Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt:Immmer weniger Vollzeitjobs

Immer weniger Angestellte haben eine Vollzeitstelle. Vor allem Frauen rutschen in unsichere Beschäftigungsverhältnisse ab. Dabei würden viele von ihnen lieber Vollzeit arbeiten.

Thomas Öchsner

Die Arbeitswelt in Deutschland driftet zunehmend auseinander. Auf der einen Seite gibt es mehr Leiharbeiter, befristet Beschäftigte und Teilzeitjobber. Auf der anderen Seite profitiert die große Mehrheit der Arbeitnehmer weiter von stabilen Arbeitsverhältnissen - aber nicht mehr in dem Umfang wie noch vor 20 Jahren. Zu diesem Schluss kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) gehört.

Lohnerhöhung für Fensterputzer gestoppt

Nur nicht abrutschen: Sichere Arbeitsplätze werden seltener. (Im Bild: Fensterputzer auf dem Dach des Dresdner World Trade Centers.)

(Foto: picture-alliance/ dpa)

IAB-Direktor Joachim Möller sprach von einer "zunehmenden Segmentierung der Arbeitswelt". Wenn der Gesetzgeber nichts unternehme, drohe die Kluft zwischen qualifizierten, gesuchten Arbeitskräften und den Geringqualifizierten mit schlechten Jobchancen noch größer zu werden. Schon jetzt gebe es eine große Gruppe am Arbeitsmarkt, "die vom Wachstum des gesellschaftlichen Wohlstands nicht profitieren", sagte Möller.

Die Zahlen des IAB zeigen, dass sich die Arbeitswelt seit der Wiedervereinigung erheblich verändert hat. Danach ist das normale Arbeitsverhältnis, also eine ungeförderte, sozialversicherungspflichtige, unbefristete Vollzeitbeschäftigung außerhalb der Leiharbeit, zwar kein Auslaufmodell. Doch die Dominanz dieses Modells schwindet: Derzeit liegt der Anteil dieser Stellen bei 60 Prozent. Vor 15 Jahren belief er sich noch auf zwei Drittel.

Besonders stark ist der Rückgang bei den Frauen, vor allem wegen des Booms der Teilzeitarbeit. Zwei Drittel der erwerbstätigen Männer können sich über einen solchen Vollzeitjob freuen. Bei den Frauen sind es nur die Hälfte. Wer so eine Stelle ergattert hat, bleibt dann auch gern lange: Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer liegt bei Normalarbeitsverhältnissen nach wie vor bei etwa zehn Jahren. Diese Vollzeitjobs sehen aber nicht mehr so aus wie vor 20 Jahren. "Sie atmen viel stärker mit der Konjunktur", sagte IAB-Vizechef Ulrich Walwei. So sehen Tarifverträge flexible Entlohnungsmodelle vor. In den Betrieben sind Arbeitszeitkonten weit verbreitet. Bei Auftragseinbrüchen nutzen die Unternehmen die Kurzarbeit. Zugleich haben allerdings unsichere Arbeitsverhältnisse deutlich zugenommen:

Befristete Beschäftigung: Fast jede zweite Neueinstellung ist befristet (ohne Auszubildende gerechnet). Vor zehn Jahren war es weniger als jede dritte. Es gibt heute etwa 2,7 Millionen befristet Beschäftigte - das sind rund eine Million mehr als Mitte der neunziger Jahre.

Die Krux mit der Leiharbeit

Selbständige: Ihre Zahl hat sich seit 1994 um knapp 900.000 auf 4,1 Millionen erhöht. Dies liegt vor allem am Zuwachs der Solo-Selbständigen ohne Mitarbeiter. Viele von ihnen seien, so Walwei, berufliche "Kümmerexistenzen".

Teilzeitjobs: Sie haben sich in den vergangenen 15 Jahren um 4,35 auf 8,7 Millionen in etwa verdoppelt. Etwa ein Fünftel der Teilzeit-Arbeitnehmer würden laut Umfragen gerne Vollzeit arbeiten. Tatsächlich dürfte aber gerade bei den Frauen die Quote höher sein. In Frankreich, wo es auf Grund der besseren Kinderbetreuungsangebote größere Wahlmöglichkeiten gibt, zeigten sich viel mehr Teilzeitbeschäftigte mit ihrer Situation unzufrieden, sagte Walwei.

Geringfügige Beschäftigung: Seit 1999 hat sich die Zahl der Minijobs um mehr als 1,1 Millionen auf 4,8 Millionen erhöht. Unberücksichtigt sind dabei die zwei Millionen, die diese steuerbegünstigte Beschäftigungsform als Nebenjob nutzen. Nach Ansicht der IAB-Forscher werden hier vom Gesetzgeber falsche Anreize gesetzt.

Leiharbeit: Sie hat sich seit 1994 mehr als verfünffacht. 2004 gab es in Deutschland etwa 140.000 Leiharbeiter. In diesem Jahr nähert sich die Zahl der Millionengrenze. Nur etwa sieben Prozent der Leiharbeiter können nach Angaben des Instituts in dem Betrieb bleiben, in dem sie eingesetzt werden. Nur zehn Prozent würden es schaffen, außerhalb der Zeitarbeitsbranche eine Festanstellung zu bekommen. Das IAB schlug ein neues Stufenmodell vor, um den Missbrauch der Leiharbeit einzudämmen. Demnach soll der Abstand bei der Bezahlung zwischen Stammbelegschaft und Leiharbeitern alle zwei Monate um jeweils ein Drittel sinken, bis nach einem halben Jahr das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt". So könne die Leiharbeit weiter ein Instrument für die Unternehmen sein, Auftragsspitzen auszugleichen. Andererseits werde so verhindert, dass Betriebe systematisch Stammarbeitskräfte durch Leiharbeiter ersetzen.

IAB-Chef Möller räumte aber ein, dass sich die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt wieder ändern können. Eine sinkende Arbeitslosigkeit und der Fachkräftemangel dürfte "die Position der Arbeitnehmer generell verbessern".

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