Dirigier-Seminare für Manager:Auf die Haltung kommt es an

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Jede Bewegung hat eine Bedeutung, jeder Fehler ruft eine unmittelbare Reaktion hervor: Wer ein Orchester dirigiert, lernt einiges über Führungsqualitäten. Deshalb greifen auch Manager zum Taktstock.

Maria Holzmüller

Die Arme sind es. Sie strecken sich weit in den Raum, kreisen theatralisch von oben nach unten - und vermasseln es einfach. Eine junge Frau steht mit Dirigierstab vor dem Rias-Jugendorchester in Berlin und sollte eigentlich den verträumt-zarten Anfang von Edvard Griegs Morgenstimmung aus Peer Gynt dirigieren. Sie wollte es besonders gut machen - und doch sorgte sie mit ihrer ausladenden Gestik dafür, dass das Orchester lauter spielte als eigentlich erwünscht.

Lernen von Sir Simon Rattle: In Dirigier-Seminaren sollen Manager ihre Führungsqualitäten ausbauen. (Foto: Reuters)

Das Missgeschick nimmt ihr niemand übel, sie ist schließlich keine gelernte Dirigentin, sondern Managerin in einem Großunternehmen. In einem zweitägigen Dirigier-Seminar will sie lediglich an sich und ihren Führungsqualitäten arbeiten. "Unternehmen und Orchester sind sehr verwandte Konstrukte. Es gibt in beiden Fällen die Abteilungen, die Teams von Spezialisten, deren Arbeitsergebnisse erst im Zusammenhang ihre Wirkung entfalten", sagt Christian Reichart, Geschäftsführer des Rias Jugendorchesters.

Diese vielen Abteilungen konsequent zu führen, sollen die teilnehmenden Führungskräfte vor dem Orchester lernen. Musikalische Vorkenntnisse brauchen sie dafür nicht. Einzige Vorbereitung: Die zu dirigierenden Musikstücke so oft anhören, dass sie sie mitpfeifen könnten. Die musikalischen Fähigkeiten nehmen im Seminar nur eine Nebenrolle ein, der Hauptaspekt liegt auf der Körpersprache der Dirigenten, auf ihrer nonverbalen Kommunikation. "Häufig drückt die Körpersprache etwas völlig anderes aus, als das, was der Dirigierende erreichen will", sagt Reichart. So wie bei der jungen Dirigentin der Morgenstimmung.

Das Orchester reagiert auf jede kleinste Geste. Sind die Anweisungen des Dirigenten nicht stimmig, bekommt er unmittelbar die Reaktion auf sein Verhalten - und die zwingt ihn, sein eigenes Verhalten genau zu analysieren. "Authentizität ist der entscheidende Aspekt dieses Seminars. Hier wird keine Führungssituation simuliert, hier besteht sie: Mehr als 50 hervorragend ausgebildete Musiker erwarten den maßgebenden Impuls, ihre Reflexion des Verhaltens der Dirigenten erfolgt unmittelbar", sagt Reichart, der die Dirigier-Seminare für Manager in Berlin vor drei Jahren ins Leben rief.

Stefan Beger, selbst Dirigent, zieht jetzt in München nach. In Seminaren für acht bis zehn Personen möchte er Führungskräften verdeutlichen, wie stark ihre nonverbale Kommunikation auf die Menschen, die sie führen, wirkt. "Dirigenten und Abteilungsleiter wollen ihr Team gleichermaßen zu Höchstleistungen motivieren", sagt Beger. Dafür müssen sie auch selbst etwas tun.

Es geht vor allem um Wahrnehmung und Präsenz, wie Jörg-Peter Schröder betont, der als Führungscoach das Dirigier-Seminar in München begleitet. "Jeder Teilnehmer muss sich bewusst werden, wie er vor seinen Mitarbeitern auftritt, wie seine innere Haltung in dieser Führungsposition ist." Unsicherheiten seien sofort zu spüren, Unmotiviertheit ebenso. Aber auch Verständnis für die einzelnen Musiker ist gefordert.

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"Beim Dirigieren geht es viel um Hören", sagt Beger. "Der Dirigent muss wahrnehmen, wie die einzelnen Instrumente spielen: Ist die Flöte hörbar, schaffen wir zusammen einen Gleichklang, haben die Streicher die richtige Lautstärke?" Ähnlich verhalte es sich auch im Unternehmen - nur wenn die einzelnen Abteilungen optimal arbeiten und zufrieden sind, kann das Gesamtergebnis optimiert werden.

Lorin Maazel als Vorbild für leitende Manager: Wer ein Orchester leitet, versteht was von Führungsqualitäten. (Foto: dpa)

Mit Fachkenntnissen alleine erreicht dieses Ergebnis niemand - weder ein Dirigent noch ein führender Manager. Es sind die sozialen, emphatischen Fähigkeiten, die den Führungsstil bestimmen. "Rumbrüllen hilft nichts. Wer vor einem Orchester zu autoritär auftritt, wird ausgewechselt", sagt Beger. Auf die Zwischentöne hören ist also angesagt - im Konzertsaal und im Unternehmen.

Dass beim Dirigieren nicht jeder zu einer perfekten Führungskraft wird, räumt Philipp Reichart aus Berlin aber ein. "Den technischen Ablauf des Dirigierens kann man bis zu einem gewissen Grad lernen, wirklich führen kann nicht jeder. Dabei geht es auch um Charisma, um Ausstrahlung und Motivationsfähigkeit, das lässt sich nur schwer antrainieren. Daran arbeiten kann man allerdings", sagt er.

Den dirigierenden Managern jedenfalls macht das neue Betätigungsfeld Spaß. Und Nutzen für ihren Arbeitsalltag konnten sie ebenfalls daraus ziehen, wie eine Mitarbeiterin der Unternehmensberatung Roland Berger auf der Webseite des Berliner Dirigier-Seminars betont: "Die Arbeit mit dem Orchester erforderte ein Maß an Mut, Selbstvertrauen, Charakter und Führungskompetenz, wie ich es bei keinem vergleichbaren Seminar erlebt habe." Und das Beste: "Der unmittelbare Spiegel, den das Orchester den Teilnehmern vorhält, ist unerbittlich, erlaubt aber der Führungskraft, sofort zu korrigieren - sich selbst und seine 'Mitarbeiter' im Orchester."

Die Arme beim nächsten Mal also einfach ein bisschen zurückhaltender einsetzen. Dann klappt es auch mit der zarten Morgenstimmung. Die kann auch im Büro nicht schaden.

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