Die Zukunft ist bunt:Unterschiede sind wertvoll

Unternehmen bekennen sich zu Vielfalt und Wertschätzung. Die Vision einer neuen Unternehmenskultur hat hohe Anziehungskraft.

Vielfalt bietet Vorteile. Für ihr Unternehmen. Für ihre Mitarbeiter". So bringt es die "Charta der Vielfalt" auf den Punkt, wenn es darum geht, dass sich Unternehmen verpflichten, "ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Vorurteilen und Ausgrenzung ist" und "eine Unternehmenskultur zu etablieren, die auf Einbeziehung und gegenseitigem Respekt basiert". Offensichtlich hat diese Vision einer neuen Unternehmenskultur hohe Anziehungskraft. Bis heute haben mehr als 600 Unternehmen die "Charta der Vielfalt" unterzeichnet. Nicht nur die großen Konzerne dieser Republik sondern auch kleinere Unternehmen und sogar öffentliche Einrichtungen sind dieser Initiative der deutschen Wirtschaft beigetreten, für die die Bundeskanzlerin die Schirmherrschaft übernommen hat.

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(Foto: Foto: iStockphoto)

Dass Vielfalt Vorteile bietet, dem wird nahezu jedermann spontan zustimmen. Das entspricht unserer Lebenserfahrung. Wir haben gelernt, dass Monokulturen in der Forstwirtschaft anfällig gegen Stürme und Schädlinge sind. Dass sich Mischwälder nicht nur als schöner sondern auch als gesünder erwiesen haben. Wir kämpfen dafür, die Artenvielfalt zu erhalten, damit die Natur nicht aus den Fugen gerät und unsere Lebensgrundlage zerstört wird. Wir lieben es auszuwählen. Modevielfalt statt Mao-Anzug für alle. Freie Arztwahl statt staatlicher Gesundheitszentren. Bildungsvielfalt statt Einheitsschule. Erlebnis-Gastronomie statt HO-Gaststätten. Doch die bunte Freude an der Vielfalt wird immer auch begleitet von einem zuweilen langen, dunklen Schatten: Der Angst vor dem Andersartigen, vor dem Fremden. "Wat de Buer ni kennt dat freet he nie", ist noch die harmloseste Variante - aber sie entspringt derselben Quelle, die schreckliche Gewaltexzesse hervorzubringen vermag.

Jeder von uns hat im Laufe seiner frühen Persönlichkeitsentwicklung ein Bild des Fremden entwickelt, das seinen Umgang damit auch im Erwachsenenalter beeinflusst. Oft sind dies tief im Unterbewussten verborgene Erfahrungen. Wer sich nicht selbst der Mühe unterzieht, diese ureigenen Bilder und Vorurteile zu erforschen, wird kaum in der Lage sein, den Wert der Vielfalt vorbehaltlos anzuerkennen, und nachhaltige Veränderungen im Unternehmen in Gang zusetzen.

Diversity Management

Diversity Management ist nicht eine neue Management-Methode, nicht eine neue Schublade, in die sich eine spezifische Unternehmenskultur einsortieren lässt. Diversity Management wird von vielen, die in den Unternehmen dafür Verantwortung tragen, als radikaler Paradigmenwechsel empfunden, als etwas grundsätzlich Neues. Eine Arbeitswelt zu schaffen, ja zu erschaffen, die "frei von Vorurteilen" ist, wie es die Charta fordert, in der das Verhalten aller von "gegenseitigem Respekt" geprägt ist und die auf "Einbeziehung" basiert, verlangt mehr, als das eine oder andere Projekt aufzusetzen. Werden diese Ziele ernst genommen, müssen alle umlernen und umdenken. Tief sitzende Überzeugungen müssen aufgegeben werden. Die gesamte Organisation, deren Strukturen und Arbeitsabläufe gehören auf den Prüfstand. Vermutlich wird man schon bei der Bestandsaufnahme und der ersten Analyse feststellen, wie sehr diese von Abgrenzungen, Vorurteilen und Ängstlichkeit geprägt sind, die Kreativität und Engagement hemmen.

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Bundesregierung und EU unterstützen die Initiative der deutschen Wirtschaft in Sachen Diversity.

(Foto: Foto: Bundesministerium für Arbeit und Soziales)

Das klingt fast nach Kulturrevolution, nach einer Sisyphos-Aufgabe. Und das ist es auch. Eine neue Unternehmenskultur lässt sich nicht kurzfristig erlernen und schon gar nicht verordnen. Unternehmenskultur ist immer die Summe dessen, was alle Mitarbeiter, vom Pförtner bis zum Vorstand, mit- und einbringen. Diversity Management ist eine gewaltige, anstrengende Aufgabe. Diversity Management ist "ein Marathon und kein Sprint" sagt Ursula Schwarzenbart, Leiterin Global Diversity Office der Daimler AG. Oder, wie es in einem EU-Papier heißt, "Vielfalt ist eine Reise, kein Projekt." Warum aber gibt es immer mehr Unternehmen, die sich diesen Marathon antun wollen?

Der Markt – global aber kleinteilig

Der Markt - global aber kleinteilig

"Als weltweit agierender Konzern", so Anke Meier, Corporate Director Global Diversity & Inclusion der Henkel AG, "geht es uns darum, mit globalen Teams unser volles Geschäftspotenzial auszuschöpfen."

Wie das in den letzen 100 Jahren erfolgreich bewerkstelligt wurde, zeigt der legendäre, Henry Ford zugeschriebene Satz "Sie können den Ford-T in jeder Farbe haben, sofern sie schwarz ist". Ziel war die Herstellung möglichst billiger Massenprodukte. Durch das konsequente Ignorieren jeden Wunsches nach Vielfalt konnte Ford den Preis von 850 Dollar (1908) 16 Jahre und einige Millionen Fahrzeuge später auf 290 Dollar (1924) senken, die Massen motorisieren, vielen Wohlstand ermöglichen und mit diesem Rezept sein Geschäftspotenzial optimal entwickeln. Eine bis heute erfolgreiche, wenn auch einseitige Vorgehensweise, denn wer Schwarz nicht mochte, hatte Pech gehabt.

Unter den Vorzeichen einer global vernetzten Wirtschaft wird dieses Rezept unserer Vorväter auf Dauer nicht mehr funktionieren. Henry Ford hatte eine millionenfach gleichförmige Schar von Kunden im Blick. Die Vielfalt jenseits des Tellerrandes musste er nicht zur Kenntnis nehmen. Nach und nach wurde zwar ein bisschen segmentiert - nach 15 Produktionsjahren gab es den Wagen auch in Gelb - aber die Erkenntnis, dass es sich unter Umständen lohnt, Teilzielgruppen zu bedienen, ist noch nicht das, was den Diversity-Gedanken antreibt: Dabei geht es vielmehr um die Erkenntnis, dass Unternehmen heute und morgen ihr Geschäftspotenzial besser ausschöpfen können, wenn sie in der Lage sind, kleinteilige Märkte global zu erkennen und adäquat zu bedienen, weil sie die unterschiedlichen Kulturen, Interessen und Bedürfnisse ehrlich respektieren. Dies aber wird nur dann gelingen, wenn die Unternehmen selbst diese globale Vielfalt in ihrer eigenen Organisation widerspiegeln und leben.

Diversity muss ehrlich gelebt werden

"Das internationale PwC-Netzwerk zeigt jeden Tag, wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen erfolgreich gemeinsam an Lösungen für komplexe Probleme arbeiten", sagt Marius Möller Vorstand Personal und Arbeitsdirektor von PwC Deutschland. "Respekt gegenüber anderen" ist eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und deshalb in den Ethik-Grundsätzen von PwC fest verankert.

Und es geht auch gar nicht mehr anders: Ob ein Unternehmensberater, eine Ingenieurin oder ein Naturwissenschaftler gesucht wird - für hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen nationale Grenzen kaum noch eine Rolle. Sie suchen für sich ein Arbeits- und für ihre Familie ein Lebensumfeld, in dem sie ihre Kompetenz ausleben und ihr Leben so gestalten können, wie sie es sich vorstellen und nicht so, wie es das Management der alten Art gerne hätte: geistig uniform, unauffällig und jederzeit austauschbar. Kompetente Spezialisten, zuhause im internationalen Business, sind selbstbewusste Leute, die sich nicht auf Linie trimmen oder durch Lippenbekenntnisse täuschen lassen. Um sie zu rekrutieren und zu halten ist mehr nötig, als ein papierenes Bekenntnis. Sie merken sehr schnell, ob Respekt vor dem und den Anderen wirklich gelebt, ob Diversity ehrlich praktiziert wird.

Gesetze erhalten den Status quo

"Es ist uns wichtig, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu bieten", erklärt Melanie Eisinger (Director Human Ressources, McDonald's Deutschland Inc.). Bei McDonald's ist dies seit langem selbstverständlich, denn allein in den über 1300 Restaurants in Deutschland arbeiten Mitarbeiter aus rund 120 Nationen. Anderen Unternehmen musste das Verbot der Diskriminierung erst vom Gesetzgeber ins Stammbuch geschrieben werden.

Wertschätzung beflügelt

Wertschätzung beflügelt

Schließlich gibt es noch eine weitere Quelle, die den Diversity-Prozess vorantreibt: Das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diejenigen, die sich aufgrund ihrer Aufgabenstellung ohnehin mit dem Thema Diskriminierung beschäftigen, etwa als Gleichstellungsbeauftragte(r), und die Betroffenen selbst.

"Wir können unseren strategischen unternehmerischen Anforderungen umso besser gerecht werden, je bewusster und gezielter wir die Vielfalt im Konzern nutzen und fördern. Denn für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens ist ein von Integration und Wertschätzung geprägtes Arbeitsumfeld unverzichtbar. Nur so kann man die besten Mitarbeiter und Führungskräfte für sich gewinnen, motivieren und binden. Was für uns daher zählt, sind Kompetenz und Engagement des Einzelnen. Alter, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Geschlecht oder Herkunft spielen für die Karrierechancen bei E.ON keine Rolle", formuliert Ulrich Spie, verantwortlich für Diversity Management bei der E.ON AG, einen Grundsatz des Unternehmens. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Ausgrenzung erlebt haben, wissen, wie viel Energie notwendig ist, um trotzdem engagiert zu arbeiten. Wer andererseits Wertschätzung und Respekt erlebt hat, weiß, welche Kräfte dies freisetzen kann: "Ich arbeite als Senior Consultant in internationalen Projektteams bei PricewaterhouseCoopers und erlebe dabei die Offenheit, den Respekt und die wertschätzende Haltung meiner Kollegen aus vielen Kulturkreisen. Das sind zentrale Voraussetzungen für unsere Arbeit für globale Kunden und an komplexen Problemen", berichtet Sui Mui Yuen, Mitarbeiterin im Bereich Advisory.

Diversity Management

Diversity Management

Aber sind diese hoch gesteckten Ziele im Kontext der betrieblichen Praxis überhaupt realisierbar? "Um Diversity-Management richtig und nachhaltig zu betreiben, dürfen wir nicht mit allem gleichzeitig beginnen. Auf welche Dimensionen von Diversity wir uns ausrichten, ist eine unternehmerisch relevante Frage", beschreibt Ursula Schwarzenbart ihre Vorgehensweise. Vor allen konkreten Umsetzungsschritten aber steht die Grundsatzentscheidung, ob eine Organisation sich unternehmensstrategisch an der Diversity-Idee orientieren will und bereit ist, ihre Geschäftsprozesse nachhaltig daran auszurichten.

Bei vielen Unternehmen, die sich für diesen Weg entschieden haben, wurden nach der Analyse des Ist-Zustandes die Förderung von Frauen und die Bildung von internationalen Teams, als erste Handlungsfelder definiert. So plant zum Beispiel Daimler, den Anteil von Frauen in leitenden Führungspositionen bis zum Jahr 2020 von derzeit rund acht Prozent auf 20 Prozent und für den HR-Bereich sogar auf 40 Prozent steigern, so Wilfried Porth, Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Daimler AG.

Anfänglich haben sich die Unternehmen auf wenige Handlungsfelder konzentriert. Das Diversity-Management hat vor allem mit Projekten zur Frauen- und Ausländer-Integration begonnen. Aber es geht um mehr als Integration, denn Integration heißt, dass die eine Gruppe die andere aufnimmt, setzt also ein Gefälle voraus und zementiert dieses möglicherweise. Der Diversity-Gedanke sieht die Unterschiede grundsätzlich neutral, konzentriert sich ausschließlich auf die dem Unternehmen dienliche Kompetenz und sorgt dafür, dass sich alle Mitarbeiter respektieren, so unterschiedlich sie auch sein mögen.

Diese anspruchsvolle Zielsetzung ist zwar aus wirtschaftlichem Pragmatismus geboren (Bestehen im globalen Markt) aber auch gewaltig moralisch aufgeladen. Aufgabe des Diversity-Managements wird es auch sein, die Grenzen des Machbaren zu erkennen und die Organisationsentwicklung in einer für das Unternehmen verträglichen Form voranzutreiben. Kluges und sensibles Vorgehen ist gefragt, um alle Ebenen in diesem Prozess mitzunehmen.

Wenn es den großen Unternehmen gelingt, ihre zehntausende Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass Unterschiede wertvoll sind und Respekt verdienen, wird dies nicht ohne Einfluss auf unsere gesamte Gesellschaft bleiben. Der Umgang mit Minderheiten ist eines der großen ungelösten Probleme der Politik. Unternehmen, die sich zum eigenen Nutzen auf die Diversity-Idee einlassen, können "en passant" einen bedeutenden Beitrag zu einer positiven gesamtgesellschaftlichen Entwicklung leisten. Auch deshalb haben sie jede Unterstützung durch die Politik verdient.

Weitere Informationen im Internet:

Deutsche Initiative "Charta der Vielfalt"

EU-Kampagne "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung"

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