Erotisches Kapital:Warum Frauen in High Heels Karriere machen

Der Volksmund sagt: Männer kriegen nie genug Sex. Die britische Soziologin Catherine Hakim folgert: Frauen sollten das nutzen - und ihren Sex-Appeal für den beruflichen Erfolg instrumentalisieren. Ein Spiel mit dem Feuer, warnen Karriere-Experten.

Barbara Galaktionow

Sicher, beruflicher Erfolg ist nicht allein eine Frage von Qualifikationen. Persönliche Eigenschaften wie Kontaktfreudigkeit, aber auch das richtige gesellschaftliche Auftreten oder gute Beziehungen tragen oft mindestens ebenso dazu bei, Karrieren zu befördern, wie die solide Ausbildung, das mit sehr gutem Ergebnis absolvierte Studium oder der perfekt erledigte Job.

Verleihung des Instrumentalistenpreises Prix Montblanc

Mal ein bisschen aufgedonnert und rein in die High Heels: Der britischen Soziologin Catherine Hakim zufolge beflügelt Sex-Appeal Karrieren.

(Foto: dpa)

Doch glaubt man Catherine Hakim, ist das noch nicht alles. Die britische Soziologin von der London School of Economics rückt nun einen weiteren Aspekt in den Fokus, den sie für bislang völlig unterbewertet hält: das "erotische Kapital" eines Menschen.

Diese "schwer fassbare, eminent einflussreiche Kombination aus Schönheit, Sex-Appeal, sozialen Kompetenzen und der Fähigkeit, das eigene Selbst zu präsentieren", wie Hakim das erotische Kapital in ihrem gleichnamigen, kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch beschreibt, ist demnach "vom Sitzungssaal bis zum Schlafzimmer" von eminenter Bedeutung.

Sexuell attraktive Menschen haben Hakim zufolge nicht nur auf dem Heiratsmarkt bessere Chancen, mehr Freunde und besseren Sex, sondern auch im Beruf größere Aufstiegschancen und höhere Gehälter. Die Schönen und Anziehenden verdienen der Soziologin zufolge zum Beispiel zehn bis 20 Prozent mehr als ihre weniger attraktiven Mitmenschen. Hakims Erkenntnis: Der persönliche Einsatz der erotischen Ausstrahlung macht sich bezahlt.

Doch damit nicht genug. Die Soziologin empfiehlt speziell Frauen, sexuelle Attraktivität als Plus für sich einzusetzen. Denn die Britin ist sich sicher: Frauen haben mehr erotisches Kapital als Männer. Den Grund dafür sieht sie nicht allein darin, dass Frauen von jeher mehr auf ihre Äußeres achten, maßvoller leben und sich aufschnieken, sondern in einem generellen "Sexdefizit" der Männer.

Erotisches Kapital statt blondes Dummchen

"Der Volksmund weiß es seit langem: Männer bekommen nie genügend Sex", schreibt Hakim - und beruft sich dabei auf mehrere Studien. Und diesen Sexmangel sollten sich Frauen ihrer Ansicht nach nicht nur in privater, sondern auch in beruflicher Hinsicht zunutze machen. "Warum Weiblichkeit nicht hochhalten, statt sie zu schmälern? Warum ermutigt niemand Frauen, Männer zu instrumentalisieren, wo immer das möglich ist?", fragt sie provokant.

"Wenn ich so etwas höre, stellen sich mir die Nackenhaare auf", empört sich Andrea Juchem-Fiedler, Geschäftsführerin des Beratungs- und Coachingsunternehmens Frauen coachen Frauen. "Jetzt spricht man halt nicht mehr vom blonden Dummchen, sondern vom erotischen Kapital." Frauen sollten - auch im Berufsleben - dazu stehen, dass sie Frauen sind, sagt die Karriereberaterin, doch sie wehre sich gegen den Ratschlag, Sex-Appeal zu instrumentalisieren.

Zudem seien Hakims Thesen auch eine "Ohrfeige für Männer", die als so triebhaft dargestellt würden, dass sie auf High Heels und ausgeschnittene Blusen zwangsläufig reagieren müssten. "Ich denke nicht, dass Männer so einfach gestrickt sind", sagt Diplom-Kauffrau und Coach Juchem-Fiedler.

Erotisches Kapital - ein hochriskantes Investment

"Ich habe mich etwas gewundert über die Argumentationslinie", konstatiert auch Professor Wolfgang Mayrhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien. Zwar könne man vielleicht davon ausgehen, dass Männer und Frauen erotisches Kapital in unterschiedlichem Ausmaß für ihre Karriere nutzen könnten.

Eine mögliche Begründung sähe er allerdings eher darin, dass die Welt der Entscheider, der Chefs, noch immer männlich dominiert sei. Da man annehmen könne, dass die meisten von ihnen heterosexuell seien, gäbe es hier mehr Spielraum für Frauen, um ihre Attraktivität einzusetzen. "Doch da brauche ich keine Argumentation mit einem männlichen Sexdefizit", sagt Mayrhofer.

Aber selbst wenn sie es könnten: Sollten Frauen sich tatsächlich selbst zum Sexobjekt machen, um damit ihre Karriere zu befördern? "Davon würde ich abraten", sagt Frauenbildungs-Expertin Schlüter. "Das wird sich irgendwann gegen die Frauen wenden." Sicher sei die Ausstrahlung wichtig, und die könne man nicht direkt von der Sexualität trennen. Im beruflichen Umfeld sei blanke Erotik allerdings fehl am Platz, entscheidend sei die Leistung: "Kompetenz haben und das auch ausstrahlen - das wirkt auf andere Menschen."

Auch Frauen-Coach Juchem-Fiedler hält den gezielten Einsatz des Sex-Appeals im Beruf für ein "Spiel mit dem Feuer". Sicherlich zögen sich die meisten Frauen für die Arbeit gepflegt an. Das sei eine Frage des Selbstmarketings. Aber das betrieben Männer ja auch. Die meisten von ihnen würden sich vor der Arbeit rasieren - ganz ohne die Absicht, ihre Kolleginnen zu beeindrucken.

"Grundsätzlich kann jeder nutzen, was er hat", befindet hingegen Karriereforscher Mayrhofer. Es sei generell kein Unterschied, ob jemand Seilschaften, Netzwerke oder seine Attraktivität für seinen Aufstieg einsetze. Letztlich sei es eine "weltanschauliche Frage", ob man dazu bereit sei.

Hinzu komme jedoch, dass der Einsatz von erotischem Kapital in mehrerlei Hinsicht ein "hochriskantes Investment" sei. Zum einen vermische man hier berufliche und private Ebene. Zum anderen sei gerade dieser Bereich kaum vollständig zu kontrollieren. Es bestehe immer die Gefahr, den Bogen zu überspannen. Und das könne dann nach hinten losgehen - und die Karriere bremsen, statt sie zu beflügeln.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: