Englisch in der Grundschule:Fremdeln mit der Fremdsprache

Chinesisch im Kindergarten, Englisch ab der 1. Klasse: Je früher ein Kind eine Sprache lernt, desto besser, so die verbreitete Meinung. Experten aber bezweifeln, dass das wirklich sinnvoll ist - und wollen das Tempo nun wieder drosseln.

Roman Deininger und Tanjev Schultz

Je früher, desto besser. Diese Formel für das Erlernen einer Fremdsprache haben Eltern so verinnerlicht, dass viele ungeduldig werden, wenn ihr Kind nicht schon im Kindergarten Englisch oder gar Chinesisch lernt. Auch die Kultusminister haben reagiert: Mittlerweile beginnen alle Bundesländer bereits in der Grundschule mit der ersten Fremdsprache, in der Regel mit Englisch. Jedes Land hat allerdings sein eigenes Konzept. In einigen Ländern, etwa in Bayern, steht Englisch in der dritten Klasse auf dem Stundenplan, in anderen, wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, schon in der ersten Klasse. Ob es wirklich so früh sein muss?

Grundschüler pauken Englisch

Mittlerweile wachsen die Zweifel daran, ob Englischunterricht für Grundschüler wirklich sinnvoll ist.

(Foto: dpa)

Baden-Württembergs Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) will das Tempo nun wieder drosseln. In den Klassen eins und zwei würden viele Kinder noch nicht einmal ausreichend die deutsche Sprache beherrschen. "Eine Fremdsprache überfordert sie da nur." Stattdessen möchte Warminski-Leitheußer mehr Zeit haben, um die Kinder besser in Deutsch zu fördern.

Damit folgt sie dem Rat von Experten, die noch im Auftrag der früheren schwarz-gelben Landesregierung das Schulsystem begutachtet haben. Jürgen Baumert, einer der einflussreichsten Bildungsforscher des Landes, empfiehlt, mehr Ressourcen in den Deutsch-Unterricht zu stecken. Er verweist auf die hohe Zahl von Migranten, für die bereits Deutsch die erste Fremdsprache ist. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, haben bundesweit 31 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen "Migrationshintergrund", in Großstädten sind es sogar 46 Prozent.

Zwei Stunden Englisch (oder Französisch) pro Woche sind ohnehin wenig effektiv. Die Erstklässler werden spielerisch mit ein paar Vokabeln und dem Sound der Fremdsprache vertraut gemacht, im Unterricht wird viel gesungen: "Give me red! - Here you are. Give me green! - Here your are." Die Kinder gewöhnen sich so zwar früh an die englische Aussprache (was manche, die die eigenwilligen Artikulationsübungen des ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger noch im Ohr haben, lobenswert finden).

"Sprachbad" in bilingualen Schulen

Um jedoch größere Fortschritte zu erzielen, müssten die Kinder in ein "Sprachbad" eintauchen, wie es bilinguale Schulen bieten. So nennen es Pädagogen, wenn die Fremdsprache den gesamten Schulalltag durchzieht - und sich nicht nur auf ein paar isolierte Stunden beschränkt.

Die Formel "Je früher, desto besser" stimme eben doch nicht so pauschal, sagt der Vorsitzende des Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger. In seinem Verband sind Gymnasiallehrer organisiert, die den Nutzen des Englisch-Unterrichts in der Grundschule seit langem bezweifeln. Die Kultusminister hätten ja noch nicht einmal gemeinsame, klare Standards entwickelt - "es geht kunterbunt durcheinander", sagt Meidinger. Elternvertreter beklagen außerdem, dass viele Grundschullehrer für den Unterricht in Englisch oder Französisch gar nicht ausreichend qualifiziert sind.

Baden-Württemberg war bei der Einführung der Fremdsprache für Erstklässler im Schuljahr 2003/04 Vorreiter. Die damalige Kultusministerin Annette Schavan (CDU) sprach von einem "pädagogischen Meilenstein". Nun könnte Baden-Württemberg auch das erste Land sein, das die Reform zurückdreht. An den Grundschulen gibt es dringendere Herausforderungen, als den Schulanfängern "Good morning" und "Hello" beizubringen.

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