68er-Bewegung:Frauen zwischen Kaffeekochen und Tomatenwerfen

Frauenbewegung 1968

Die Proteste von 1968 gelten als die Geburtsstunde der neuen Frauenbewegung.

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Die 68er wollten die Dritte Welt und die Arbeiter befreien - Frauen aber sollten Kaffee kochen. Fünf von ihnen über den steinigen Weg zu Emanzipation und Feminismus.

Protokolle von Olivia Kortas und Larissa Holzki

"Die Studentenbewegung mobilisierte natürlich auch die weiblichen Studenten. Aber die Studentinnen, die Kinder hatten, konnten nicht an Abendveranstaltungen teilnehmen, weil die Kindererziehung damals noch vollkommen in den Händen der Mütter lag - also blieben sie zu Hause.

Mit der Studentenbewegung kam die Erkenntnis, dass es möglich ist, schwierige Dinge zu verändern. Das zeigte besonders Vietnam, dieses kleine Land, das sich gegen Amerika stemmte. Dies und die Anti-Springer-Kampagne waren der Anlass, das erste Flugblatt zu schreiben, das nur an Frauen verteilt wurde. Es rief dazu auf, sich gegenseitig zu unterstützen und nicht nur in der Praxis für die Kindererziehung zuständig zu sein, sondern Ziele selbst zu bestimmen und durchzusetzen. Zunächst war uns gar nicht bewusst, dass wir gerade an den Anfängen einer neuen Frauenbewegung arbeiteten.

50 Jahre 68er-Bewegung - ein Schwerpunkt

Vom tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg über die Massendemonstrationen bis zum blutigen Terror der RAF: Alle Analysen, Interviews und Fotos zur 68er-Bewegung finden Sie hier.

Im Januar '68 trafen sich etwa 100 Frauen zum ersten Mal im Republikanischen Club in West-Berlin und gründeten sofort die ersten fünf Kinderläden, die dann zum Selbstläufer wurden. Beim zweiten Treffen gaben wir uns den Namen 'Aktionsrat zur Befreiung der Frauen'.

Im Herbst '68 hielt ich in Frankfurt am Main vor dem Delegiertenkongress des SDS, also des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, die sogenannte Tomatenrede, die die SDSler dazu aufforderte, sich auf Arbeiterinnen und Kinder zu fokussieren (als die Genossen nicht darauf eingehen wollten, warf eine der Frauen Tomaten Richtung Vorstandstisch, was der Rede nachträglich ihren Namen verlieh; Anm. d. Red.).

Die SDS-Männer wollten die Frauen einfach übergehen

Dass Frauen vielfältig unterdrückt, ausgebeutet, unterbezahlt und im Privaten in Abhängigkeit gehalten wurden, war ja lange Zeit 'normal' und wurde nicht als etwas Außergewöhnliches empfunden. Erst als Frauen kollektiv über ihre Stellung in der Gesellschaft nachdachten und ihre Anliegen formulierten, kam es zu Auseinandersetzungen.

Helke Sander

Helke Sander gründete 1968 mit anderen Frauen als Akt der Selbstbefreiung die ersten Kinderläden. Das Bild zeigt sie Ende der 70er-Jahre.

(Foto: Abisag Tüllmann)

Dazu kam es nun zum ersten Mal auf dem Frankfurter SDS-Kongress, an dem viele Frauen aus praktisch allen westdeutschen Universitätsstädten teilnahmen - zu 99 Prozent als Zuhörerinnen. Als Folge dieses Ereignisses entstanden in allen diesen Städten neue Frauengruppen."

Helke Sander, geboren 1937 in Berlin, ist Filmregisseurin und Autorin. 1968 gründete sie mit anderen Frauen den feministischen "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen". Der Tomatenwurf nach ihrer Rede vor dem SDS gilt vielen als Auftakt der neuen Frauenbewegung in Deutschland.

"Dafür wollte ich nicht in den Knast gehen"

"Die Studentenrevolte war '68 eigentlich schon vorbei. Danach kam die Spaltung in kleine und größere Parteien und für die Frauen war nicht so richtig etwas dabei. Die trauten sich nicht. Wir waren ja alle erst mal links und die Frauenfrage war ein 'Nebenwiderspruch'. Erst müsste die Klassenfrage geklärt werden, das hatten auch wir Frauen verinnerlicht. Die Belange der Frauen würden sich dann von selbst regeln. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, überhaupt eigene Bedürfnisse zu haben. Wir waren ja bürgerlich, insofern hatten wir gar nichts zu melden. Es war ein schwieriger Emanzipationsprozess von diesem linken Bewusstsein.

Die 68er-Bewegung hatte die Befreiung vor allem der Dritten Welt und der Arbeiterklasse zum Ziel. Eigentlich sollten alle befreit werden. Da befand die ein oder andere Frau: Vielleicht sollten wir auch befreit werden. Man muss das in der Entwicklung der damaligen Zeit sehen: Die Befreiung aus dem Mief der 50er, 60er Jahre, der Adenauer-Zeit, war ein Versprechen, selber über unsere Bedürfnisse nachdenken zu dürfen. Was wollen wir eigentlich? Bis dato wurde Frauen gesagt, was sie zu fühlen und zu wollen haben. Frauen haben nicht studiert, wurden nicht aufs Gymnasium geschickt. Es reichte, wenn man Sekretärin war. Wenn man den Chef geheiratet hat, war das die Karriere.

Ich war während der Revolten bei den Anarchisten aktiv. Wir haben auch Anschläge und alles Mögliche vorbereitet. Viele sind in den Knast gekommen. Und ich dachte nur: Ich mag nicht in den Knast gehen, für eine Sache, die nicht die meine ist.

Dann wollte ich ein Go-in bei einem Wohnungsunternehmen im Märkischen Viertel drehen. Die Männer hatten das beschlossen, weil die Trabantenstadt aussah wie eine Betonwüste. Ich hatte damals eine der ersten Videokameras der Stadt. Als es losgehen sollte, war kein einziger Mann da. Und dann haben die Frauen dieses Go-in gemacht: Wir sind einfach in die Büros rein, haben rumgekräht und einen Aufstand gemacht. Ich habe gedreht und unglaublich gestaunt: Wie diese Frauen, die vorher in den Sitzungen nur gestrickt und geschweigen haben, plötzlich dieses Go-in geschmissen haben!

Das war der Anlass, einen Frauenfilm zu machen. Den ganzen Sommer habe ich mit Hausfrauen und Verkäuferinnen geredet, bis wir ein Drehbuch hatten. Es ging um gleichen Lohn, aber auch die Einsicht, dass wir erst mal lernen müssen, unter Frauen solidarisch zu sein. Der Film wurde erfolgreich, und das hat die beteiligten Frauen wiederum motiviert, ihr Leben zu überdenken. Eine hat sich scheiden lassen, obwohl sie schon sieben Kinder hatte. Sie war sehr glücklich mit ihrer Entscheidung. Eine andere machte ihr Abi und wurde Psychologin.

Perincioli Film 1971

Mit Verkäuferinnen und Hausfrauen bespricht Cristina Perincioli (links) 1971 das Drehbuch zu ihrem Film, der sich der Frage widmet, wie Frauen sich solidarisch unterstützen können.

(Foto: Skip Norman)

"Jeder hat versucht, der Häuptling von irgendeinem Verein zu sein"

Ich selber habe in dieser Zeit die Lesben-Bewegung gegründet - damals haben wir uns noch 'schwul' genannt, um das Schimpfwort zu entkräften. Von den Lesben ging später auch die Gründung des ersten Frauenzentrums aus, in dem alle Frauen ihre eigenen Themen finden und diskutieren konnten. Das hat zur Emanzipation der Lesben beigetragen, sie aus ihrem Klüngeldenken befreit und sie ihre Bedürfnisse in einem größeren Zusammenhang sehen lassen.

Bei den Männern war es innerhalb kürzester Zeit vorbei mit der Befreiung. Die 68er-Bewegung war erst mal eine universitäre Bewegung und wichtig. Aber es war auch eine Bewegung von Söhnen gegen ihre Väter und Großväter, die sich selbst eine Karriere schaffen wollten. Jeder hat versucht, der Häuptling von irgendeinem Verein zu sein. Und da ging es alles andere als tolerant oder befreiend zu. In diesen Gruppen hätte man denken können, '68 hätte es nicht gegeben."

Cristina Perincioli, geboren 1946 in Bern, zog 1968 zum Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie nach Berlin. Ihr Kurzfilm "Für Frauen 1. Kapitel" von 1971 ist einer der ersten Frauenfilme der Zeit. Perincioli war Mitbegründerin der Lesben-Bewegung und des ersten Berliner Frauenzentrums.

Flugblätter verteilen nur im Rock

"Zwar revoltierten die Studenten an der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen und in Freiburg weniger als in Frankfurt und Berlin, aber auch dort gab es Vollversammlungen und Streikaktionen. So trugen die 68er-Revolten noch zu meiner Politisierung bei, als ich dort im Sommersemester 1969 mein Studium begann.

Ich engagierte mich zunächst antiautoritär in der Bewegung 'Student für Europa - Student für Berlin', die Sommerferienlager für Kinder und Jugendliche aus Großstädten organisierte. Dann trat ich zusammen mit meinem damaligen Freund einer ultralinken, konspirativen, kommunistischen Gruppe bei.

Hier störte mich der Umgang mit den Frauen von Anfang an gewaltig, ich empfand sie als rückschrittlich: Frauen sorgten bei den Treffen selbstverständlich für Kaffee und Kuchen und bedienten die Männer. Es wurde auch von uns verlangt, dass wir die Flugblätter vor den Fabriken in Röcken verteilen, weil die Arbeiter 'noch nicht so weit' seien. Ich verweigerte das.

Ich hörte damals viele Klagen von Frauen über die Rücksichtslosigkeit ihrer Partner, die in der Bewegung Führungspositionen hatten (inzwischen war es der Kommunistische Bund Westdeutschlands). Ich hatte in diesem Punkt mit meinem Freund keine Probleme. Allerdings wurde ich von den anderen Männern eher als sein Anhängsel behandelt. Ich empfand das als lächerlich, weil es unserer Beziehung überhaupt nicht entsprach.

"Da wir eine männliche Aufsicht nicht akzeptierten, wurden wir ausgeschlossen"

Als ich mit anderen Frauen innerhalb einer linken Basisgruppe etwas für die Politisierung der Frauen an der Pädagogischen Hochschule tun wollte, hatten die Genossen etwas dagegen, dass wir das als Frauen allein taten. Sie fürchteten, wir könnten 'den Nebenwiderspruch zum Hauptwiderspruch' machen - Frauen stellten dort damals 70 Prozent der Studierenden. Da wir eine männliche Aufsicht nicht akzeptierten, wurden wir ausgeschlossen. Das war 1972. Inspiriert durch das Women's Liberation Movement aus den USA gründeten wir nur sechs Wochen später zu sechst die erste Frauengruppe in Freiburg, die dann zu unserer eigenen Überraschung sehr schnell wuchs.

Mir war in den ersten Jahren der Frauenbewegung die Politisierungsarbeit in den Kleingruppen das Wichtigste, aber es gab natürlich auch in Freiburg Aktionen zum Paragrafen 218, der den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte - allerdings wurden diese immer noch sehr stark von den ehemaligen Genossen mitorganisiert, mit denen wir nach wie vor über Paar-Beziehungen und unsere eigene linke Einstellung verbunden waren. Auch mit dem Häuserkampf waren wir verbunden, da sich unser erstes Frauenzentrum in einem besetzten Haus befand, das dann abgerissen wurde.

Ich glaube nicht, dass die Frauenbewegung ohne die 68er-Bewegung möglich gewesen wäre, zumindest nicht ohne den antiautoritären Teil davon. Ohne den Rückschritt in die dogmatisch-linken K-Gruppen wäre sie sicher auch weniger heftig abgrenzend gegen die Männer und selbst weniger dogmatisch gewesen."

Dorothee Markert, geboren 1950, ist Lehrerin, Lerntherapeutin und Autorin. Sie war ab 1972 in der Frauenbewegung aktiv und gründete gemeinsam mit anderen Frauen aus linken Gruppen das erste Freiburger Frauenzentrum.

Flucht vor dem eigenen Ehemann

"Als ich 1957 an die Universität in Berlin kam, fühlte ich mich wie ein großartiges Projekt. Ich wollte alles wissen, ich lernte mit Begeisterung und ich nutzte die neue Freiheit für lauter Verrücktheiten: nachts schwimmen, fast nichts essen, Unmassen von Seminaren besuchen, viele Referate übernehmen und zugleich tanzen und Transvestitenbars aufsuchen. Die Welt stand mir voller Neuigkeiten offen, dachte ich. Ich wollte gar nicht aufhören zu studieren.

Ich warf mich in die Politik, die sozialistische, ging ins Studentenparlament, in die Antiatombewegung. Da war kein Gedanke an Frauenunterdrückung, ich fühlte mich unter den vielen Studenten als Gleiche unter Gleichen. Nach zehn Semestern begann ich, hart an einer unmöglichen Dissertation zu arbeiten.

Dann wurde ich unverhofft schwanger. Nach langen Monaten, in denen ich immer schwerer und unbeweglicher wurde, während das Wesen in meinem Bauch immer heftiger strampelte und mich nicht einmal mehr nachts schlafen ließ, kamen die endlosen Stunden der qualvollen Zerreißung und dann war das Kind da und alles war verändert.

Ich liebte mein Kind sofort und war bereit, mein Leben für es zu geben. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erraten, dass ich den Posten der Zuhausebleibenden übernahm, obwohl dies überhaupt nicht dem bisherigen studentischen Leben meines Partners und mir entsprach. Ich schrieb seine Bewerbung für einen Fernsehsender in Köln, wir verließen die Universität ohne Examen. Ich landete in einem Dorf in der Nähe von Köln und hatte nichts mehr als ein glückliches, meist schlafendes Baby: keine Universität und keine anderen Studierenden, keine Bücher, kein Lernklima und auch sehr schnell immer weniger Energie. Ich saß in einer Falle.

Suizid oder Ausbruch?

Aus meiner damaligen Perspektive hatte ich nur zwei Möglichkeiten: Suizid oder Ausbruch. Ich ging 1968 davon aus, dass die Frauenbewegung unterwegs ist, das Schicksal der unzähligen Frauen, die mit kleinen Kindern im häuslichen Käfig eingesperrt sind, zu ändern - und dass es diese Frauen selber tun müssten. Jammere nicht, leiste Widerstand, war unsere erste Losung.

Ich floh aus dem Haus in Köln, eilte mit dem Kind wieder nach Berlin. Es war sehr schwierig, den Mann zu verlassen und doch alles neu und anders zu machen. Mein studentisches Selbstbewusstsein hatte ich als Hausfrau verloren. Ich ging sogleich in Versammlungen und tat, was ich von da an immer tat: Ich versuchte, Grund und Ursache für die Frauenunterdrückung in der Gesellschaft zu finden und andere dafür zu gewinnen, dieser immer dringlicheren Frage nachzugehen. Mein Eintritt in diese Bewegung war getragen von der Hoffnung, dass wir Lage und Schicksal aller Frauen ändern könnten.

Frigga Haug 1977

Frigga Haug sucht seit 1968 nach Ursachen für die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft. Zu ihrer eigenen Befreiung verließ sie damals ihren Ehemann. Das Bild zeigt sie 1977.

(Foto: Copyright Argument Verlag)

Die Studentenbewegung war eine männliche Bewegung, die mit der Unruhe und den Fragen, der Verzweiflung der Frauen gar nichts anfangen konnte. Wir sozialistischen Frauen bezweifelten, dass die allgemeine Befreiung, zu der die Studentenbewegung aufgebrochen war, je erreicht werden konnte, wenn sie unsere Fragen nicht aufnähmen. Sie waren ja als Männer nur die Hälfte der Erde und des Himmels. In den Zeiten der Bewegung erfuhr ich und fühlten wir die Ignoranz der männlichen Studentenbewegung wesentlich als deren Mangel. Wir waren bereit, ihnen auf die Sprünge zu helfen und gingen offensiv gegen die Missachtung vor."

Frigga Haug, geboren 1937, ist Soziologin und Philosophin. Sie engagierte sich als Studentin in der Antiatombewegung, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund und als führende Persönlichkeit im Sozialistischen Frauenbund Westberlin.

"Wenn Frauen zusammen reden, ist es Klatsch"

"In den Anfängen der 68er-Bewegung war ich immer der Meinung, Frauen könnten alles erreichen, sie müssten sich nur darum bemühen. Die Rolle, die uns in der Gesellschaft vorbestimmt war, fiel mir zum ersten Mal auf, als ich ein Kind hatte. Ich hatte nach dem Studium begonnen, als freie Reporterin für den Rundfunk zu arbeiten. Nun stand ich zu Hause mit dem Baby und wusch ab - und hörte meine Kollegen im Radio, die genau das machten, was ich auch machen wollte. Das war 1970, 1971, 1972. Dann beauftragte mich der Sender damit, Germaine Greers Der weibliche Eunuch zu lesen.

Da war dieser Satz, sinngemäß: Wenn Frauen zusammenstehen und reden, ist es Klatsch. Wenn Männer zusammenstehen, reden sie über Politik und es ist ganz wichtig. Frauen werden abqualifiziert, wahrscheinlich auch, weil Männer Angst haben, es könnte über sie geredet werden. Ein männlicher Abwehrmechanismus. Ich fühlte mich persönlich angesprochen von dieser Frau.

Einfach alles in diesem Buch hat mir die Augen geöffnet, es war total irre: dass man diese weiblichen Stereotype anbetet und wir Frauen alles tun, um sie zu erfüllen. Schlank, jung, großer Busen. Was man durch die Sozialisation als Frau mitbekommen hat, ohne es zu merken. In Berlin gab es die Frauengruppe 'Brot & Rosen', der habe ich mich angeschlossen. Später habe ich zusammen mit anderen Frauen die erste feministische Fachzeitung gemacht, Frauen und Film.

Die Dynamik war toll, ich war damals 30, wir haben uns getroffen, geschrieben, das Geschriebene gelesen und darüber diskutiert. Die Männer wurden immer verunsicherter. Als ich anfing, an der Volkshochschule Kurse über Geschlechterrollen zu geben, gab es 'Frauenkurse, auch für Männer'. Wir konnten uns gar nicht vorstellen, irgendetwas ohne Männer zu machen. Ein Mann leitete diese Veranstaltung. Es dauerte kein Jahr, dann waren die Kurse plötzlich nur für Frauen. Die Männer fühlten sich ausgeschlossen. Wenn wir bei mir zu Hause tagten, waren da auch nur Frauen. Und wenn mein Mann durch das große Zimmer durchging, weil er in die Küche wollte, war er ein Fremdkörper, obwohl es auch seine Wohnung war.

"Die Frauen dachten, wir wollten ihnen die Pille wegnehmen"

Wir haben Frauen, die abtreiben wollten, im Berliner Frauenzentrum in der Hornstraße beraten - und wurden auch von Frauen kritisiert. In unserer Gruppe waren Ärztinnen, die über die unerforschten Wirkungen der Pille gesprochen haben. Das führte zu Konflikten. Die Frauen dachten, wir wollen ihnen die Pille wegnehmen! Dabei hatten sie vom Geschlechtsverkehr überhaupt nichts. Wir fragten, ob sie Orgasmen gehabt hatten. Und sie antworteten: 'Nein, wie denn?'

Rückblickend hat es uns wahrscheinlich geholfen, dass wir gewisse Stereotype erfüllten. Ich glaube heute, dass die Frauenbewegung so einen Run hatte, weil wir jung und schön waren. Wenn wir das heute machen würden, dann würden die sagen: Die alten Schrippen, was wollen die denn? Denken die etwa, die sind zu kurz gekommen?"

Gesine Strempel, geboren 1940 in Berlin, ist Journalistin und Übersetzerin. Ab 1967 hat sie die frauenpolitische Sendung "Zeitpunkte" des Kulturradios SFB und die feministische Filmzeitschrift "Frauen und Film" mitinitiiert und gestaltet. Mit der Frauengruppe "Brot & Rosen" setzte sie sich für Frauen ein, die abtreiben wollten.

Was von den 68ern bleibt
68er Revolte

Vom tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg über die Massendemonstrationen bis zum blutigen Terror der RAF: SZ-Texte, Interviews und Fotos zur 68er Bewegung finden Sie hier.

  • Vietnam-Demonstrationn im Februar 1968 in Berlin Von der Notwendigkeit sich zu engagieren

    RCDS, SPD, Linke. Student, Mittelbau, Alt-68er: Drei Generationen, drei politische Einstellungen. Was bleibt von der Studentenrevolte - und was können wir von 1968 lernen?

  • Rainer Langhans die uns die 68er hinterlassen haben

    Befreite Sexualität, Rock, Kinderläden, Reformunis, Emanzipation, Drogenexperimente, linker Terrorismus. Das wahre Erbe der 68er.

  • Vietnam Demonstration Rudi Dutschke Erich Fried "Eine falsche Vorstellung von Freiheit"

    Sozialphilosoph Oskar Negt im Gespräch über den Tod von Benno Ohnesorg heute vor 50 Jahren, die Studentenbewegung von 1968 - und ob ihm die AfD und Trump den Optimismus ausgetrieben haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: