Die Kunst der Prognose:Das Orakel von Kelkheim

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Zu wissen, was morgen im Trend liegt, ist Gold wert. Ein Zukunftsinstitut lehrt die Kunst der Prognose.

Susanne Balthasar

Natürlich ist das Wort ,,Trend'' ausgelutscht. So oft gedruckt und gesagt, das es nur noch als Hülle durch die Sprache irrt. Es gibt den ,,Barfuß-Trend'', die ,,Trend Charts'' und In & Out-Listen in Zeitungen.

Der systematische Herangang an künftige Entwicklungen kann Gold wert sein. (Foto: Foto: AP)

Das zeigt am Ende nur, wie wichtig Trends sind. Vor allem gilt das für die Wirtschaft. Wie man Produkte und Dienstleistungen anbietet, die auch in Zukunft noch gekauft werden, lehrt das Basisseminar ,,Praxis der Trend- und Zukunftsforschung'' am Zukunftsinstitut in Kelkheim bei Frankfurt.

Richtige Prognosen sind in allen Branchen Gold wert. Geschäftsführer, Marktforscher, Consultants aus den Branchen Verlagswesen, Versandhandel, Hausgeräte, Automobil und Immobilien wollen die Kunst der Prognose erlernen.

"Hype-Thema"

,,Innovation ist das Hype-Thema'', sagt Lydia Schültken von LEAD Innovation Management, ,,die Produktzyklen werden immer kürzer.'' Wenn ein Produkt den Nerv der Zeit trifft wie der I-Pod von Apple, kann es in kürzester Zeit den Weltmarkt aufrollen.

Dem gegenüber stehen 90 Prozent der Produktinnovationen, die ebenso schnell wieder vom Markt verschwinden. ,,Da wird viel Geld verbrannt, weil nicht systematisch entwickelt wurde'', sagt Schültken.

Oft sind nicht ausgebildete Produktentwickler am Werk, sondern der Chef persönlich. Oder eine extra eingerichtete Abteilung, die dann dermaßen auf Innovationen fixiert ist, dass viel Neues und wenig Brauchbares herauskommt. Wer die Welt von morgen wie Apple-Visionär Steve Jobbs nicht im Bauch hat, muss ihr mit traditionellen Methoden auf die Spur kommen: Medien-Monitoring, Statistik, repräsentative Umfragen, Trend-Scouting, Konsumenten-Interview.

Wo stehen wir gerade?

,,Am Anfang steht immer die Datenerhebung'', sagt Andreas Steinle, Zukunftsforscher in Kelkheim. Ist anhand der Daten der Trend ausgemacht, sollte sich vor den Augen der Zukunftsforscher die Trendwelle abzeichnen. Und damit eine Antwort auf die Frage: Wo stehen wir gerade?

Zuerst steigen nur die Hasardeure ein, beim Anschwellen die Trend-Winner und kurz vor dem Scheitelpunkt die Zuspätkommer. Wichtig ist auch, die Größe der Welle zu prognostizieren, sagt Steinle. Wenn sie Tsunami-Format hat, ist es ein Megatrend.

Aktuell sind das Frauen, Wissen, Globalisierung und Downaging, also die alternde Gesellschaft, die immer fitter wird. Megatrends dauern mehrere Jahrzehnte, weshalb sie heute nicht mehr neu sind, aber dennoch die Zukunft prägen werden. Lektion 1 von Seminarleiter Andreas Steinle: ,,Ein Trend muss nicht neu sein, er muss relevant sein.''

Megatrends und kurzlebige Trends

Während eines Megatrends wechseln sich mehrere kurzlebige Gesellschafts- und Technologietrends ab, die aber von dem Megatrend beeinflusst werden. Wenn immer mehr Frauen arbeiten, dann boomt zugleich der Dienstleistungsmarkt Kinderbetreuung.

Neben den Gesellschaftstrends gibt es noch die fünfjährigen Zeitgeistzyklen: ,,Wellness'' etwa war mal, heute setzt das Zukunftsinstitut auf ,,Selfness'', also die Veränderung der eigenen Person. Am untersten Ende der Trendskala stehen Mode und Produkttrends, die jedes Jahr wechseln.

Aber wie erkennt man die relevanten Trends? Andreas Steinle lehrt die goldene Regel: ,,Unterscheiden Sie sauber zwischen Megatrend, Konsumtrend und Moden!'' Und nennt das Beispiel von ,,Slim Fast'', einer Firma, die auf den Trend zu Low-Carb, also kohlenhydratreduzierte Ernährung gesetzt hat.

Alles schien zu passen: Die Diätratgeber waren voll mit Low-Carb-Empfehlungen, Hollywoodstars schwärmten öffentlich von der kohlenhydratfreien Atkins-Diät, und heute ist das Thema durch. ,,Slim Fast hat Low Carb für einen Megatrend gehalten, tatsächlich war es aber nur ein Konsumtrend'', analysiert Steinle.

Daten von Zukunftsforschungsinstituten

Langfristige Trends braucht auch Michael Schmutzer, Geschäftsführer von Centacon, einer Firma für Immobilienentwicklung: ,,Wie sich der Strukturwandel in der Gesellschaft auswirkt, ist für uns wichtiger als ein gestalterischer Trend.'' Bei der Immobilienentwicklung arbeitet er auf der Basis der Daten von Zukunftsforschungsinstituten, aber auch mit eigenen Beobachtungen.

Wenn der Trend ,,Frauen'' heißt, also Frauen für Berufswelt und Wirtschaft immer wichtiger werden und gleichzeitig immer mehr Ehen geschieden werden, dann schlussfolgert Schmutzer: Die Nachfrage von Alleinerziehenden nach Dreizimmerwohnungen wird steigen.

Knackpunkt Interpretation

Genau an dieser Stelle, da sind sich die Zukunftsexperten einig, liegt der Knackpunkt: die Interpretation. Um sich gegen Fehlinterpretationen zu schützen, sichert sich Centacon-Geschäftsführer Michael Schmutzer ab, indem er seine Prognosen mit einer systematischen Markt-Beobachtung abgleicht: Mit den Kunden wertet er deren Nachfragedaten aus.

Suchen tatsächlich mehr Alleinerziehende Mütter kleinere Wohnungen, ist das Produkt für Centacon interessant. Lydia Schültken arbeitet nach der Lead-User Methode. Sie sucht spezielle Kunden, Kreative und Experten, sogenannte Lead-User, die auf der Basis der Trenddaten zusammen neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln.

Ähnlich funktionieren die Methoden, die Zukunftsforscher Steinle zur Trendinterpretation vorstellt: Die Delphi-Befragung etwa oder die Meta-Analyse, die sich auch auf Expertenwissen stützen.

Szenario-Technik

Eine Möglichkeit, das Risiko zu verteilen, ist die Szenario-Technik, die von Alternativen für die Zukunft ausgeht. Mit dieser Methode hat die HypoVereinsbank eine Antwort auf die Frage gesucht: Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus? Je nachdem, ob der Ordnungsrahmen reguliert oder liberal ist, die Risikokultur hoch oder niedrig, entfaltet sich für jede Version ein Szenario. Ein Finanzdienstleister, der für alle Szenarien Produkte entwickelt, muss auf alles vorbereitet sein.

Zum Schluss stellt Steinle noch einige Best-Practice-Beispiele vor, Firmen, die ihre Trendnähe optimal steigern: den Snowboard-Hersteller Burton aus den USA, dessen Besitzer Jake Burton jedes Jahr drei Monate auf der Piste verbringt, um am Puls der Szene zu bleiben. Oder der Safthersteller Eckes-Granini, der regelmäßig 40 bunt zusammengewürfelte Mitarbeiter zu Zukunftsgesprächen an einen Tisch setzt.

Die Fertighausfirma Baufritz erweitert ihren Blickwinkel, in dem sie vor allem branchenfremde Messen besucht. So hat das Unternehmen nach dem Besuch einer Automesse das Prinzip des einfahrbaren Cabrio-Daches auf den Hausbau übertragen.

Kanalisierung von Ideen

Google wiederum ist weit vorn, wenn es darum geht, Ideen zu kanalisieren: Täglich von 16 bis 17.30 Uhr empfängt Chef-Produktdesignerin Marlissa Mayer in der Innovations-Sprechstunde ihre Mitarbeiter, hört sich jede Idee an und setzt die besten um.

Und dann gibt es natürlich noch den genialen Visonär und sein berühmtes Bauch-Gefühl. Das Bauchgefühl funktioniert laut Andreas Steinle allerdings höchstens bei einem echten Branchenexperten. Der müsse außerdem noch superfeine Antennen für den Zeitgeist mitbringen. Und wie das Weitere im Einzelnen funktioniert? Steinle muss passen. Das kann auch das Kelkheimer Zukunftsinstitut nicht lehren.

© SZ vom 14.04.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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