"Erasmus-Plus"-Programm:Den Horizont erweitern

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Internationaler und größer ist das Netzwerk des Programms geworden. Das Foto zeigt Erasmus-Studentinnen an der Universität Porto. (Foto: imago)

Vor 30 Jahren gingen die ersten Erasmus-Studenten ins Ausland. Seitdem hat sich einiges getan: Das Programm fördert nun auch den Austausch von Dozenten und Wissenschaftlern.

Von Bärbel Brockmann

Bildung ist in Europa weitgehend Sache der Länder. Eine prominente Ausnahme ist das europäische Erasmus-Programm, das seit 30 Jahren den länderübergreifenden Austausch von Menschen zum Zwecke des Lernens und Kennenlernens fördert - und damit auch einen Beitrag zur Entwicklung einer europäischen Identität leisten will. Zunächst war das Programm nur als Austausch für Studierende gedacht. Seit 2014 werden im Rahmen von "Erasmus Plus", wie es seither heißt, auch die schulische und berufliche Bildung sowie die Erwachsenenbildung gefördert.

Die Bildungs-Förderung verschiedener Gesellschaftsgruppen in Europa ist an sich nicht neu. Die einzelnen Programme hierfür wurden 2014 unter "Erasmus Plus" zusammengefasst. Aber die Förderung ist gleichzeitig ausgedehnt und stärker untereinander sowie mit der Hochschulbildung verbunden worden. "Das ,Plus' an Erasmus ist, dass wir seither über die verschiedenen Sektoren hinweg enger zusammenarbeiten", sagt Hanns Sylvester von der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit. Diese Agentur ist beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) angesiedelt und zuständig für die Umsetzung von "Erasmus Plus" im Hochschulbereich. Neu ist auch eine stärkere Internationalisierung. Mit "Erasmus Plus" können auch Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter aus außereuropäischen Ländern kommen und Deutsche in diese Länder geschickt werden. Das "Erasmus Plus"-Pendant für die Schulen ist die Nationale Agentur für EU-Programme im Schulbereich. Auch hier gibt es sowohl den Austausch von Schülern über Schulpartnerschaften, als auch die Lehrerfortbildung im Ausland. Für die berufliche und Erwachsenenbildung auf europäischer Ebene ist die Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NABIBB) zuständig.

Die Finanzierung von "Erasmus Plus" ist ein fester Posten im EU-Haushalt. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 umfasst er 14,8 Milliarden Euro. Die Mittel werden nach einem festgelegten Schlüssel, der unter anderem die Bevölkerungszahl der jeweiligen Länder berücksichtigt, auf die 33 Mitgliedsländer verteilt. Neben den EU-Mitgliedsländern sind auch die Türkei, Mazedonien, Norwegen, Liechtenstein und Island beteiligt. Vom Gesamtbudget der Sieben-Jahres-Periode teilt die Kommission in ihrem jährlichen Budget den einzelnen Bildungssektoren in jedem Land die Mittel zu. Diese sind nicht in jedem Sektor und in einem Jahr gleich hoch. Aber nach sieben Jahren ist der Kuchen verteilt. Jedes Jahr vergeben die vier nationalen Erasmus-Agenturen der Bundesrepublik die Mittel, wobei jede Schule oder Hochschule diese individuell beantragen muss.

"Die deutsche Seite bekommt etwa zwölf Prozent vom Gesamtbudget", sagt Sylvester. 2017 wird die EU-Kommission allein den Hochschulen 103 Millionen Euro für Auslandsaufenthalte von Studierenden und Hochschulmitarbeitern zur Verfügung stellen. Von den Gesamtmitteln für die allgemeine und berufliche Bildung gehen 43 Prozent an den Hochschulbereich, 22 Prozent an Projekte für berufliche Bildung und 15 Prozent an schulische Bildungsprojekte. Der Rest wird unter anderem für Erwachsenenbildung und Jugendprojekte zur Verfügung gestellt. "Diese Aufteilung reflektiert zum einen die politische Prioritätensetzung in Europa, zum anderen resultiert sie aus den Anfängen des Erasmus-Programms, als es ein reines Hochschulförderprogramm war", sagt Klaus Fahle von der NABIBB.

1987 waren 657 Studenten mit Erasmus unterwegs. Diese Zahl hat sich vertausendfacht

Das Programm ist bei Studierenden beliebt: "Die Nachfrage ist so hoch, dass wir glatt doppelt so viel Geld für die Auslandsaufenthalte ausgeben könnten, wie wir im Moment zur Verfügung haben", sagt der Leiter der Agentur. Im ersten Jahr von Erasmus, 1987, wurden gerade einmal 657 Studenten gefördert. Seither hat sich diese Zahl bis heute vertausendfacht. Die Hochschulangestellten, die mit "Erasmus Plus" neu die Möglichkeit bekommen haben, eine Zeit lang an einer anderen Hochschule im Ausland zu arbeiten, sind noch zögerlich. "Das ist eine Herausforderung, weil die Leute in unseren klassischen Verwaltungseinheiten kaum ins Ausland zu bewegen sind. Es ist schwer, sie davon zu überzeugen, dass sie doch ein paar Tage Erfahrungsaustausch mit ausländischen Kollegen betreiben und dabei auch ihre Sprachkenntnisse auffrischen könnten", sagt Claudia Hanke, Hochschulkoordinatorin für "Erasmus Plus" an der RWTH Aachen. Dafür ist das Interesse der Studenten in Aachen umso größer. Jedes Jahr schickt die Universität zwischen 650 und 700 Studierende mit einem Teilstipendium ins Ausland. Etwa ebenso viele kommen von ausländischen Hochschulen nach Aachen.

Eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren von "Erasmus Plus" ist folgende: Eine Hochschule sucht sich Partnerhochschulen in einem anderen Land und vereinbart jeweils bilateral die Voraussetzungen für den Austausch, so das Prozedere. Dazu gehören die Anzahl der für den Austausch zur Verfügung gestellten Plätze in den einzelnen Studiengängen und vor allem die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen. "1989/90 hatte die RWTH Aachen zwölf bilaterale Abkommen mit vier Partner-Universitäten in vier Ländern. Heute haben wir 708 Abkommen mit 334 Partnern in 29 Ländern", sagt Hanke.

Im Unterschied zu den von nationalen Geldgebern finanzierten Auslandsförderungen des DAAD sind die Auslandsaufenthalte im Erasmus-Programm kürzer. Bei Studierenden liegen sie bei durchschnittlich vier Monaten, bei Praktikanten bei drei. In der Erwachsenenbildung sind die Aufenthalte in der Regel deutlich kürzer. Für einen Sprachkurs in Portugal kann man beispielsweise einen Aufenthalt von einer Woche gefördert bekommen.

Die Förderung wird von Anfang an als Teilstipendium herausgegeben. Niemand kann von dem Geld alle Kosten bestreiten. Eine Komplettfinanzierung ist aber auch gar nicht vorgesehen. Stattdessen soll das Geld die zusätzlich durch einen Auslandsaufenthalt anfallenden Kosten decken. Im Hochschulbereich kommt noch eine indirekte Förderung hinzu: Erasmus-Studenten müssen an einer Gast-Hochschule im Ausland keine Studiengebühren zahlen.

Nähere Informationen zu Erasmus erfragen Studenten bei den jeweiligen Erasmus-Koordinatoren ihrer Hochschule. Die Erasmus-Auslandsaufenthalte erweitern nicht nur den persönlichen Horizont der Teilnehmer und bereichern ihre berufliche oder akademische Ausbildung. Sie bringen auch zusätzliche Pluspunkte bei der Karriereplanung. "Wer heute auf der Suche nach einem Job zusätzlich zu seinen beruflichen Qualifikationen auch noch Auslandserfahrung mitbringt, hat in vielen Fällen einen Vorteil", berichtet Hochschulkoordinatorin Hanke.

Aber das gilt nicht nur für Akademiker. Auch in der beruflichen Bildung werden die Fertigkeiten, die mit einem Auslandsaufenthalt erworben werden, immer mehr nachgefragt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag forderte zuletzt sogar, Auszubildende grundsätzlich teilweise auch im Ausland auszubilden.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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