Doping im Job:Koks, Frauen, schnelle Autos

Sven will Erfolg - um jeden Preis. Mit Kokain und Alkohol holt er aus sich heraus, was Körper und Geist ihm sonst versagen: ständige Leistung. Bis er völlig zusammenbricht.

P. Meyer

Als er sich ganz oben fühlt, steht er für knapp elf Millionen Euro gerade. Eine beachtliche Summe. Als Key Account Manager berät Sven Döllinger die Topkunden eines globalen Dienstleistungsunternehmens. 15 Jahre dauert der Aufstieg, anderthalb Jahre währt das scheinbare Glück. Danach rutscht er runter auf der Karriereleiter. Zwei Ehen, der Kontakt zur Tochter, sein ganzes Vermögen - alles geht drauf bei diesem Absturz. Weil er in den verhängnisvollen Kreislauf von Kokain und Alkohol gerät.

Doping im Job: Kokain fordert erbarmungslos Tribut: Es macht psychisch abhängig und führt zu Antriebslosigkeit, Verfolgungsangst, Depressionen oder Suizidgedanken.

Kokain fordert erbarmungslos Tribut: Es macht psychisch abhängig und führt zu Antriebslosigkeit, Verfolgungsangst, Depressionen oder Suizidgedanken.

(Foto: Foto: ddp)

In der psychosomatischen Fachklinik in Bad Herrenalb geht der 49-Jährige, der in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt, seit einigen Wochen den mühsamen Weg, seine Sucht zu verstehen und sich zu stabilisieren. Trocken ist er bereits seit sechs Monaten. Durchaus eine lange Zeit für jemanden, der diverse abgebrochene Entzüge hinter sich hat. Wer 18 Jahre lang abhängig war, weiß um die eigene Verführbarkeit. "Ich bin immer so weit vom Rückfall entfernt, wie meine Hand zum Glas greifen kann", gesteht er. Anders als früher jedoch sieht er seine Sucht heute als Krankheit. Und endlich nicht mehr als Willensschwäche.

Wenn Körper und Geist versagen

Jahrelang, so der Manager, sei er auf der Jagd nach Liebe und Anerkennung gewesen. Vergeblich. Da es zu schmerzhaft ist, dies täglich zu spüren, kleistert er das Bedürfnis zu, sucht ein Ventil und tappt in die Leistungsfalle. Er stürzt sich in Arbeit, um mit Erfolg zu glänzen. Mit Kokain und Alkohol holt er das aus sich heraus, was Körper und Geist ihm ohne Drogen versagen: ständige Leistung.

Anfangs sind es nur ein paar Gläser Wein am Abend, um nach 16 Stunden Arbeit überhaupt ein wenig entspannen zu können. Dann stecken ihm Kollegen auf der Herrentoilette erstmals heimlich Kokain zu. "Damit kannst du morgen wieder schön arbeiten", heißt es. So fängt es an mit der illegalen Leistungsdroge.

Beruhigungspillen für Befehlsempfänger

Klaus von Ploetz, Chefarzt der Fachklinik im Schwarzwald, schätzt, dass 40 Prozent seiner Patienten süchtig werden, weil sie den Druck im Job nicht aushalten, gemobbt werden oder keine Wertschätzung erfahren. Etwas mehr als die Hälfte dieser Gruppe greife zu Suchtmitteln wie Alkohol oder Kokain, die anderen schluckten Medikamente. "Die Leistungssteigerung unter Kokain oder Tabletten ist tatsächlich beeindruckend", erklärt der Arzt.

In den fünf Unternehmen, in denen Sven Döllinger über die Jahre arbeitet, trifft er stets auf Kollegen, die sich aufputschen. Vor allem auf der mittleren und oberen Ebene, wo Umsatz eine Rolle spielt. "Viele, die auf der Leistungsleiter tanzen und um Provisionen oder Gratifikationen kämpfen, haben sich gedopt", sagt der ehemalige Manager. Die anderen hingegen, die Befehlsempfänger, schlucken eher Beruhigungspillen, weil sie es sonst nicht aushalten. Schließlich "kriegen die Abteilungsleiter von oben die Peitsche und geben die Schläge direkt nach unten weiter".

Auf der nächsten Seite: Wie Kokain Döllinger schnell, präzise, beinahe genial erscheinen lässt - und er damit sowohl seine Kunden als auch Vorgesetzte überzeugt.

Geld, Autos, Frauen für den Helden

18 Jahre unter Hochdruck

Wenn Döllinger auf diese Jahre zurückblickt, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Nur manchmal verrät das Wörtchen "man", wie er Distanz zu sich selbst sucht, zu seiner früheren Rolle als Vorgesetzter: "Die Leute, die einem unterstellt sind, isst man auf, konsumiert sie. Sie werden in Bruchteilen von Sekunden abgehakt: als zu dumm, zu lahm, zu schwach. Schublade auf und rein. Wer ein positives Etikett kriegt, wird mit Arbeit zugeballert. Ob der damit klarkommt, ist egal. Es geht nur noch um die Leistung, die dabei herauskommt. Alles Menschliche geht verloren." Beim Blick zurück werden die Sätze kurz und schnell. Fast als nähme Döllinger sein früheres Tempo auf. 18 Jahre unter Hochdruck zu arbeiten, ist eine lange Zeit, die tiefe Spuren hinterlässt.

In lichten Momenten spürt er auch damals, wie verantwortungslos er sich als Manager verhält. "Eigentlich kotzt man sich selber an. Man sollte ja Vorbild sein." Doch diese Augenblicke werden weggedrückt, zu unangenehm sind sie verglichen mit dem, was das Leben auf der Überholspur verspricht. "Als Held macht man ein paar Millionen Umsatz am Tag, hat Sex mit mehreren Frauen, fährt ein schnelles Auto und kippt sich abends einen hinter die Binde."

"Skalpellartige Klarheit im Geist"

Immer öfter putscht er sich daher morgens mit Kokain auf, um auf Touren zu kommen. "Vor jeder Besprechung habe ich mir ein Näschen gezogen, um diese gewisse Euphorie auszustrahlen und Leute zu motivieren, die mir manchmal nicht lagen." Besonders aber fasziniert ihn die "skalpellartige Klarheit im Geist", die ihn schnell, präzise, beinahe genial erscheinen lässt. Und die sowohl seine Kunden als auch Vorgesetzten überzeugt. "Das war schon toll, wie ich mich da verkauft habe", schwärmt er noch heute. Dabei ist sein Talent auch ohne Drogen deutlich spürbar. Immer wieder blitzt der gewinnende Verkäufer in ihm auf, der bereitwillig erzählt und gleichwohl gern ablenkt. Wie um sich zu schützen vor Fragen, die ihm zu nahegehen.

Der Erfolg jedenfalls, der sich beruflich bei Döllinger einstellt, ist trügerisch. Kokain fordert erbarmungslos seinen Tribut. Es macht psychisch abhängig und führt zu massiven Nebenwirkungen wie Antriebslosigkeit, Verfolgungsangst, Depressionen oder Suizidgedanken. Um all das nicht spüren zu müssen, trinkt Döllinger immer mehr Alkohol - ein unheilvoller Kreislauf. Bis er zusammenbricht.

Immer nur Durchhalteparolen

Sucht und psychosomatische Beschwerden gehören für Klaus von Ploetz und sein Team in Bad Herrenalb eng zusammen. "Wir müssen beides gleichzeitig sehen, sonst schlägt die Therapie nur halb so gut an", sagt der Chefarzt. Denn die Symptome sind miteinander verquickt. "Unsere Patienten sehen Alkohol, Kokain oder Tabletten ja als Lösungsversuch, um eine andere Lebensqualität zu erreichen. Wir müssen also genau hinschauen, was mit dem Suchtmittel vermieden werden soll." Deshalb gibt es während des Klinikaufenthalts auch kein Internet, keinen Fernseher, keine Tageszeitungen und keine Bücherausleihe. "Damit wird der Mangel nur zugedeckt."

Döllinger weiß, dass er noch nicht über den Berg ist. Nach der Klinik wird er in eine betreute Wohngemeinschaft ziehen. Wenn es da gut läuft und er trocken bleibt, kann er umschulen. Die alte Branche ist für ihn jedenfalls tabu. Rückblickend meint er: "Es wäre toll gewesen, wenn mir einer meiner Vorgesetzten mal gesagt hätte, dass ich das alles zu verbissen sehe und etwas runterfahren soll. Ist aber nicht geschehen. Im Gegenteil: Es gab immer nur Durchhalteparolen."

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