Ethik-Kurse für BWL-Studenten:Einseitiger Kampf um Moral

"Ein unglaublich sexy Thema": Wirtschaftsstudenten organisieren immer öfter selbst Ethik-Kurse. Die Nachfrage ist da, offizielle Angebote von den Unis gibt es trotzdem kaum.

L. Jacobsen und J. Pennekamp

Ein Saal voller wissbegieriger Wirtschaftsstudenten, am Pult ein weißhaariger Professor - so weit war alles wie immer an diesem Tag in der Tübinger Uni. Wäre da nicht das Thema gewesen: Über "Quellen der Moral" spricht der Dozent zwei Stunden lang, ein noch eher ungewöhnliches Thema für Wirtschaftsstudenten. Mindestens genauso ungewöhnlich: Es waren die Studenten selbst, die nicht nur diese Vorlesung, sondern gleich eine ganze Veranstaltungsreihe auf die Beine gestellt haben - in ihrer Freizeit, ohne sonderliche Unterstützung der Uni, und zu einem Thema, das sonst an deutschen Wirtschaftsfakultäten oft noch belächelt wird: Wirtschafts- und Unternehmensethik. "Nachher sind viele zu uns gekommen und haben gesagt: danke, dass ihr das Thema endlich mal angeht", erinnert sich Lukas Clade, einer der Organisatoren.

Geschäftsklimaindex steigt an

Hochbetrieb auf dem Börsenparkett: Spätestens seit Bankenchefs und Top-Manager wegen der Finanzkrise in die Schusslinie geraten sind, wird auch öffentlich über die Verantwortung von Märkten und Unternehmen diskutiert. Doch viele deutsche Hochschulen reagieren noch sehr zögerlich darauf.

(Foto: dpa)

Spätestens seit Bankenchefs und Top-Manager wegen der Finanzkrise in die Schusslinie geraten sind und öffentlich über die Moral der Märkte gestritten wird, treibt die deutschen Wirtschaftsstudenten dieses Thema besonders um. Sie fragen sich, welche sozialen Folgen Managerentscheidungen haben, welche Verantwortung Unternehmen tragen und ob man auf Kosten anderer seine Profite maximieren darf. "Das Thema ist gerade unglaublich sexy", hat Anna Ritschel beobachtet, die dem internationalen Studentennetzwerk Oikos vorsteht, das sich für nachhaltige Wirtschaft einsetzt. Auffällig aber ist: Im Vergleich zu den Studenten mit ihren Ringvorlesungen oder anderen Veranstaltungen beschäftigen sich Uni-Fakultäten noch wenig damit.

Die Tübinger Studenten gehören zu dem Netzwerk "sneep", das bundesweit an 29 Hochschulen aktiv ist. Eine "sneep"-Onlineumfrage unter etwa 3000 Studierenden ergab, dass sich fast die Hälfte von ihnen mehr wirtschaftsethische Inhalte wünschen - und gut zwei Drittel finden, dass Wirtschaftsethik Pflichtfach in Ökonomie-Studiengängen werden sollte. "Es gibt da eine ganz große Nachfrage, auch bei Studenten, von denen man es zuerst vielleicht nicht erwartet", sagt auch Lukas Clade.

Doch die Unis überhören diesen Ruf ihrer Studenten. Während an den meisten internationalen Top-Unis und Business Schools Wirtschaftsethik zum Pflichtprogramm gehört, bietet hierzulande nur etwa jede zweite Wirtschaftsfakultät Ethik-Kurse an - und verpflichtend sind sie meistens nicht. Auch Werner Neus, Studiendekan an der Tübinger Wirtschaftsfakultät, will trotz der großen Nachfrage nichts von der Einführung regulärer Ethik-Kurse wissen: "Man kann nicht immer noch mehr in den prallen Bachelor-Stundenplan hineinpressen", sagt er.

Warten auf ein Treffen mit dem Rektor

Zudem wolle er seinen engagierten Studenten, die sich für die Wirtschaftsethik einsetzen, nicht das "Wasser abgraben", indem er ihnen das Thema wegnehme. Für Student Clade ist es "beschämend und fadenscheinig", dass sich die Fakultät nicht "offiziell an unsere Seite stellt und dies auch als Teil ihres Angebotes versteht".

Berliner BWL-Studenten im Hörsaal, 2004

Veranstaltungen zum Thema Ethik und Moral in der Wirtschaft sind an den Unis gut besucht. Zum Pflichtprogramm gehören sie trotzdem noch nicht.

(Foto: ddp)

Die Universitäten seien "sehr schwerfällig", wenn es um neue Kursangebote geht, hat Anja Schwerk beobachtet. Die Management-Dozentin an der Humboldt-Universität in Berlin hat vor zwei Jahren die Lehrangebote sämtlicher Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland überprüft. Ihr ernüchterndes Fazit: "In der Bachelor-Ausbildung gehörte die Wirtschaftsethik nirgends zu den Pflichtkursen." Sie hofft, dass Initiativen wie die Tübinger Ringvorlesung Signalwirkung haben und in den Dekanaten zu einem Umdenken führen. Der Vertrauensverlust in die Wirtschaft müsse durch ein verändertes Curriculum reflektiert werden, fordert die Hochschullehrerin.

Doch offenbar ist es ein langer Weg bis dahin: Wenn in Betriebswirtschaftsvorlesungen die Frage nach der Moral gestellt wird, liegt das häufig am persönlichen Interesse einzelner Dozenten: "Der Fachbereich würde dafür niemanden zusätzlich einstellen, das ist mein Steckenpferd", sagt etwa Michaela Haase.

Die Management-Dozentin der FU Berlin, die beim Hochschullehrer-Verband für Betriebswirtschaft (VHB) einer Ethik-Kommission vorsteht, führt den Mangel an Pflichtangeboten vor allem auch darauf zurück, dass den Hochschulen das Geld für neue Professoren fehle. Dabei sei es wichtig, "dass die Fragen nach der Verantwortung praxisnah zum Beispiel auch in der Finanzwissenschaft- oder Management-Vorlesungen gestellt werden", sagt Haase.

Vielen Studenten sei gar nicht bewusst, dass hinter dem Grundsatz der Gewinnmaximierung bereits eine wichtige Wertentscheidung stecke - nämlich die, dass dem Gewinnstreben alles unterzuordnen sei. Kürzlich haben die Vereinten Nationen sechs Prinzipien für eine verantwortungsvolle Manager-Ausbildung definiert. 326 Hochschulen aus aller Welt haben die Absichtserklärung bereits unterzeichnet. Michaela Haase hat nachgezählt: "Darunter sind erst 17 deutsche Fakultäten."

Und so bleibt es oft Studenten wie Stefanie Fella überlassen, für mehr Moral im Ökonomie-Studium zu kämpfen: Sie ist Mitglied der Kölner Gruppe von Oikos, schon seit ein paar Semestern werden hier von Studenten entsprechende Veranstaltungen organisiert. Die Teilnehmer können mittlerweile - wie auch in Tübingen - am Ende sogar einen Leistungsschein für ihr Studium erwerben. Stefanie Fella wünscht sich aber dennoch mehr Wertschätzung von Seiten der Uni-Leitung: Bereits im Juni baten die Studenten deshalb um ein Treffen mit dem Rektor, um über Kooperationsmöglichkeiten zu reden. Dort zeigte man sich zwar grundsätzlich interessiert - einen Termin haben die engagierten Studenten aber bis heute nicht.

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