Die Patchworker:Die Gipfelstürmerin

Von der MTV-Pressechefin zur Jugendherbergsmutter in Oberbayern.

Von Christine Demmer

Irgendwann übertönt die innere Stimme selbst die lauteste Musik. Dabei wusste Angie Sebrich es insgeheim schon immer: Einen Mann wollte sie haben, einen, der sie verstand und mit ihr an einem Strang zog. Kinder wünschte sie sich irgendwann. Und dann noch einen Hund. 1994 war die Betriebswirtin und PR-Beraterin nämlich ein paar Monate lang arbeitslos gewesen und hatte, um das Konkursausfallgeld aufzustocken, als Hundesitter gejobbt. "Nutzlos habe ich mich als Arbeitslose nicht gefühlt", sagt sie. "Im Gegenteil. Ich realisierte alles, für das ich früher keine Zeit gehabt hatte: lange schlafen, baden, spazieren gehen. Das wurde mein schönster Sommer." Doch ihre innere Stimme verhallte ungehört.

Mike und Angi

Mike und Angi, Lena und Lisa vor ihrer Jugendherberge.

(Foto: Foto: SZ)

Weitergekommen

Gerade 28 Jahre alt war Angie Sebrich damals, lebensfroh und wohlgemut, dass hinter der nächsten Ecke etwas Großes auf sie wartete. Bei jeder Absage, die sie im Briefkasten fand, sagte sie sich: Dann sollte es eben nicht dieser Job sein, dann wird es halt ein anderer werden. "Diesen Glauben habe ich mir immer bewahrt: dass alles schon irgendwie seinen Sinn hat und nichts, weder Erfolg noch Niederlage, umsonst ist", sagt sie.

Dann, endlich, funkte es bei Antenne Bayern. Offiziell wurde Sebrich als Pressesprecherin bei dem Münchner Radiosender eingestellt, in Wirklichkeit fungierte sie schon bald als One-Woman-Show, wie sie heute spöttelt. "Ich konnte sehr selbstständig arbeiten und habe viel auf die Beine gestellt." Fünf Jahre lang übernahm sie immer mehr Aufgaben: Programm-PR, Lobbying, Ghostwriting für die Geschäftsleitung. Erst allein, dann unterstützt durch zwei Assistenten. "Der Chef war ein toller Mensch, der mich sowohl förderte als auch richtig forderte", sagt sie. Und vergisst auch nicht den karrierepolitisch korrekten Appendix: "Nur so kommt man weiter."

Anfang 2000 lockt Christiane zu Salm, Geschäftsführerin von MTV, das Medientalent zu sich. Nun ist die 34-Jährige ganz oben. Als Kommunikationschefin für den gesamten deutschsprachigen Bereich hat sie sechs Mitarbeiter und noch mehr Verantwortung. Sie reist durch alle Kontinente, das Leben besteht aus coolen Events, viel Glamour, reichlich Party. Heute ein Meeting in Los Angeles, morgen eine Präsentation in London und zwischendrin auch noch ein bisschen Medienpolitik für den Jugendsender in München. Angie Sebrich macht sich einen Namen in der Branche. Bald stehen die Headhunter Schlange. Die meisten Menschen nennen so etwas Erfolg. Sie relativiert: "Viel Stress. Wenig Freizeit. Kaum Zeit für mich und meine Lieben." Geschweige denn für einen Hund. Familienpläne sieht die Agenda nicht vor.

Bodenständig geworden

Ende September 2000: Die innere Stimme wird lauter. Im Tunesien-Urlaub mit Freund Mike lernt sie Reinhard und Walli kennen. Keine Jetset-Leute, keine Partymacher, sondern ganz normale Jugendherbergsmitarbeiter aus Lindau. Beiläufig erwähnen die beiden, für die Jugendherberge Sudelfeld in Bayrischzell werde ein leitendes Paar gesucht. Eigentlich seien Angie und Mike dafür genau richtig. Mike könne gut handwerkern, Angie hätte doch etwas von einem BWL-Studium mit Schwerpunkt Hotel- und Restaurantmanagement gemurmelt, und wie Jugendliche ticken, müsste sie doch dank ihres MTV-Jobs gut wissen. Außerdem läge Sudelfeld ganz bezaubernd. Vor der Kulisse des Wendelsteingebirges, auf 1200 Metern Höhe und umgeben von saftigen grünen Wiesen mit Bergkräutern.

Der Rest ist Rosamunde Pilcher. Zurück im Alltag, fahren Angie und Mike eines nachmittags ins Sudelfeld, besichtigen eine der gemütlichsten Jugendherbergen Bayerns, fangen Feuer, bewerben sich beim Deutschen Jugendherbergswerk, bekommen tatsächlich den Job.

Christiane zu Salm lässt ihre Kommunikationsfrau mit einem "Find ich toll!" ziehen, und das Münchner Paar plant den Umzug in die Berge. "Ich war lange genug auf dem Rummelplatz der Medien", sagt sie. Was nun wichtig ist? "Gemeinsames Arbeiten mit dem Lebenspartner. Damit man am Abend weiß, worüber der andere spricht." Auf einmal - oder schon lange? - rücken für Angie Sebrich andere Dinge in den Vordergrund. "Weg von der oberflächlichen, hastigen und schnelllebigen Medienwelt, wieder ein Stück hin zu einer wertvolleren, bodenständigeren Arbeit. Und mehr Zeit für sich selbst und den anderen."

Letzteres allerdings hat die Regie erst mal aus dem Drehbuch gestrichen. Ende Februar 2001 heiraten die Herbergseltern Angie und Mike. Anfang April erblicken die Zwillingsmädchen Lena und Lisa das Licht der Bergwelt. Seither lebt die Familie meist glücklich und zufrieden mit Hund Lotti und vielen Gästen unter einem Dach: Schulklassen, Vereine und Familien. Fasching ist nichts mehr frei. Aber die Jugendherbergsmutter ist es: "Ich bin frei, immer wieder neu anzufangen, solange ich meinen Kopf, zwei Arme und zwei Hände zum Arbeiten habe. Schlimmstenfalls kann ich auch Eis verkaufen. Aber jetzt ist erst mal Zeit zu bleiben."

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