Studium:Das duale Studium boomt

Lernen Beilage SZ 16.3.2017

Mit einem Bein im Job, mit dem anderen an der Uni.

Immer mehr Menschen absolvieren Ausbildung und Bachelorstudium parallel. Das hat nicht nur finanzielle Vorteile.

Von Joachim Göres

Vor dreieinhalb Jahren hat Anika Wohlers mit ihrer Ausbildung in einem Fitnessstudio in Hannover begonnen, jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss: Anfang dieses Jahres hat sie den Titel Bachelor of Arts Fitnesstraining erhalten. Die 22-Jährige ist eine von 95 000 dual Studierenden in Deutschland; sie gehört also zu den jungen Leuten, die eine Berufsausbildung und zugleich ein Bachelorstudium absolvieren.

Zusätzlich zu ihrer betrieblichen Ausbildung studiert Wohlers an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHFPG) mit Hauptsitz in Saarbrücken. Die staatlich anerkannte private Hochschule zählt 7100 Studenten. Wohlers war alle sechs Wochen zu mehrtägigen Präsenzphasen zum DHFPG-Studienzentrum nach Köln gefahren. Dort wurde sie von Dozenten in Fächern wie Trainingslehre, Ernährung, medizinische Grundlagen, BWL, Marketing und Sportpädagogik unterrichtet. Zu Hause musste sie den Stoff abends nach der Arbeit und am Wochenende nachbereiten - an der nächsten Präsenzphase kann man nur teilnehmen, wenn man vorher einen Online-Test besteht.

Wer neben der Ausbildung noch studiert, dem bleibt nicht mehr viel Zeit für andere Dinge. Wohlers hat mehrere Jahre in der Judo-Bundesliga gekämpft - den Leistungssport musste sie aufgeben. "Auch der Kontakt zu Freunden ist während des Studiums weniger geworden. Das hing aber auch mit meinen Arbeitszeiten im Fitnessstudio zusammen", sagt sie. Warum nahm sie das in Kauf? "Ich kann die Kenntnisse aus dem Studium gleich im Beruf anwenden, das gefällt mir." Außerdem habe auch das Geld eine Rolle gespielt. Der Arbeitgeber zahlte die Studiengebühren von monatlich 330 Euro. Hinzu kam die Ausbildungsvergütung, die im ersten Jahr bei 325 Euro im Monat liegt. Davon musste Wohlers auch die Fahrten nach Köln und den dortigen Aufenthalt bezahlen. Letztlich spielte für sie die berufliche Perspektive eine entscheidende Rolle - langfristig will sie sich selbständig machen. "Darauf konnte ich mich durch das duale Studium gut vorbereiten."

Nur sieben Prozent der dualen Studenten steigen vorzeitig aus

Dual Studierende streben mehrheitlich eine Leitungsposition an und zeigen eine hohe Leistungsbereitschaft, um dieses Ziel zu erreichen - das ist ein Ergebnis der Studie "Dual Studieren - und dann?" des Instituts Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen. Die Autoren haben 2015 online 9285 duale Studenten in ganz Deutschland befragt. 58 Prozent der Interviewten haben als höchsten Bildungsabschluss ihrer Eltern eine Berufsausbildung, 17,4 Prozent einen Uniabschluss angegeben. Zum Vergleich: Bei den Studierenden an deutschen Hochschulen insgesamt haben 36 Prozent der Eltern erfolgreich ein Studium absolviert.

Große Unterschiede gibt es laut der Studie zwischen einzelnen Branchen. 73,7 Prozent aller dual Studierenden aus dem Bereich der Energie- und Wasserversorgung sagen, dass die Freistellung für Lernzeiten zum Beispiel vor Prüfungen gut beziehungsweise sehr gut geregelt gewesen sei - bei Studenten aus dem Gastgewerbe bestätigen dies nur 33,5 Prozent. Generell gilt: Je größer der Betrieb, umso größer die Zufriedenheit mit der Betreuung und den Studienbedingungen. Die Abbruchquote ist beim dualen Studium mit sieben Prozent deutlich geringer als im Bachelor-Studium insgesamt (28 Prozent).

Fast drei Viertel der dual Studierenden haben eine Zusage für eine Übernahme nach erfolgreichem Abschluss. Dabei musste sich jeder fünfte sogar dazu verpflichten, eine bestimmte Zeit nach dem Ende des dualen Studiums seinem Ausbildungsbetrieb treu zu bleiben - so sollen sich die Ausgaben für die Studiengebühren für das Unternehmen rentieren, gerade in Berufen mit Fachkräftemangel.

"Arbeitsbelastung der Studierenden muss reduziert werden"

Mit dem Fachkräftemangel hat auch das Handwerk zu kämpfen. Durch die wachsende Popularität des dualen Studiums sowie des Hochschulstudiums an sich wird dieses Problem aber nicht gelöst, sondern verschärft sich: Die Anzahl der Bewerber für eine handwerkliche Ausbildung sinkt dadurch - so die Erfahrung von Nadine Grün, bei der Handwerkskammer Hannover für die Beratung der Betriebe zuständig. Als Reaktion darauf bieten seit 2014 die Handwerkskammer Hannover und die Fachhochschule des Mittelstands das triale Studium Handwerksmanagement an. Binnen viereinhalb Jahren kann man den Gesellen-, den Meister- und den Bachelortitel erwerben. "Wer an der Uni das Studium abbricht, steht mit leeren Händen da. Wer bei uns den Bachelor nicht schafft, hat zumindest den Gesellen- oder Meistertitel", sagt Grün. Von den derzeit 20 Studierenden sind die Hälfte Uni-Abbrecher.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat gerade eine Bestandsaufnahme zum dualen Studium vorgelegt, das seit den Siebzigerjahren existiert. Danach hat sich die Zahl der Studiengänge innerhalb von zehn Jahren verdreifacht - heute gibt es hierzulande mehr als 1500 duale Studiengänge mit knapp 95 000 Studierenden. 39 Prozent von ihnen studieren Ingenieurwissenschaften, 32 Prozent Wirtschaftswissenschaften, zwölf Prozent Informatik, elf Prozent Erziehung, Gesundheit und Pflege. In seiner Stellungnahme kritisiert der DGB eine Verdrängung von Auszubildenden durch dual Studierende zum Beispiel in kaufmännischen Berufen.

"Die mitunter hohe Arbeitsbelastung der Studierenden muss reduziert werden", fordert Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende und ergänzt: "Unter dem Label 'duales Studium' firmieren vielfach Angebote, in denen es keine vernünftige Verzahnung von Hochschulen und Betrieb, von Theorie und Praxis gibt. Wir müssen den Begriff 'dual' schützen. Es dürfen nur solche Studienformate sich dual nennen, in denen akademische und berufliche Bildung auch wirklich integriert sind."

Der DGB spricht sich für ein gebührenfreies Studium aus und sieht die zunehmende Anzahl privater Hochschulen mit praxisorientierten Studiengängen kritisch. Das dürfe nicht zu Lasten der Studenten gehen, Unternehmen müssten immer für die Gebühren des dualen Studiums aufkommen - die Praxis sehe oft anders aus. Der Reifenhersteller Continental hat kürzlich als einer der ersten Dax-Konzerne mit Gewerkschaften eine Tarifvereinbarung für seine 520 dual Studierenden abgeschlossen, in der die Ausbildungsvergütung und die Übernahme der Studiengebühren durch Continental einheitlich geregelt werden.

Laut Rita Meyer, Professorin am Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung an der Uni Hannover, ist der Südwesten mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (34 000 Studierende) die Hochburg des dualen Studiums. Meyer hat 77 berufsbegleitende Studiengänge aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik näher unter die Lupe genommen. Dabei hat sie von dual Studierenden immer wieder die Überzeugung gehört, dass man studiert haben muss, um später im Beruf autonom handeln zu können. Deutliche Kritik formuliert Meyer an der häufig unzureichenden Didaktik. "Den Unterricht gestalten überwiegend Praktiker, doch die Studierenden brauchen auch Theorie", sagt Meyer. Sie hat aus ihren zahlreichen Untersuchungen zum Thema folgenden Schluss gezogen: "Jeder sollte zwei Jahre eine Berufsausbildung machen, erst danach dürfte mit dem Studium begonnen werden."

Anika Wohlers hatte mit 30 Kommilitonen im Studiengang Fitnesstraining angefangen, 20 hielten bis zum Bachelor durch. Wohlers will jetzt noch vier Semester bis zum Master berufsbegleitend weiterstudieren. "Da kann ich die Schwerpunkte betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Finanzen und Controlling vertiefen." Sie ahnt: "Dafür werde ich mehr tun müssen als für den Bachelor."

Das Portal Wegweiser-duales-studium.de ist nach eigenen Angaben ein unabhängiger Ratgeber. Es listet Unternehmen und Hochschulen auf, die bei dualen Studiengängen zusammenarbeiten .

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