Die Wissenschaft nach Guttenberg:Eitle Exzellenzen

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Zwischen Selbstvermarktung und Karriere: Die Welt der Wissenschaft ist beileibe nicht so rein, wie sie nun in der Plagiatsaffäre tut. Heuchelei, Filz und Verlogenheit sind dem Wissenschaftsbetrieb nicht fremd.

Tanjev Schultz

Einen Tag nach dem Rücktritt des Verteidigungsministers haben die Professoren wieder ihre Exzellenz-Hymnen gesungen. Am Mittwoch fielen die Vorentscheidungen in der "Exzellenzinitiative", dem bundesweiten Wettbewerb der Universitäten um Geld und Prestige. Das Zusammentreffen des Termins mit der Plagiatsaffäre ist ein Zufall, den man durchaus einem Gott der Wissenschaft andichten könnte. Was will er den Studenten und Professoren damit sagen?

Für immer mehr Studenten gehört der feierliche Abschluss zum Studium - in entsprechender Kleidung. (Foto: dpa)

Vielleicht ist es ein Wink, sich vor Selbstzufriedenheit zu hüten. Vielleicht ist es eine Warnung, die Freude über wissenschaftliche Exzellenz nicht zum Hochmut zu steigern. Bescheidenheit ist an der Universität von heute nicht unbedingt eine Tugend, die noch belohnt wird. Wer nach dem ur-wissenschaftlichen Prinzip "Präzision vor Tempo" arbeitet, gerät in Gefahr, keine Karriere zu machen.

Showmanship gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch an der Universität. Das war immer schon so. Das Exzellenz-Rennen, Rankings und die "leistungsorientierte Mittelvergabe" haben die Selbstvermarktungszwänge und den Narzissmus der Institutionen und ihrer Forscher aber noch verstärkt.

Der Furor, der sich an den Hochschulen gegen Guttenberg richtete, speist sich womöglich auch aus dem Selbstekel von Professoren, die auf Tagungen und in Sammelbänden oft mehr Schein als Sein aufbieten. Alle wissen es, alle merken es, aber keiner sagt etwas.

Zwar gibt es durchaus Selbstheilungskräfte der Wissenschaft; der Fall Guttenberg ist dafür ja das beste Beispiel. Die ersten Plagiatsvorwürfe kamen schließlich von einem Bremer Professor. Und die Universität Bayreuth, an der die unselige Dissertation angenommen und wieder aberkannt wurde, wird den Fall auch noch prüfen, wenn sich Politiker und Journalisten längst anderen Themen zugewandt haben.

Aber nicht alle Defekte im eigenen System erreichen das kritische Auge der Wissenschaft. Vieles wird zugedeckt durch die phrasenhafte Rhetorik von "Exzellenz" und "Spitzenforschung". Das Exzellenzstreben hat zweifellos auch sein Gutes. Es bewahrt die Universitäten davor, im Dämmerzustand vor sich hin zu siechen. Niemand kann sich die Schläfrigkeit und die Verkrustungen zurückwünschen, die noch in den frühen neunziger Jahren das Leben auf dem Campus prägten.

Der Muff unter den Talaren war verzogen, der Mief eines bürokratisierten Massenbetriebs um so unerträglicher. So gesehen kann man ein bisschen froh sein über all die smarten und schneidigen Uni-Präsidenten und Wissenschaftsmanager, die nun an den Hochschulen den Ton angeben.

Man muss nur aufpassen, dass die Dümpelei von früher nicht einer gut getarnten Scharlatanerie weicht. Überspitzt gesagt: Ist das Prinzip des Plagiats - das Vorspiegeln eigener Größe - nicht auch jener Mechanismus, den die Universitäten, angetrieben vom Exzellenz-Wettbewerb, oft bis zur Grenze des Erlaubten selbst strapazieren? Und bisweilen sogar über die Grenze hinaus: Erst vor wenigen Wochen erteilte die Deutsche Forschungsgemeinschaft zwei Wissenschaftlern eine "Rüge", weil in ihrem Antrag Plagiate auftauchten.

Manche Unis führen sich mittlerweile auf, als seien sie schon eine Kopie von Harvard oder Yale. Mit ein paar Millionen Euro aus dem Exzellenz-Programm kann aber niemand abheben, und statt fescher Slogans könnten die Rektoren Wilhelm Buschs Geschichte vom fliegenden Frosch an die Hörsaal-Wände pinnen: "Wenn einer, der mit Mühe kaum / gekrochen ist auf einen Baum, / schon meint, dass er ein Vogel wär, / so irrt sich der."

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Großspurigkeit, Schummelei oder Schlamperei sind nur die eine Seite des Guttenberg-Komplexes. Eine andere Seite ist die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, das Schinden von Eindruck und das Schielen nach Effekt. Und diese Sehnsucht kennen viele Wissenschaftler gut.

Manche Uni-Präsidenten gerieren sich längst wie Politiker, und einige Professoren werden als Superstars der Forschung umgarnt, mit hohen Summen gelockt und "transferiert" wie teure Fußballprofis. Die Universität verwandelt sich in einen marktgesteuerten Spielbetrieb.

Der für die Wissenschaft konstitutive Markt der Ideen rückt dabei in den Hintergrund, auch wenn die Stars der Forschung ihren Wert zunächst aus ihrer intellektuellen Kraft und Kreativität beziehen. Wenn der Markt der Ideen und die Ideale von Wahrheit und Wahrhaftigkeit allerdings überlagert werden durch eine Kommerzialisierung des Geistes, wäre am Ende auch die intrinsische Motivation der Studenten und Professoren bedroht, ohne die wirklich gute Forschung nicht möglich ist.

Sich geschickt zu präsentieren, ist eine Kunst, die an der Hochschule immer wichtiger wird, oft zum Schaden von Substanz und Diskurs. Viele Doktoranden werden neuerdings in Seminare geschickt, in denen sie etwas über Präsentationstechniken und Selbstvermarktung lernen - als wollte die Universität lauter kleine Consultants heranziehen.

Auch Heuchelei, Filz und Verlogenheit sind dem Wissenschaftsbetrieb nicht fremd; Eitelkeit erst recht nicht. Die Welt der Wissenschaft ist beileibe nicht so rein, wie sie nun in der Plagiatsaffäre tut. Das bedeutet natürlich keineswegs, dass der Ärger über Guttenberg unberechtigt war und ganz gewiss nicht, dass man so zynisch sein sollte, wie es manche Verteidiger des gefallenen Ministers waren, nach dem Motto: Es wird doch sowieso geschummelt. Die Wissenschaft darf ihre Ideale niemals verraten. Aber sie sollte den Fall Guttenberg nicht als bedauerlichen Einzelfall herunterspielen.

Viele, sehr viele Studien sind, wenngleich noch weit entfernt von einem Plagiat, nicht viel mehr als Aufschneiderei und gehobenes Gauklertum. Manche Forschungszweige existieren nur deshalb, weil es eben Stellen dafür gibt. Und die Stellen gibt es nicht in erster Linie, weil die Gesellschaft so brennend interessiert wäre an der dort betriebenen Forschung, sondern schlicht deshalb, weil es so viele Studenten gibt, die irgendwie - und sei es mehr schlecht als recht - betreut werden müssen.

Da Dozenten nur durchs Veröffentlichen Karriere machen, schreiben sie wie wild; daher die Massen an Konferenzen, working papers und Sammelbänden, deren wissenschaftlicher Sinn sich selbst den Fans der jeweiligen Disziplin oft nicht erschließt.

Und dazu kommen dann immer wieder Fälschungen und Plagiate. Es sind ja nicht nur Doktoranden, die sich fleißig bei anderen bedienen. Auch Professoren werden erwischt. An der Berliner Humboldt-Universität lehrt zum Beispiel ein Jurist, den die Hochschule wegen kopierter Texte rügen musste. Mehr ist ihm allerdings nicht geschehen - die Gemeinde der Professoren verfolgt Verstöße gegen die guten wissenschaftlichen Sitten keineswegs so vehement, wie es der Sturz Guttenbergs jetzt suggeriert.

Viele Hochschulgremien schrecken davor zurück, hart durchzugreifen, zumal bei Professoren. Dahinter steckt bei manchen vielleicht auch das schlechte Gewissen, es selbst mit der Sorgfalt nicht immer ganz genau zu nehmen. Lieber lässt man den Plagiatoren ihre Titel, als sich mit ihnen anzulegen.

Mit dem Rücktritt Guttenbergs ist es nicht getan. Die Wissenschaft muss sich besser schützen vor unsauber bearbeiteten Texten. Und wer nicht die Zeit, die Kraft oder die notwendigen Ideen hat, um eine anständige Studie zu schreiben, muss eben darauf verzichten. Für die Wissenschaft wäre dieser Verzicht ein Gewinn.

© SZ vom 03.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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