Einbürgerungstest:Auf Deutschland-Kurs

Das Grundgesetz als Taschenbuch, Fotoalben aus Bayern: Wie sich Ausländer in der Berliner Volkshochschule auf den neuen Einbürgerungstest vorbereiten.

Elmar Jung

Der Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft führt durch einen schlecht beleuchteten Hinterhof. Adlan muss genau hinschauen, damit er nicht von dem gepflasterten Weg abkommt, der ihn zu einem roten Backsteinbau führt. Hier, in einem alten Gebäudeteil der Fritzlar-Homberg-Grundschule in der Nähe des Berliner Tiergartens, bereitet sich der 54-jährige Tschetschene gemeinsam mit 19 anderen Ausländern aus 14 Nationen auf jenen Einbürgerungstest vor, den seit dem 1.September jeder bestehen muss, der keinen deutschen Schulabschluss nachweisen kann, aber einen deutschen Pass haben will.

Einbürgerungstest

Einbürgerungstest: Die Tests stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Verfügung und übernimmt die Korrektur der Fragebögen.

(Foto: Foto: dpa)

Früher lernten Kinder hier das Lesen und Schreiben. Heute lernen Erwachsene alternative Heilmethoden oder Kochen, und im Raum 325 findet der Pilotkurs statt, der Menschen aus aller Welt beibringen soll, gute Deutsche zu sein. In der spartanisch eingerichteten Cafeteria sitzt eine ältere, füllige Frau im Blümchenkleid und liest in einer Taschenbuchausgabe des Grundgesetzes, "zur Vorbereitung auf den Kurs", wie sie betont.

Wie Schulkinder

17 sind an diesem Montagabend gekommen - sie stammen aus Indien und Mazedonien, der Türkei, Nigeria oder Kolumbien. Sie alle wollen die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch wenn sie sich dabei noch einmal wie Schulkinder vorkommen müssen. Kursleiterin Petra Voss heftet das "Bundesland Bayern" an die Pinnwand. Das Schloss Neuschwanstein und jede Menge Dörfer mit einem Kirchturm in der Mitte sind darauf abgebildet. Die Bewohner Bayerns, so lernen die Kursteilnehmer, sind gläubig, überwiegend Christen und katholisch.

Der fünfwöchige Einbürgerungskurs entstand auf Initiative der Volkshochschulen Neukölln und Berlin Mitte. Verpflichtend ist er nicht. Die Teilnehmer haben sich freiwillig dazu entschlossen. Der Pilotkurs kostet inklusive Prüfung 30 Euro. Die Gesamtkursdauer von 60 Stunden wird auf drei Sitzungen in der Woche verteilt. Der Test, der am 22.September in Berlin startete, besteht aus 33 Fragen zur "Rechts- und Gesellschaftsordnung" und zu "den Lebensverhältnissen in Deutschland", von denen in der Prüfung mindestens 17 richtig beantwortet werden müssen, um zu bestehen. Die Abnahme der Prüfungen obliegt bundesweit den Volkshochschulen. Die Tests stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Verfügung und übernimmt die Korrektur der Fragebögen.

Große Motivation

"Heute beginnen wir mit Föderalismus", sagt Voss, und dann stellt sie Fragen aus dem Einbürgerungstest. Wie viele Bundesländer hat die Bundesrepublik? Wie werden die Regierungschefs der meisten Bundesländer genannt? Wer bestimmt die Schulpolitik? Die Antworten kommen blitzschnell - und sind ausnahmslos richtig. Es scheint sich hier um eine Musterklasse zu handeln, die Teilnehmer überschlagen sich regelrecht in dem Bemühen, der Kursleiterin mit korrekten Antworten zu gefallen. Nur Adlan aus Tschetschenien spricht nicht viel.

Vor acht Jahren kam Adlan nach Deutschland. Daheim hat er für sich und seine Familie keine Zukunft gesehen. Dabei hat Adlan viel aufgeben müssen, der Abschied aus seiner Heimat ist ihm nicht leicht gefallen. In Grosny studierte er Ökonomie. Später arbeitete er in der Administration des vor drei Jahren erschossenen Ex-Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow. In Deutschland ist sein Diplom nichts wert, Adlan muss sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Seine Motivation ist groß, seine Zuversicht auch. "Die Fragen sind nicht so schwer, ich werde die Prüfung schaffen", sagt er.

Auf der nächsten Seite: Warum einige Prüflinge zum Einbürgerungstest antreten, ohne vorher einen Kurs besucht zu haben.

Auf Deutschland-Kurs

Wertneutrales Wissen

Tatsächlich macht in diesem Kurs niemand den Eindruck, als könnten ihn die Fragen ernsthaft in Schwierigkeiten bringen. "Die werden den Test wohl alle meistern", sagt Kursleiterin Voss. Es traten aber auch andere Prüflinge an. Solche, die den Einbürgerungstest probieren wollen, ohne vorher einen Kurs besucht zu haben. 150 Anmeldungen gab es allein für Berlin-Mitte, nur 20 von ihnen hatten das Schulungsangebot in Anspruch genommen. "Ich bin überrascht, dass es so wenige sind", sagt Michael Weiß, der den Kurs für die Volkshochschule entwickelt hat. Trotzdem gehörte er lange zu den Gegnern eines bundesweit verpflichtenden Einbürgerungstests. Immerhin sei man von dem vor zwei Jahren angedachten Gesinnungstest wieder abgekommen, sagt er. "Das trockene Abfragen von Wissen ist zumindest wertneutral."

Nicht alle wollen oder können sich mit der neuen Realität so gut arrangieren wie Weiß. Politiker und Migrantenverbände sprechen von einer zusätzlichen Hürde bei der Einbürgerung. Der Integrationsbeauftragte der Stadt Berlin, Günter Piening, sieht den Test als falsches Signal, der das Verfahren nur noch komplizierter mache. Tatsächlich ist die Zahl der Einbürgerungen in den vergangenen Jahren ohnehin schon zurückgegangen, 2007 um 9,5 Prozent auf 113.000 Frauen und Männer.

"Nutzloser Test"

Inzwischen sind Petra Voss und ihre Schüler beim Thema Rente angekommen. "Die gibt es laut Gesetz in Deutschland ab 65", erklärt die Kursleiterin. "Ja, das schon", sagt einer, "aber auch nur wenn man es überhaupt schafft, bis dahin Arbeit zu haben." Alle lachen. Nur Vivian aus Nigeria nicht. Die 24-Jährige malt gelangweilt Kringel auf ein Stück Papier. "Ziemlich scheiße" findet Vivian es, dass sie den Test machen muss. Immerhin lebe sie seit sieben Jahren in Deutschland und sei mit einem Deutschen verheiratet. Als Model ist Vivian viel unterwegs. London, Paris, Mailand - und bei jeder Einreise muss sie einen Visumantrag stellen, "das nervt". Also will sie Deutsche werden, selbst wenn sie dafür diesen "nutzlosen Test" bestehen muss.

So richtig überzeugt von der Sinnhaftigkeit des Einbürgerungstests ist auch Michael Weiß bis heute nicht. Sinnvoller findet er die zahlreichen Integrationskurse inklusive Sprachunterricht, bei denen die Teilnehmer nicht nur die Antworten auf ein paar Fragen auswendig lernen. Peinlichst hat Weiß deshalb bei der Entwicklung des Kurses darauf geachtet, dass sich dessen Inhalte nicht zu nahe an den Testfragen bewegen. Denn dass sich einbürgerungswillige Ausländer ganz allgemein mit Geschichte, Gepflogenheiten und Kultur ihrer neuen Heimat auseinandersetzen, "ist doch sinnvoll, oder"?

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