EU-Kommissarin zur Quote:"Es gibt Top-Frauen für die Wirtschaft"

Viviane Reding ist mit ihrer Geduld am Ende: Seit mehr als zehn Jahren kündigen Unternehmen an, freiwillig mehr Frauen in Führungsgremien zu holen, passiert ist seither wenig. Im Interview rechnet die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission mit der Wirtschaft ab und erklärt, warum sich ohne gesetzliche Quote der Frauenanteil in Führungspositionen nicht ändern wird.

Christine Demmer

Über das Ziel besteht Einigkeit: Mehr Frauen als bisher sollen in der Wirtschaft mitbestimmen. Doch wie kommt man dorthin? Ein Jahr lang warb Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, für eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft - vergebens. Die Auswertung einer Anhörung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen - in EU-Deutsch "Konsultation" - soll nun Aufschluss darüber geben, welche der denkbaren Handlungsoptionen den größten Beifall findet: eine unverbindliche Empfehlung, ein nach Branche, Firmengröße oder Frauenanteil innerhalb der Belegschaft flexibler Soll-Prozentsatz oder eine feste Quote? An der Anhörung haben Privatpersonen, Behörden, Verbände, Unternehmen, Gewerkschaften und Hochschulen teilgenommen. Ihre Standpunkte sollen in die für den Herbst angekündigte Entscheidung der EU-Kommission einfließen. Ob diese der Empfehlung von Reding folgt, ist offen. Am 13. Juni sprach sich die EU-Kommissarin für einen gesetzlich festgelegten Sollanteil von 40 Prozent Frauen in Aufsichtsgremien aus.

SZ: Warum machen Sie sich für eine generelle Frauenquote in den Führungsgremien der Unternehmen stark?

Reding: 60 Prozent der Uniabsolventen in Europa sind weiblich. Gleichzeitig werden nur knapp 14 Prozent der Aufsichtsratsposten von Frauen besetzt. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir es uns nicht leisten, ein solches Potenzial brachliegen zu lassen. Leider hat es in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte in diesem Bereich gegeben. In den letzten sieben Jahren gab es EU-weit einen Anstieg des Frauenanteils in Aufsichtsräten in den großen börsennotierten Unternehmen Europas von gerade mal 0,5 Prozent. Nur in den Ländern, in denen gesetzliche Quoten eingeführt wurden, ist der Frauenanteil deutlich gestiegen. In Frankreich, das seit 2011 eine Frauenquote hat, gab es sogar einen Anstieg von zwölf auf 22 Prozent.

SZ: Welchen Fragen sind Sie in Ihrer Konsultation nachgegangen?

Reding: Wir wollen wissen: Welche Maßnahmen sollen wir ergreifen, um die Glasdecke für Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen zu durchbrechen? Muss ein Gesetz her oder nur eine Empfehlung? Wie hoch soll der angestrebte Anteil der Frauen sein? 30, 40, 50 Prozent? Wann soll dieses Ziel erreicht werden? Und soll es nur für Staatsunternehmen gelten oder auch für börsennotierte Unternehmen in der Privatwirtschaft? Und wie können mögliche Sanktionen aussehen: Berichtspflichten, Geldbußen, Streichung der Aufsichtsratsbezüge, Annullierung der Aufsichtsratswahlen? Wir werden dies alles sorgsam prüfen und im Herbst einen Vorschlag vorlegen. Dabei wird es für uns sehr interessant sein, wie sich die Diskussion und die Rechtslage in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten weiterentwickeln.

SZ: In Deutschland sagen die Unternehmen, sie seien auch ohne Druck der Politik auf einem guten Weg. In Aufsichtsratsneuwahlen 2011 wurden frei gewordene Positionen in Dax-30-Unternehmen zu 40 Prozent mit Frauen besetzt, im MDax, den mittelständischen börsennotierten Unternehmen, zu mehr als 30 Prozent. Was soll da die Quote?

Reding: Der Wirtschaft wurde in den vergangenen 20 Jahren mehr als einmal die Gelegenheit gegeben, eigene Initiativen zu ergreifen, um die Situation zu verändern und mehr Frauen in die obersten Ränge der Unternehmen zu bringen - gerade auch in Deutschland. Ich möchte hier an die Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2001 erinnern. Als Ende 2010 Bilanz gezogen wurde, war der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten gerade mal um zwei Prozent gestiegen. Im Oktober 2011 gab es dann die nächste freiwillige Selbstverpflichtung der Dax 30. Darin sind Zielwerte für die Steigerung des Frauenanteils in den Führungspositionen definiert, die von zwölf bis 35 Prozent reichen. Jedoch findet sich dabei keine einzige Selbstverpflichtung, was die Besetzung der Aufsichtsräte angeht. Heute sind nach Erhebungen des Berliner Vereins Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar) bei den insgesamt 160 Dax-Unternehmen gerade mal 14,03 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder weiblich. Ich verliere angesichts solcher Zahlen zunehmend die Hoffnung, dass es ohne eine gesetzliche Lösung Fortschritte geben wird.

Frauen sollen aufsteigen, weil sie qualifiziert sind

SZ: In Vorstandsressorts wie Personal und Compliance haben männliche Bewerber nach Aussagen führender Personalberater in Deutschland keinerlei Chancen mehr auf Berücksichtigung ihrer Bewerbungen. Hier besetzen die Unternehmen offenbar gezielt weiblich - mit der Folge, dass diese Funktionen rasch an Status und internem Standing verlieren. Produziert die Frauenquote Gedöns-Ressorts?

Reding: Die Einschätzung, dass von Frauen geführte Ressorts an Status und internem Standing verlören, unterstellt, dass Frauen schlechter qualifiziert wären als ihre männlichen Kollegen. Ich bin da ganz anderer Meinung. Die größten europäischen Business-Hochschulen haben gerade eine Liste von 7000 Frauen veröffentlicht, die nach strengen Kriterien von der Privatwirtschaft ausgesucht wurden und alle Voraussetzungen erfüllen, um in Führungsgremien zu sitzen. Es gibt sie also sehr wohl, die Top-Frauen für die Wirtschaft. Ich möchte diesen hochqualifizierten Frauen die Tür in die Aufsichtsräte und damit in die Führungsetagen der europäischen Wirtschaft öffnen. Und wenn nun einige Unternehmen mit Nachdruck Kandidatinnen für Vorstandsposten in bestimmten Bereichen suchen, dann zeigt das vor allem, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden haben.

SZ: Was spricht aus betriebswirtschaftlicher Sicht für eine strikte Frauenquote?

Reding: Studien von McKinsey, der Deutschen Bank und anderen, die nun wirklich keine feministischen Organisationen sind, zeigen, dass der Betriebsgewinn in Unternehmen, in denen das Verhältnis von Frauen und Männern ausgeglichen ist, um 56 Prozent höher ist als in männerdominierten Firmen. Qualifizierte Frauen sind für Unternehmen also ein Gewinn. Gemischte Teams erzielen bessere Ergebnisse, weil sich die Fähigkeiten ihrer Mitglieder ergänzen. Zum unterschwelligen Vorwurf, dass jetzt die Männer bei Bewerbungsprozessen diskriminiert würden, kann ich nur sagen: Heute gibt es eine faktische Männerquote von 84 Prozent in Führungspositionen. Wenn wir es bis 2020 schaffen, die Chefetagen in der Wirtschaft mit 30 bis 40 Prozent qualifizierten Frauen zu besetzen, ist das also nicht Diskriminierung, sondern ein kleiner, aber sehr sinnvoller Schritt zu etwas mehr Gleichberechtigung.

SZ: Wie stellen Sie sicher, dass eine Frauenquote auf der Top-Führungsebene börsennotierter Unternehmen nicht gegen den Grundsatz allgemeiner Gleichbehandlung, gegen die Organisationsfreiheit der Unternehmen und die Eigentumsrechte ihrer Anteilseigner verstößt?

Reding: Wir wollen den Grundsatz der Gleichbehandlung durchsetzen. Deshalb darf es nicht darum gehen, Bewerber allein aufgrund ihres Geschlechts zu wählen. Die Qualifikation muss ausschlaggebend sein, aber bei gleicher Qualifikation ist der weibliche Kandidat für den Aufsichtsrat zu nehmen, bis die gesetzlich vorgegebene Quote erfüllt ist. Damit die unternehmerische Freiheit gewahrt bleibt, möchte ich nicht in das operative Management von Unternehmen eingreifen, sondern mich auf das Kontrollgremium Aufsichtsrat konzentrieren. Das ist durchaus im Interesse von Eigentümern und Aktionären. Denn je größer der Pool möglicher Aufsichtsräte ist, desto weniger besteht die Gefahr, dass eine kleine Gruppe von sich selten abwechselnden Personen in den Kontrollgremien wenig kontrollfreundliche Netzwerke bildet.

SZ: Wie begegnen Sie dem Argument, dass in einigen Branchen nicht genug fachlich geeignete Frauen für Führungspositionen zur Verfügung stünden?

Reding: Die von mir angeregte Frauenquote betrifft die Aufsichtsräte. Dabei macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob jemand Technik oder Medien studiert hat. Ein Aufsichtsrat ist dazu da, ein Unternehmen zu kontrollieren. Da kommt es auf Führungs- und Management-Stärken an. Frauen, die in vielen Fällen ohne weiteres Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, können meiner Meinung nach exzellente Managerinnen sein. Zudem haben nicht alle Hochschulabsolventinnen Orchideenfächer studiert, wie manche Unternehmer allen Ernstes behaupten. Es ist an der Zeit, dass diese hochqualifizierten Frauen die Chance bekommen, in Führungspositionen zu gelangen.

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