Erwerbstätigkeit in Deutschland:Unsicherheit wird zur Regel

Die Folgen der Krise: Unternehmen stellen in Deutschland die Hälfte aller Beschäftigten nur noch befristet ein. Betroffen sind vor allem junge Leute und Frauen.

Thomas Öchsner

Immer mehr Arbeitnehmer erhalten nur noch einen Vertrag auf Zeit, obwohl sie lieber unbefristet angestellt werden würden. Das Statistische Bundesamt meldet, dass fast jeder zehnte in einem beschränkten Arbeitsverhältnis steht. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Bei Neueinstellungen ist inzwischen sogar fast jeder zweite Job befristet. Dies trifft vor allem junge Leute, Ausländer und häufiger auch Frauen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert gesetzliche Änderungen.

Die Zahl der Zeitverträge hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. 1991, als die Statistiker die Zahlen für Gesamtdeutschland erstmals erfassten, waren noch 5,7 Prozent befristet beschäftigt. 2008 betrug die Quote bereits 8,9 Prozent. Das entspricht 2,7 Millionen der seinerzeit 30,7 Millionen Arbeitnehmer. In den allermeisten Fällen sind die Zeitverträge auf 24 Monate begrenzt.

Das Phänomen ist in den Wirtschaftszweigen unterschiedlich stark ausgeprägt. Besonders häufig seien befristete Jobs in den neueren Dienstleistungssparten, teilte die Wiesbadener Behörde mit. Dazu zählt das Amt zum Beispiel die Leiharbeitsbranche, das Wach- und Sicherheitsgewerbe und die Gebäudereiniger. Längst Alltag sind befristete Arbeitsverträge in Konzernen. Auf solche Verträge setzen laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 90 Prozent der Großbetriebe, die mehr als 250 Leute beschäftigen. In Kleinbetrieben ist es umgekehrt: Nur einer von zehn hat Arbeitskräfte befristet eingestellt.

Frauen müssen sich nach Angaben des Amtes etwas häufig als Männer mit zeitlich begrenzten Arbeitsverträgen zufriedengeben. Besonders hoch ist der Anteil der Befristung bei jüngeren Beschäftigten: In der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen arbeiten 40,7 Prozent mit einem befristeten Vertrag. In der Altersgruppe der 20- bis unter 25-Jährigen ist es jeder Vierte, dabei hat das Statistische Bundesamt Lehrlinge und Auszubildende nicht berücksichtigt. Ausländer sind ebenfalls überdurchschnittlich stark betroffen, nicht zuletzt weil sie oft in Branchen wie dem Handel und Gastgewerbe und dem Dienstleistungssektor arbeiten. Dort kommen befristete Verträge häufiger vor.

Immer höher wird der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse bei Neueinstellungen. Das Nürnberger IAB fand heraus, dass sich von 2001 bis zum ersten Halbjahr 2009 der Anteil der Zeitverträge bei allen Neueinstellungen von 32 auf 47 Prozent erhöht hat. "Befristete Verträge werden in den Betrieben inzwischen als verlängerte Probezeit genutzt", sagte Claudia Weinkopf, Expertin des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen, der Süddeutschen Zeitung. "Die Unternehmen wollen sich nicht binden und in der Krise möglichst flexibel bleiben." Befristet Beschäftigte bekämen die Betriebe schneller wieder los, erklärt Weinkopf.

Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende, sagte der SZ: Besonders junge Menschen seien dadurch gezwungen, "ihre Lebens- und Familienplanung am nächsten verfügbaren Job auszurichten". Sehrbrock forderte die Bundesregierung auf, die Unternehmen per Gesetz dazu zu zwingen, Befristungen stets zu begründen. "Damit wären Vertretungen oder Abdeckung von Auftragsspitzen erlaubt, Befristungen ins Blaue hinein aber nicht." Joachim Möller, Direktor des IAB, verweist hingegen darauf, dass in knapp der Hälfte der Fälle Arbeitnehmer nach einem Zeitvertrag unbefristet im Betrieb übernommen werden.

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