Diskussion um Erzieher-Ausbildung:Ruf nach dem Baby-Bachelor

Kindertagesstätte ´forum thomanum"

Braucht es ein Studium, um Kleinkinder optimal zu fördern? (Bild aus einer Leipziger Kindertagesstätte)

(Foto: dpa)

Im Ausland ist ein Studium für Erzieher längst üblich. Nun wird der Ruf nach mehr Akademikern auch in deutschen Kitas lauter. Doch was würde das bringen?

Von Johann Osel

Wenn Diana Hechtel ihre Runde macht, einmal quer durch das Nürnberger Kinderbewegungshaus, dann ist es der jungen Frau anzumerken, dass ihr der Dauerkontakt mit den Kleinen ein wenig fehlt. Die 27-Jährige schaut etwa im Atelier des Horts vorbei, wo sich ein malendes Mädchen nicht im Geringsten vom burschikosen Geschrei am Tischfußball nebenan stören lässt; es geht in den Speisesaal, der Spinatgeruch über die halbe Etage verströmt, und zu den Kita-Kindern in die Turnhalle. Dort steht ein Klatsch- und Hüpfspiel an, entsprechend der Lautstärkepegel. Anders die Ruhe in der Krippe, wo alle Babys Mittagsschlaf halten, außer ein Junge, der sich wickeln lässt, ohne einen Mucks zu machen.

Die Arbeit in Kindergruppen kennt Diana Hechtel, als Geschäftsführerin hat sie aber andere Aufgaben - ein Rundgang durch ihre Einrichtung gehört dazu. Und wenn man von "ihrer" Kita spricht, meint das nicht nur, dass sie hier Chefin ist. Sondern Hechtel hat sie selbst entwickelt, die Räume, das pädagogische Konzept. Als Bachelor-Arbeit im Studiengang "Erziehung und Bildung im Kindesalter" an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg.

Gerade ist der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Unter-Dreijährige in Kraft getreten - die flächendeckende Aufstockung der Kapazitäten wurde besser gemeistert, als Kritiker befürchteten. Der Ausbau habe aber bestehende Qualitätsmängel verschärft, rügt der Kinderschutzbund.

"Unprofessionalität" bei der frühkindlichen Bildung

Bereits 2012 machte der Aktionsrat Bildung, das renommierte Forschergremium auf Initiative der bayerischen Wirtschaft, "Unprofessionalität" bei der gesamten frühkindlichen Bildung aus. Bis 2020 solle in jeder Kita oder Krippe eine Fachkraft mit Studium tätig sein. Die Häuser seien nicht mehr bloße Beschäftigungseinrichtungen für Kinder berufstätiger Eltern. So sei eine wissenschaftliche Unterfütterung der Konzepte nötig - am besten durch eine akademisch gebildete Leitung.

Eine OECD-Studie von 2004, die unter dem Namen "Baby-Pisa" kursierte, hatte dazu den Startschuss gegeben. Erzieher sollten an Hochschulen ausgebildet werden können, wie im Ausland üblich. Wegen der steigenden Bildungsansprüche schon in den ersten Jahren; und wegen des zusätzlichen Förderbedarfs, den etwa Migranten oft benötigten.

In Deutschland gab es lang Vorbehalte gegen die Akademisierung des Berufs, erst nach Baby-Pisa wurden Studiengänge vermehrt lanciert. Heute gibt es, je nach Zählweise, um die 50. Oft wird berufsbegleitend gelernt, wie in Nürnberg.

Fünf Jahre hatte Hechtels erste Erzieherausbildung gedauert, danach hat sie an der Front gearbeitet: in der Kita-Gruppe. Doch bald kam die Einsicht: "Das ist mir zu wenig. Es fehlte mir die strategische Betrachtung, das pädagogische Gerüst." Die Fränkin schrieb sich ein, sie arbeitete in Teilzeit aber weiter, um nicht den Anschluss an die Praxis zu verlieren und um Geld zu verdienen, den Lebensstandard zu halten. Überwiegend "gestandene", ältere Kita-Chefinnen traf sie im Hörsaal an, die alle mehr wissen wollten über die wissenschaftliche Basis von Erziehung und Bildung, über Lernforschung, Recht und Personalführung.

Schwerpunkt Sport

Für Hechtel bot sich dann "die einmalige Chance, etwa völlig Neues auf die Beine zu stellen". Denn der Sportverein ATV Frankonia Nürnberg beschloss, eine eigene Einrichtung zu bauen. Krippe, Kita und ein Hort für Grundschüler, gut 120 Kinder. Hechtel bewarb sich schon im Studium für die Leitung, wobei hierfür ein Grundkonzept verlangt wurde - Schwerpunkt Sport.

In der Einrichtung gibt es kaum einen Winkel, der nicht zum Bewegen einlädt: Die Räume sind spärlich möbliert, klar; Springen und Toben erfordert Platz. In den Ecken hängen Seilgärten zum Klettern, die Hocker sind ohne Lehne - damit die Kinder nicht herumlümmeln, und weil man mit den Kästen auch prompt eine Burg bauen kann. Die Plätze des Trägers werden genutzt, Trainer kommen ins Haus; Turnen, Fußball, Tennis, ohnehin sind alle betreuten Kinder automatisch Mitglied im Sportverein.

Was bei manchen Eltern auch zu verzerrten Erwartungen führt: "Viele Väter und Mütter kommen mit glasklaren pädagogischen Ansprüchen, sie erwarten Stundenpläne wie in der Schule", weiß Hechtel. Und aufgrund des Konzepts werde mitunter gar gefordert, "dass bei uns im Nu Spitzensportler herangezüchtet werden".

Es gibt kein Standardkind

Einige Eltern sind das, wohlgemerkt. In dem Nürnberger Stadtteil stammen die Kinder aus dem schicken Neubauviertel rechts von der Kita; oder aus der Hochhaussiedlung links. Die Eltern berufstätig und voller Verve für eine optimale Bildung ihrer Kinder - das gibt es. Oder den Fall, dass beide Eltern arbeitslos zuhause sitzen, und das Amt sie dazu überredete, ihr Kind ganztags betreuen zu lassen. Es gibt kein Standardkind, das hat Diana Hechtel im Studium gelernt; und versucht jetzt, das Gelernte an ihr Team weiterzugeben.

Dass die Studiengänge Nutzen bringen, ist unbestritten. Eine Absolventenbefragung der vom Bund mitgetragenen "Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte" zeigt: Der Übergang in die Praxis gelingt schnell, letztlich sind die gelehrten Erzieher im Job glücklich, fachlich fühlen sie sich gestärkt. Jedoch: Das Studium wirkt sich kaum auf den Lohn aus, mehr Geld gibt es in Leitungspositionen - diese hatten die vielen berufsbegleitend Studierenden ja schon zuvor inne.

Vielleicht sind Erzieher auch daher zögerlich mit der akademischen Qualifikation. Bundesweit arbeitet in nur 26,3 Prozent der Kitas eine Fachkraft mit Hochschulbildung. In Bayern kann weniger als jede fünfte Einrichtung akademischen Sachverstand bieten.

"Ohne das Studium hätte ich diesen Job nie gekriegt", sagt dagegen Diana Hechtel, bei ihr war die Hochschule Grundstein der Karriere. "Die ersten Jahre hat der Aufbau viel Kraft gekostet. Jetzt will ich, dass wir den Qualitätsanspruch, den ich habe, auch wirklich leben." Für die Eltern erstellt sie Tagesrückblicke, mit konkreten pädagogischen Zielen.

Projektarbeit hat Hechtel etabliert, abseits des üblichen Kita-Jahreszeitenschema - Blätter sammeln im Herbst, Weihnachtstrubel im Winter. So können sich die Kinder für Lern- und Bastelthemen einschreiben, die Welt der Ritter oder der Insekten. "Man muss den Kleinen was zutrauen, man ist aktiver bei der Sache, wenn man nichts Fertiges vorgesetzt bekommt."

Ein Satz, der auf ihre eigene Laufbahn ebenso gut zutrifft.

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