Englischunterricht für Sechsjährige:Grundschüler - Lost in Translation

Wo aus "Attention" "Addenschn" wird: Englischunterricht in der Grundschule bringt oft weniger, als sich Eltern erhoffen. Am Ende bleiben den Kindern nur ein paar Wörter im Gedächtnis. Das liegt auch an den Methoden der Lehrer.

T. Baier

Max Schmidt erinnert sich lebhaft an einen Besuch in einer Grundschule in Hof, zu dem er vor einigen Jahren zusammen mit der damaligen Kultusministerin Monika Hohlmeier eingeladen war. Zur Begrüßung sangen die Kinder mit ihrer Englischlehrerin aus vollem Hals und in schönstem Fränglisch: "Addenschn, addenschn, es kommen viele Menschen." Noch heute klingt dem Vorsitzenden des bayerischen Philologenverbands die falsche Aussprache des englischen Wortes "attention" im Ohr.

Grundschüler pauken Englisch

Englisch-Unterricht  haben sie - trot zdem können viele Grundschüler am Ende nur ein paar Wörter.

(Foto: dpa)

Kurz zuvor - im Jahr 2000 - war das Fach Englisch in der dritten und vierten Grundschulklasse eingeführt worden. Bis heute reißt die Kritik an der angeblich oft mangelhaften Qualität des Unterrichts nicht ab. "Die Aussprache, die den Kindern in der Grundschule beigebracht wird, ist oft schlecht", sagt Wolfgang Judenmann, der im Philologenverband für moderne Fremdsprachen zuständig ist. "Nach zwei Jahren Englisch kennen manche Schüler lediglich die Wörter bird, dog und cat und vielleicht noch die Farben blue, black und green." Andere seien zwar in der Lage, ausgefallene Obstsorten und seltsame Tiere auf Englisch zu bezeichnen, hätten aber gleichzeitig große Lücken beim Grundwortschatz.

Vor zehn Jahren war kaum eine Grundschullehrerin dafür ausgebildet, Englisch zu unterrichten. Nach einwöchigem Crash-Kurs sollten die Pädagogen ihren Schülern damals neben Deutsch, Mathe und vielem anderen auch noch Englisch beibringen. "Das war natürlich in der angestrebten Qualität von heute auf morgen nicht möglich", sagt Rudolf Wastl-Mayrhofer, der im staatlichen Schulamt in München für Fremdsprachen zuständig ist. "Doch wir werden immer besser." Inzwischen belegen fast zwölf Prozent der angehenden Grundschulpädagogen Englisch im Studium als Unterrichts- oder Didaktikfach.

Doch die Fachlehrer vor allem an den Gymnasien beklagen nach wie vor extrem unterschiedliche Englischkenntnisse der Fünftklässler. Daran habe auch der sogenannte konkretisierte Lehrplan kaum etwas geändert, der seit dem Schuljahr 2004/2005 gilt und vorschreibt, welche Wörter und welche Grammatikstrukturen die Schüler am Ende der vierten Klasse können sollten. "Wir wollen am Ende der Grundschulzeit verlässliche 'Andockstellen' vorfinden, an denen die weiterführenden Schulen anknüpfen können", sagt Judenmann.

Doch die Vorbereitung auf den Fremdsprachenunterricht am Gymnasium oder an der Realschule ist gar nicht das Ziel des Englischunterrichts an der Grundschule. Der Schwerpunkt liegt auf einer spielerischen Begegnung mit einer fremden Sprache und einer anderen Kultur. Die Kinder sollen Englisch vor allem hören und verstehen.

Schüler werden unterschätzt

"Am Gymnasium wird dann plötzlich erwartet, dass sie die bekannten Wörter auch schreiben und lesen können", sagt Heiner Böttger, Fremdsprachendidaktiker an der Katholischen Universität Eichstätt. "Da prallen unterschiedliche Vorstellungswelten aufeinander", heißt es aus dem Kultusministerium. "Die enorme Erwartung an die Kinder aus der Grundschule kann nicht immer der Realität entsprechen." Außerdem sei es durchaus auch Aufgabe des Gymnasiums, Schüler mit unterschiedlichen Vorkenntnissen auf ein gemeinsames Niveau zu bringen.

Zumindest von der Methodik her ist der Englischunterricht an der Grundschule nach Ansicht von Heiner Böttger oft sogar fortschrittlicher als der am Gymnasium. Viele Grundschulpädagogen sind froh, dass es kein einheitlich vorgeschriebenes Lehrbuch für Englisch in der Grundschule gibt. "Dadurch kann man den Unterricht freier gestalten und besser auf die Interessen der Kinder eingehen", sagt Jochen Vatter, Fremdsprachenexperte beim Bayerischen Lehrerund Lehrerinnenverband (BLLV). Es gehe darum, die Freude an der fremden Sprache zu wecken und den Schülern Erfolgserlebnisse zu vermitteln.

Die Englischlehrer am Gymnasium müssen sich dagegen an die sogenannte Progression halten, die streng vorschreibt, wann was gelernt werden muss. Das hat oft zur Folge, dass der Unterricht sehr "buchdeckelorientiert" ist, sagt Vatter. Gleichzeitig werden die Fähigkeiten der Schüler unterschätzt. Die Vergangenheitsform etwa, die man eigentlich ständig braucht, wenn man etwas erzählen will, kommt erst in der sechsten Klasse dran. Und in einem Englischbuch für die zehnte Realschulklasse hat Böttger im neuen Wortschatz Begriffe wie "playstation" und "grandfather" entdeckt, die viele schon in der Grundschule kennen. Am Gymnasium sei immer noch die Aufgabe "Translate" weit verbreitet, bei der die Schüler einen Text Wort für Wort übersetzen müssen - "eine überholte Methode", ärgert sich Böttger.

Doch auch der Unterricht an der Grundschule sei noch verbesserungsfähig, meint der Fremdsprachendidaktiker. So müsste es viel mehr Fortbildungen für die Lehrer geben - am besten mit Dozenten, deren Muttersprache Englisch ist. Gerade in der Grundschule sei die korrekte Aussprache extrem wichtig, da Kinder in diesem Alter Sprachen vor allem durch Imitation lernen. Viele Grundschullehrer arbeiten zudem mit Materialien, die für Vierjährige mit Englisch als Muttersprache entwickelt wurden. Das führt unter anderem dazu, dass Grundschüler vor allem Substantive und Adjektive lernen, aber viel zu wenige Verben, um sinnvolle Sätze bilden zu können.

Das größte Problem ist aber, dass viele Lehrer an den weiterführenden Schulen gar nicht wissen, wie der Englischunterricht an der Grundschule abläuft und umgekehrt. Die Leidtragenden sind die Schüler. Um ihnen den Übertritt von einer Schulart auf die andere zu erleichtern, müssten sich alle Beteiligten aufeinander zu bewegen, sagt Böttger. Die weiterführenden Schulen könnten beispielsweise im ersten Halbjahr nach dem Übertritt den spielerischen Ansatz der Grundschule aufnehmen. Denkbar wäre auch, die erste Schulaufgabe in Englisch durch eine mündliche Prüfung zu ersetzen. Die Lehrer in der Grundschule könnten den Kindern das Schriftbild der englischen Wörter zumindest anbieten. Erste Ansätze für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Schularten gibt es bereits: In vielen Städten und Gemeinden gibt es so genannte Kleeblätter: Veranstaltungen, bei denen sich Lehrer verschiedener Schularten treffen und sich gegenseitig im Unterricht besuchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: