Diskriminierung von Bewerbern:Teure Ablehnung

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Unternehmen, die Bewerber und Angestellte diskriminieren, müssen mit Schadenersatzklagen rechnen. Oft reicht eine unvorsichtige Formulierung, um vor Gericht zu landen. Zwar gibt es schon eine ganze Reihe höchstrichterlicher Urteile - doch die Klagefreude ist weiterhin groß.

Catrin Gesellensetter

"Bessere Chancen für Diskriminierungsopfer", "Gericht stärkt Rechte abgelehnter Bewerber", "Schadenersatz für Manager wegen Altersdiskriminierung" - glaubt man der Berichterstattung aus den Gerichtssälen Europas, bricht für Jobaspiranten in Deutschland ein goldenes Zeitalter an.

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Abgelehnte Bewerber dürfen, so scheint es, mehr denn je darauf hoffen, von potenziellen Arbeitgebern fair und gerecht behandelt zu werden. Und wenn doch einmal etwas schiefgeht, klagt man eben auf Schadenersatz und lässt sich die (unerlaubte) Ablehnung der eigenen Person mit einer hübschen Geldsumme versüßen.

So sprach der Bundesgerichtshof (BGH) im April dieses Jahres einem betagteren Manager mehr als 36.000 Euro Schadenersatz zu, weil dieser seinen Job an einen jüngeren Kollegen verlor ( Az.: II ZR 163/10). Zuvor brandmarkte das Bundesarbeitsgericht eine Regelung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst als diskriminierend, weil die Zahl der Urlaubstage vom Alter der Beschäftigten abhing (Az.: 9 AZR 529/10).

Und der Europäische Gerichtshof entschied: Unternehmen, die einen Bewerber bei der Jobvergabe übergehen, ohne ihre Gründe offenzulegen, müssen damit rechnen, dass ihnen ihr Schweigen als Diskriminierung ausgelegt wird ( Rs. C-415/10).

Schöne neue Welt? Nicht ganz. Pessimisten warnen bereits vor Klagewellen, die angesichts der neuen Rechtsprechung über die Arbeits- und Zivilgerichte hereinbrechen könnten - und vor unabsehbaren Folgen für die Unternehmenslandschaft in Deutschland. Ein realistisches Szenario?

"Nein", sagt Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Sein Credo: Unternehmen, die jetzt noch wegen Diskriminierung verklagt werden, sind selbst daran schuld. "Alter, Geschlecht, Religion oder sexuelle Orientierung dürfen im Arbeitsrecht schon seit Langem keine Rolle mehr spielen", so der Jurist. "Wer das beachtet, dem kann niemand etwas am Zeug flicken." Einige Firmen hätten diese Tatsache aber offenbar noch nicht richtig verinnerlicht. Sie müssten jetzt durch Schmerzen lernen.

So gebe es zum Beispiel noch immer Stellenausschreibungen, in denen "junge Kollegen zur Verstärkung des Teams" oder eine "engagierte Sekretärin" gesucht werden. Ein Tabubruch mit Folgen. Interessenten, die sich, obgleich weder jung noch weiblich, dennoch auf die Stelle bewerben und eine Absage erhalten, haben gute Chancen, das Unternehmen auf Schadenersatz zu verklagen.

Allerdings gilt auch: Selbst wenn die Stellenausschreibung allen Regeln der politischen Korrektheit entspricht, ist ein juristisches Nachspiel nicht ausgeschlossen. "Es hat sich herumgesprochen, dass erfolglose Bewerbungen eine lukrative Einnahmequelle sein können", sagt Martin Diller, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei GleissLutz in Stuttgart. Diese Möglichkeit nutzen vielfach sogenannte AGG-Hopper, also Menschen, die das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) in erster Linie für ihre eigenen Zwecke nutzen.

"Gerade bei Jobs, die keine besonders hohen Qualifikationen voraussetzen, kommt es immer wieder vor, dass sich ein und derselbe Kandidat systematisch auf diverse Stellen bewirbt - und das nur, um nach seiner Ablehnung Schadenersatz wegen Diskriminierung zu verlangen", sagt Diller.

Derartige Verfahren würden zwar längst nicht immer zugunsten der Kläger entschieden. Das allerdings tut der Klagefreude der - echten oder vermeintlichen - Opfer aber keinen Abbruch. Verfahren wegen echter oder angeblicher Diskriminierungen gehören bei den deutschen Arbeitsgerichten auch weiterhin zur Tagesordnung.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus nachvollziehbar, dass den einen oder anderen Unternehmer die Angst umtreibt, nach dem BGH-Urteil könnten sich auch Geschäftsführer und Führungskräfte auf diese Taktik einschießen. Diese Befürchtung allerdings teilt Anwalt Diller nicht. "Das Risiko, sich durch einen solchen Rechtsstreit die Karriere zu verbauen, weil der Fall sich in der Branche herumspricht, dürfte den meisten doch zu hoch sein."

Größere Gefahren drohen seiner Meinung nach an anderer Stelle - und zwar, wenn es um Altersdiskriminierungen auf allerhöchster Ebene geht. "Die meisten Dax-Unternehmen definieren für ihre Vorstände derzeit eine Altersgrenze von 60 bis 65 Jahren", sagt Diller. Dieser Umstand gehe meist auf den sogenannten Corporate Governance Kodex zurück - immerhin ein Regelwerk, das eine Regierungskommission erstellt hat, und das Vorgaben für eine gute Unternehmensführung aufstellt. "Hier fehlt es ganz eindeutig noch am Problembewusstsein", so Diller.

Auch Arbeitsrechtsprofessor Rieble sieht diese Regelungen kritisch: "Es ist unanständig und rechtswidrig zu unterstellen, dass ein Mensch - gleich, ob Vorstand oder gemeiner Arbeiter - ab einem bestimmten Zeitpunkt tattrig ist und die geforderten Leistungen nicht mehr erbringen kann."

In Deutschland habe man sich viel zu sehr daran gewöhnt, Beschäftigte ab einem gewissen Alter auszusortieren. Nun sei es Zeit umzudenken. Allerdings ist Rieble sicher: "Bis es dazu kommt, wird es wohl noch einige Gerichtsurteile brauchen."

© SZ vom 13.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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