arbeitnehmer längere Kündigungsfristen. "Damit greift der EuGH in die innerstaatliche und gemeinschaftsrechtliche Kompetenzordnung ein", sagte Hans-Peter Löw, Partner der Anwaltskanzlei Lovells. "Das ist nicht akzeptabel."

Weitere Klagen wahrscheinlich

Arbeitsrechtler Thüsing kritisierte: "Der EuGH erweitert den Anwendungsbereich von EU-Recht deutlich." Das Urteil habe eine verheerende Folge: "Arbeitgeber können nicht mehr darauf vertrauen, dass das, was in einem deutschen Gesetz steht, tatsächlich auch gilt. Sie müssen mit weiteren Klagen rechnen." Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte: "Wir prüfen das Urteil und bereiten die Änderungen des Paragraphen vor."

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