Die Wissenschaften nach Guttenberg:Bitterer Sieg

Bologna-Reform, bürokratische Schikane und befristete Arbeitsverträge: Nach zehn Jahren Demütigung durch die Politik attackierte die Wissenschaft Guttenberg aus Notwehr. Blamiert ist sie trotz seines Rücktritts.

Gustav Seibt

Nein, der Sturz Karl-Theodor zu Guttenbergs war kein Triumph für die Wissenschaft. Der Nachdruck, mit dem das Volk der Forscher an Guttenbergs Demontage arbeitete, hatte etwas von Notwehr. Alle Ränge und Stufen der Wissenschaft haben sich beteiligt: von den anonymen Plagiatsfahndern des Netzes, den Tausenden protestierender Doktoranden bis zu senatorischen Größen wie dem Theologen Eberhard Jüngel und dem Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker.

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Der Sieg der Wissenschaft im Fall Guttenberg schmeckt bitter.

(Foto: dpa)

Die gezielten Provokationen des Bayreuther Juristen Oliver Lepsius, die die Grenze zur üblen Nachrede bewusst überschritten, um die Klärung der Wahrheitsfrage im Zweifelsfall gerichtlich zu erzwingen, wirkten wie ein letztes Mittel in den Wogen von Demagogie und Vernebelungen. Es durfte nicht sein, dass die Gesetze wissenschaftlicher Redlichkeit von Boulevard oder Meinungsumfragen ausgehebelt wurden.

Die Wissenschaft konnte gar nicht umhin, dafür zu kämpfen, dass Recht und Gesetz auch für sie gilt; dass Betrug und Unterschleif in ihrer Sphäre für den Delinquenten die gleichen Folgen haben, wie es der Fall wäre, wenn sie in einer Sparkasse, einem Supermarkt oder einer Zeitungsredaktion stattgefunden hätten. Das Heer derer, die das anders sehen wollten, von Franz-Josef Wagner in der Bild-Zeitung ("Scheiß auf den Doktor!") bis zur Bundeskanzlerin ("Ich habe keinen wissenschaftlichen Assistenten eingestellt") musste widerlegt werden; das war das existentielle Minimum. Und nebenbei ist es ganz gut, dass die Bild-Zeitung nicht auch noch darüber bestimmt, wer "Deutschlands klügster Professor" ist (angeblich Arnulf Baring).

Notwehr also. Aber auch ein Aufbäumen nach einem Jahrzehnt, das der Wissenschaft eine ununterbrochene Kette von Demütigungen durch die Politik gebracht hatte. Sie begannen mit jener überstürzt konzipierten, sich bisher weithin gegen die ursprünglichen Absichten auswirkenden Bologna-Reform, die den Geist bürokratischer Schikane in die akademische Welt ebenso hineintrugen wie Hartz IV dies für den Arbeitsmarkt leistete. Sie wurde durchgesetzt vor allem auf dem Rücken und durch die erzwungene Mithilfe jenes Mittelbaus - eben den verachteten "wissenschaftlichen Assistenten" -, den man durch befristete Arbeitsverträge in materieller Abhängigkeit hält.

Peinliche Rituale

Dann kamen die Marktspielchen der Exzellenzwettbewerbe, die die ohnehin unabweisbar notwendige Bereitstellung von öffentlichen Mitteln für die unterfinanzierte deutsche Forschung an peinliche Rituale des Männchenmachens und des gegenseitigen Ausstechens knüpften. Dazu wurden die Universitäten auf Betteltour in die freie Wirtschaft geschickt. Statt zu lesen, zu schreiben oder zu experimentieren, mussten berühmte Forscher Drittmittel für den verhungernden Nachwuchs einwerben und Manager spielen. Wer konnte da Nein sagen? Und all das sollte in einem globalisierten Pseudo-Englisch stattfinden, das außerhalb von deutschen Universitätsfluren nirgendwo in der Welt gesprochen und kaum irgendwo verstanden wird.

Bei den Eröffnungen der parallel dazu ausgerufenen "Wissenschaftsjahre" spielten dann Fernsehmoderatoren und anmaßende Wissenschaftsminister eine größere Rolle als Nobelpreisträger - die sind ja langweilig. Es waren unwürdige Veranstaltungen, für die man sich nicht nur heimlich schämen musste. "Land der Ideen" hieß die Image-Kampagne dazu, deren Erfolg dann ja die letzten Umfragen zur Causa Guttenberg gezeigt haben. Ein breiteres Bewusstsein von den Eigengesetzlichkeiten der Forschung, von der Askese und dem Ethos, das sie voraussetzt, konnte sie jedenfalls nicht wecken.

Land der Ideen: Das suggerierte vor allem, dass es irgendwie bunt und kreativ zugeht, wenn geforscht wird, wie bei Daniel Düsentrieb oder Professor Knall ("keine Schönheit, aber ein bedeutender Chemiker", wie es in Entenhausen klassisch heißt). Vor allem sollten die so beworbenen "Ideen" etwas zum Anfassen sein, also Aspirin und nicht Adorno. Der Rest wäre dann Geschwätz.

Jetzt sind die Zirkus-Tiere aufgestanden und haben der Politik schlicht und zornig mitgeteilt, dass in ihrer Welt noch andere Gesetze gelten als die des Eventmarketings. Die Wissenschaft vergesse nie, erklärte Ernst-Ludwig Winnacker mit Blick auf Guttenbergs Betrug. Wie, es sollte auch für Politiker so etwas wie Ewigkeit geben? Wenn das mal nicht ein Anlass für "Demut" (Guttenberg) ist!

Der Sieg schmeckt bitter

Doch der Sieg schmeckt bitter. Dass es im Fall des überehrgeizigen Guttenberg überhaupt zur Katastrophe kommen konnte, setzte schweres institutionelles Versagen auf allen Stufen von dessen Promotion voraus. Schon das Thema - ein Vergleich der Verfassungsentwicklungen in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union - war für eine Anfängerarbeit eigentlich zu groß oder zu vage geschnitten. Es wäre entweder etwas für die souveräne Übersicht eines Großmeisters der Staatsrechstlehre wie Ernst-Wolfgang Böckenförde oder Dieter Grimm gewesen oder aber Stoff für eine historisch detaillierte, an den Quellen gearbeitete Habilitation; aber nicht Gegenstand eines Gesellenstücks.

Wenn aber ein Jungwissenschaftler, noch dazu neben Beruf und Familie, so ein ambitioniertes Thema ergreift, muss man ihn kontinuierlich begleiten, Zwischenergebnisse prüfen, gegebenenfalls die Dimensionen der Arbeit an die Möglichkeiten anpassen. Dass dann aber ein Textkonglomerat, von dessen Geschwätzhaftigkeit man sich schon beim ersten Durchlesen einen eigenen Eindruck verschaffen kann, mit "summa cum laude" benotet wird, ist schon unabhängig von den Plagiaten kaum zu begreifen. Dieser Fehler liegt gleichrangig neben dem Vertrauensbruch des Schülers gegenüber seinem Lehrer. Er zeigt, dass im Wust der Antragspapiere und viel zu vielen Qualifikationsschriften jedenfalls hier die Kunst des genauen Lesens verloren gegangen war.

Und dass dann ein hochverdienter, aber greiser Prüfer wie Guttenbergs Doktorvater Häberle sich offenbar nicht mehr die heute nötigen technischen Fertigkeiten für Stichproben aneignet, um Fremdübernahmen auszuschließen, zeigt die Rückseite des von oben verordneten Dynamisierungsschubes.

Nein, das alles ist kein Ruhmesblatt. Der Sturz Guttenbergs ist schlimm für ihn selbst und schlimm für die deutsche Politik, die auf solche Talente nicht verzichten kann. Der Notwehrsieg nach einem großen Versagen ist auch nicht wirklich gut für die Wissenschaft, die mitblamiert ist und nun auch viel Groll vom Publikum aushalten muss. Das Malheur hätte vermieden können, wenn die Eigengesetzlichkeiten der Forschung den unbedingten Respekt genossen hätten, den sie brauchen.

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