Diebstahl:Wenn der Kollege den Locher klaut

So mancher Chef hätte sie gern, die Überwachung der Beschäftigten am Arbeitsplatz. Aber das ist nur erlaubt, wenn ein konkreter Verdacht besteht.

So mancher Chef hätte sie gern, die Überwachung der Beschäftigten am Arbeitsplatz. Aber das ist nur erlaubt, wenn ein konkreter Verdacht besteht.

(Foto: Jens Büttner/dpa)
  • Wenn Mitarbeiter und Externe im Büro klauen, entsteht jedes Jahr ein Millionenschaden.
  • Viele Diebe sind Wiederholungstäter und in den seltensten Fällen Externe.
  • Kollegen und vor allem Chefs haben im Verdachtsfall einige Möglichkeiten.

Von Katharina Kutsche und Felicitas Wilke

Immer wieder kam Leergut weg. Nicht furchtbar viel, aber doch so große Mengen, dass es dem Chef des Getränkehandels auffiel. Und nicht nur einzelne Flaschen, sondern auch Kisten und Fässer - die trägt man ja nicht einfach so weg, schon gar nicht von einem verschlossenen Gelände. Also legte sich Jochen Meismann mit einem Team nachts auf die Lauer und beobachtete das gesamte Areal. Der Privatdetektiv wird regelmäßig von Betrieben beauftragt, die merken, dass sie bestohlen werden, aber nicht wissen, von wem. Und das passiert nicht nur häufig, sondern verursacht jedes Jahr von Neuem einen Schaden, der in die Millionen geht.

Diebstahl am Arbeitsplatz ist in vielerlei Hinsicht ein Ärgernis für Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Verschwindet regelmäßig Geld aus dem Büro oder Material aus dem Lager, steht plötzlich ein Verdacht im Raum: War es jemand vom Putzdienst, die Wachleute, ein Besucher? Oder im schlimmsten Fall der eigene Kollege? Jeder verdächtigt jeden, niemand lässt sorglos seine persönlichen Dinge herumliegen, kurzum: Der Betriebsfrieden ist aufs Empfindlichste gestört.

Im Jahr 2016 erfasste die Polizei fast 40 000 Fälle von einfachem Diebstahl aus Dienst- und Büroräumen. Das beinhaltet auch Werkstätten und -hallen sowie Lager. Ob die Täter aus dem eigenen Haus kamen oder von außen, geht aus der Kriminalstatistik nicht hervor, das ist auch mitunter schwer einzuschätzen. Aufgeklärt wurde nur knapp ein Viertel der Fälle, gemeldeter Schaden: 47,5 Millionen Euro. Einfacher Diebstahl umfasst alles, was jemand in die Hand nimmt und wegträgt - im Gegensatz zum schweren Diebstahl, für den ein Täter etwa Tür und Schublade aufbrechen muss. So etwas passierte 2016 mehr als 80 000 Mal in deutschen Betrieben und Büros, Schaden: 212 Millionen Euro.

Der tatsächliche Schaden dürfte jedoch viel höher sein, denn viele Unternehmen zeigen Diebstähle nicht an. "Viele Unternehmen klären Diebstähle von Mitarbeitern intern, statt sie bei der Polizei anzuzeigen", heißt es bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Polizei werde eher eingeschaltet, wenn sich die Fälle komplexer gestalten, etwa weil auch Kollegen beklaut wurden. Lieber schleusen manche Firmen private Ermittler in den Betrieb, solche wie Jochen Meismann mit seiner Detektei A Plus.

Manch einer gleicht Gehaltskürzungen aus

Meismann kann viele Geschichten - anonym natürlich - erzählen, wo er schon überall observiert hat. Von einem Schuhgeschäft, in dem über Jahre mehrere Tausend Euro wegkamen (eine Mitarbeiterin war's). Oder die Arztpraxis, in der immer wieder Geld fehlte (die Auszubildende war's). Oder eben der Fall mit dem Leergut-Klau im Getränkehandel (der interne Sicherheitschef war's). "Im Prinzip gibt es ja in einer Firma nichts, was sich nicht mitnehmen lässt", sagt Meismann - bis hin zum Toilettensitz aus einer Zahnarztpraxis, auch ein Fall, den er mal bearbeitet hat.

Der typische Täter ist übrigens kein Leiharbeiter oder sonst wie kurzzeitig Beschäftigter, dem das Unternehmen egal sein kann. "Wer neu in den Betrieb kommt, hat viel zu viel Bammel, dass jemand etwas mitbekommt." Meist sind es langjährige Mitarbeiter, die mehr als sieben Jahre in der Firma sind. Sie kennen die Schwachstellen in der Organisation und wissen, wie man sie ausnutzt. Und sie sind häufig der Meinung, das stehe ihnen zu.

Manch einer gleicht auf diesem Wege Gehaltskürzungen aus, andere sind sich nicht darüber im Klaren, was es für das Unternehmen bedeutet, wenn es beklaut wird. "Dass aus wirklicher Not gestohlen wird, ist eher die Ausnahme", sagt Meismann.

Ein Hausmeister klaute über die Jahre 25 Tonnen an Material

Wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, wird eher zum Wiederholungstäter. Jeder zehnte Angestellte, der schon einmal etwas hat mitgehen lassen, hat danach noch drei- bis zehnmal geklaut, zeigt eine GfK-Studie. Zu den Gegenständen, die am häufigsten in den Hand- und Hosentaschen der Mitarbeiter verschwinden, gehören Büromaterialien wie Kulis, Papier und Heftklammern. Alles Dinge, die einzeln betrachtet keinen nennenswerten Schaden verursachen, aber in der Summe spürbar ins Geld gehen können.

Doch es gibt auch die heftigen Fälle. Zum Beispiel den eines Hausmeisters der Stadt Stuttgart, der schon seit mehr als vier Jahren im Ruhestand war, als herauskam, dass er in 25 Jahren bei der Stadtverwaltung insgesamt 25 Tonnen an Büro- und Reinigungsmaterialien geklaut und später zu Hause gebunkert hatte. Mal eine Leiter, dann ein Locher, das nächste Mal eine Fußmatte.

Bei seinem Arbeitgeber konnte man sich den unbemerkten Diebstahl damals nur so erklären, dass der Hausmeister die Gegenstände einzeln und in sehr kleinen Mengen hatte mitgehen lassen. Heute, gut fünf Jahre später, sagt ein Sprecher der Stadt, dass die Verwaltung ihren Mitarbeitern Vertrauen schenke, trotz des Vorfalls damals. Straftaten seien "die absolute Ausnahme. Deswegen gibt es auch keinen Grund für Stichproben."

Eine der Branchen, in denen besonders oft gestohlen wird, ist der Einzelhandel. Schon Klau durch Kunden sorgt für einen Schaden von 2,2 Milliarden Euro, errechnete das Handelsinstitut EHI. Doch auch die eigenen Mitarbeiter langen zu - und das im Warenwert von 800 Millionen Euro. Doch für die meisten Auftraggeber von Meismann ist der Vertrauensverlust viel entscheidender als der Wert der Beute. "Auch bei kleinen Schäden entsteht ein Klima des Misstrauens", so der Detektiv.

Was Unternehmen gegen den Diebstahl tun können

In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Diebstähle in Büros um mehr als ein Drittel gesunken - zumindest derjenigen, die bei der Polizei angezeigt werden. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich Unternehmen stärker absichern, die Kontrollmechanismen besser greifen und Compliance-Regeln verdeutlichen, was erlaubt ist und was nicht. Allein der Einzelhandel investiert jährlich 1,3 Milliarden Euro, um Eigentum und Mitarbeiter abzusichern.

Doch vor allem ist die Angst um das eigene Image größer als früher. Schlechte Nachrichten verbreiten sich dank der heute vielfältigen Kanäle schneller und breiter. Deswegen klären Firmen das Problem arbeitsrechtlich - indem sie den ertappten Mitarbeiter ein Schuldanerkenntnis unterschreiben lassen und ihm kündigen. Allerdings endeten manche Fälle auch ohne Kündigung, heißt es bei der BDA. Zum Beispiel dann, wenn sich herausstellt, dass es nicht kriminelle Energie, sondern eine psychische Störung wie Kleptomanie war, die den Angestellten dazu bewegte zu klauen.

Kommt doch einmal heraus, dass in einem Unternehmen massiv gestohlen wurde, gibt man sich bedeckt. Bei Daimler schmuggelte ein Leiharbeiter vor einigen Jahren über einen längeren Zeitraum hinweg massenweise Navigationsgeräte vom Betriebsgelände und verkaufte sie im Internet. Zu dem konkreten Fall sagt Daimler nichts. Man werde "die notwendigen Konsequenzen" ziehen und "die entsprechenden Behörden" einbeziehen, sollte man Kenntnis "über strafrechtlich relevantes Verhalten von Beschäftigten erlangen", heißt es knapp.

Kündigen? Weiter vertrauen? Für Unternehmen bleibt es ein unangenehmes Thema - und ein schmaler Grat, Schaden abzuwenden und den Betriebsfrieden wiederherzustellen.

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