Doppel-Karrieren und Familie:Vater, Mutter, Kind, Karriere

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Notorischer Zeitmangel, verständnislose Vorgesetzte - Paare, die zwei Karrieren und Familie gleichzeitig organisieren, stehen vor vielen Herausforderungen. Dagmar Müller hat erforscht, wie die Kombination trotzdem klappen kann.

Nicola Holzapfel

Notorischer Zeitmangel, verständnislose Vorgesetzte - Paare, die zwei Karrieren und Familie gleichzeitig organisieren, stehen vor vielen Herausforderungen. Dagmar Müller, Wissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), berichtet im DJI-Magazin Impulse über die Ergebnisse des Projekts "Karriereverläufe von Frauen".

Eine Familie gründen und trotzem zwei Karriere weiterführen - geht das? Dagmar Müller vom Deutschen Jugendinstitut hat das gemeinsam mit zwei weiteren Wissenschaftlerinnen erforscht. (Foto: dpa)

Was war das Ziel Ihrer Studie?

Dagmar Müller: Aus der Forschung weiß man, dass es problematisch ist, Beruf und Familie zu vereinbaren, wenn beide Partner hochqualifizierten Tätigkeiten nachgehen. Sie haben ein sehr knappes Zeitbudget zur Verfügung und verbringen auch als Paar wenig Zeit miteinander. Die Fragestellung unserer Studie war, was in den Beziehungen passiert, wie hochqualifizierte Paare die Aufgabenteilung aushandeln.

Gibt es da ein erkennbares Muster?

Müller: Die Paare entwickeln sehr unterschiedliche Strategien. Manchen wird es zu viel, zwei Karrieren und Kinder unter einen Hut zu bringen. Meist steckt dann die Frau für eine Weile beruflich zurück. Das ist zum einen die Reaktion auf die Rahmenbedingungen, hängt aber auch mit dem Beziehungskonzept der Paare zusammen. Wenn die Frau aus dem Beruf aussteigt, liegt das oft auch an der Vorstellung, dass eine enge Mutter-Kind-Beziehung wichtig ist und dass der Vater besser für den Lebensstandard der Familie sorgen kann. Anderen Paaren ist es wichtig, dass beide Karrieren gleichrangig sind. Hier sind dann zum Beispiel beide bereit, sich die Ernährer- und Betreuerrolle zu teilen und phasenweise beruflich zurückzustecken. Wobei bei Führungskräften die zeitliche Arbeitsbelastung immer noch hoch bleibt. Sie arbeiten dann eben 30 oder 40 statt 60 Stunden die Woche.

Welches Familienmodell ist im Alltag am einfachsten zu leben?

Müller: Es wird Eltern nahe gelegt, dass einer zu Hause bleibt. Das liegt an objektiven Gegebenheiten wie den Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen und den beruflichen Anforderungen. Alle Eltern, die das nicht machen, haben lebenspraktische Schwierigkeiten. Wie sollen sie es zum Beispiel lösen, wenn beide gleichzeitig auf Dienstreise gehen müssen? Und dann stehen sie auch unter moralischem Druck durch die Erwartungen von außen. Führungskräfte, die ihre Arbeitszeit reduzieren, werden von Vorgesetzten und Kollegen mit Fragen konfrontiert wie "Müssen Sie schon gehen?" oder "Warum waren Sie da nicht anwesend?" Und Mütter, die kurz nach der Geburt wieder an ihrem Arbeitsplatz sind, sehen sich dem "Rabenmutter"-Klischee ausgesetzt.

Wie gehen die Paare damit um, die sich dennoch entscheiden, beide Karrieren zu verfolgen?

Müller: Sie schaffen sich selbst ein förderliches Umfeld. Sie ziehen zum Beispiel in Metropolregionen und in Stadtteile, in denen viele Doppelverdiener-Familien leben. Und sie achten bei der Wahl des Arbeitgebers darauf, dass er etwa flexible Arbeitszeiten anbietet.

Und wie stemmen sie ihren Alltag?

Müller: Die von uns befragten Eltern haben bis zu vier Kinder. Sie haben ein sehr striktes Zeitmanagement. Teils wird Arbeit in die Abendstunden verlegt, wenn die Kinder schlafen. Sie organisieren viel, planen im Voraus, stimmen sogar ihre Blackberrys aufeinander ab. Viele Routineaufgaben werden auch delegiert, zum Beispiel an Putzhilfen, Kinderfrauen und Au-Pairs. Die Eltern äußern auch eine große Stressbelastung. Andererseits sind sie sehr zufrieden mit ihrem Lebensmodell.

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Kommt es in den Partnerschaften zu Konflikten?

Dagmar Müller, Sozialwissenschaftlerin, arbeitet seit 2007 als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Familien- und Geschlechterforschung und die soziale Ungleichheitsforschung. (Foto: privat)

Müller: Ja, zum Beispiel, wenn berufliche Termine kollidieren oder wenn kurzfristig die Kinderbetreuung ausfällt und auch die Großmutter nicht einspringen kann. Dann stellt sich ganz dringend die Frage, wer von beiden beruflich zurücksteckt. Oft ist das die Frau. Insgesamt beobachten wir, dass die Männer durchaus Familienarbeit übernehmen. Aber das Zeitmanagement und die Organisationsarbeit liegt eher bei den Frauen. Häufig bringen die Männer die Kinder morgens zur Krippe oder in die Schule und die Frauen holen sie ab. Dadurch können Männer auf die beruflichen Anforderungen flexibler reagieren und abends auch einmal länger bleiben.

Also sind es doch meistens die Frauen, die beruflich zurückstecken?

Müller: Wir hätten erwartet, dass sich hochqualifizierte Paare egalitärer verhalten und die Familiengründung für Frauen nicht so häufig zum Stolperstein wird. Es ist überraschend, dass sich selbst dann, wenn Paare auf Augenhöhe miteinander verhandeln, die traditionellen Muster durchsetzen. Das Ernährermodell spielt unterschwellig immer noch eine Rolle, auch bei den Frauen. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass Frauen, die faktisch selbst die Rolle der Familienernährerin übernehmen, dies nicht als Wunsch- oder Dauerzustand sehen.

Wann ist für Frauen, die Wert auf ihre Karriere legen, die beste Zeit, um eine Familie zu gründen?

Müller: Die Frauen in Führungspositionen, die wir befragt haben, sind eher später, ab etwa 35 Jahren, Mutter geworden. Das haben sie bewusst so angestrebt. Beruflich ist das von Vorteil, da sie sich bereits ein Standing erarbeiten konnten. Es hat auch Vorteile für die Partnerschaft. Wenn auch der Mann erste Karriereschritte schon hinter sich hat, kann es ihm leichter fallen, sich Zeit für die Familie zu nehmen. Frauen mit ostdeutschem Hintergrund schieben die Familiengründung jedoch nicht auf. Sie gehen pragmatischer damit um, denken "Das bekomme ich schon irgendwie hin."

Wie lange dauern die Familienpausen?

Müller: Karriereorientierte Mütter haben in der Regel kurze Erwerbsunterbrechungen. Sie gehen teilweise direkt nach dem Mutterschutz wieder in den Job zurück, wenn auch nicht unbedingt Vollzeit. Häufig helfen dann Verwandte zu Hause. Manche Mütter arbeiten im Home Office oder bringen ihr Baby mit ins Unternehmen. Eine Mutter nahm ihr Neugeborenes sogar mit auf die Baustelle. Das soll dem Arbeitgeber signalisieren: "Ich bin zwar Mutter, aber das heißt nicht, dass ich weniger karriereorientiert oder weniger leistungsfähig bin als vorher."

Nicht jeder hat die Verwandten vor Ort. Gerade von Führungskräften wird die Bereitschaft erwartet, mobil zu sein.

Müller: Es gibt Großmütter, die sogar ins Ausland pendeln, um ihre Enkel für mehrere Wochen am Stück zu betreuen. Oder die Paare engagieren eine Tagesmutter oder ein Au-Pair. Wenn beide ihre Karriere weiterverfolgen, stehen die Eltern unter sehr hohem Flexibilitätsdruck. Ihre Arbeitgeber konfrontieren sie mit zum Teil extremen Verfügbarkeitsanforderungen. Von Führungskräften wird erwartet, dass sie notfalls auch nachts eine E-Mail lesen und abends spontan für Besprechungen zur Verfügung stehen. Ein Vater erzählte, dass ihn sein Chef anrief, als er gerade bei einem Elternabend saß. Der Vorgesetzte ging ganz selbstverständlich davon aus, dass er sofort ins Büro kam. Eine Ganztagesbetreuung der Kinder mit festen Öffnungszeiten hilft diesen Eltern nur begrenzt weiter. Für ihre Work-Life-Balance müsste man im Berufsleben ansetzen. Es müsste zum Beispiel mehr Teilzeitmöglichkeiten für Führungskräfte geben. Auch die Vorstellung, was eine Führungskraft ausmacht, müsste sich ändern. Heute wird eine hochrangige Position gleichgesetzt mit langer Anwesenheit, Überstunden und ständiger Verfügbarkeit - unabhängig davon, ob das organisatorisch überhaupt notwendig ist.

Hinterfragen die karriereorientierten Paare das heutige Bild einer Führungskraft?

Müller: Manche akzeptieren es und sagen: "Der Beruf ist so anspruchsvoll, dass wir nicht beide Karriere und Familie zugleich haben können". Paare, die das Modell der geteilten Sorge leben, vertreten dagegen sehr offensiv, dass man als Führungskraft auch Teilzeit arbeiten kann. Das ist auch eine Frage der Unternehmenskultur und Branche. Im Öffentlichen Dienst zum Beispiel ist es für Führungskräfte etwas einfacher, Teilzeit zu arbeiten, als in manchen Bereichen der Privatwirtschaft.

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Hatten die befragten Männer, die ihre Arbeitszeit für die Familie reduzierten, berufliche Nachteile?

Müller: Es gibt informelle Ausschlussmechanismen. Zum Beispiel werden wichtige Informationen vorenthalten oder Besprechungen so gelegt, dass Teilzeitkräfte sie nicht wahrnehmen können. In zwei Fällen vermuten die Männer, dass eine Beförderung verschoben wurde. Sie ist dann später erfolgt, als die Väter wieder Vollzeit gearbeitet haben. Die Karrieren werden entschleunigt, aber es gibt durchaus Aufstiege.

Haben Sie auch mit Müttern gesprochen, die eine längere Familienpause hatten?

Müller: Ja, es gibt beruflich erfolgreiche Frauen, die sehr früh Mutter geworden sind, und erst mit Mitte oder sogar Ende 30 wieder in den Beruf eingestiegen sind. Auch das kann funktionieren. Man kann keine allgemeine Empfehlung aussprechen. Doch eines lässt sich klar sagen: Die Unterstützung durch den Partner ist sehr wichtig.

Die bayerische Familienministerin Christine Haderthauer sagte einmal "Sucht euch den richtigen Mann". Hat sie Recht?

Müller: Auf jeden Fall. Wobei das umgekehrt auch für die Männer gilt. Wenn Paare zwei Karrieren verfolgen und das mit Kindern vereinbaren wollen, müssen beide Partner kompromissbereit sein. Wichtig ist vor allem, die Konsequenzen des eigenen beruflichen Handelns für den anderen stets mit zu bedenken. Was wir so nicht erwartet haben, ist, welchen Einfluss die Sozialisation hat. Männer und Frauen, die Doppelkarrieren führen, haben häufig selbst berufstätige Mütter gehabt. Und Paare, die in der DDR sozialisiert wurden, gehen mit der Kinderbetreuung in Krippen viel selbstverständlicher um.

Durch die Vätermonate scheint es immerhin etwas selbstverständlicher geworden zu sein, dass auch Väter eine, wenn auch kurze, Auszeit nehmen.

Müller: Die Vätermonate waren ein wichtiger erster Schritt. Aber noch immer geht nur eine Minderheit der Männer in Elternzeit. Die Arbeitszeiten müssen generell flexibler werden, nicht nur in der betreuungsintensiven Kleinkindphase. Gleichstellung und Familienfreundlichkeit dürfen nicht nur Lippenbekenntnis sein, sondern müssen auch umgesetzt werden. Es gibt auch gegenläufige Entwicklungen. In der Privatwirtschaft steigen die Erwartungen an die Mobilität und zeitliche Verfügbarkeit der Mitarbeiter. Es wird noch lange dauern, bis sich wirklich etwas verändert.

Dagmar Müller, Sozialwissenschaftlerin, arbeitet seit 2007 als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Familien- und Geschlechterforschung und die soziale Ungleichheitsforschung. Das im Februar 2011 abgeschlossene Forschungsprojekt "Karriereverläufe von Frauen" führte sie gemeinsam mit Nina Bathmann und Waltraud Cornelißen durch.

Mehr über das Thema "Aufwachsen in Deutschland: Wie Eltern, Jugendlichen und Kinder heute leben" finden Sie im aktuellen Magazin DJI-Impulse, dem dieses Interview entnommen ist.

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