Die Ergebnisse im Überblick:Lesen gut, Integration mangelhaft

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Deutsche Grundschüler schneiden der Bildungsstudie zufolge beim Leseverständnis im internationalen Vergleich sehr gut ab.

Birgit Taffertshofer

Die Grundschullehrer dürfen sich freuen. Die neue Iglu-Studie zeigt, dass deutsche Viertklässler heute im internationalen Vergleich gut dastehen. "Die Grundschule hat ihre Hausaufgaben gemacht", resümieren die Forscher. In 45Staaten und Regionen haben sie 2006 die Lesefähigkeiten am Ende der vierten Klasse untersucht. Die deutschen Schüler schneiden besser ab als vor fünf Jahren, als sich Deutschland erstmals bei der "Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung", kurz Iglu, beteiligt hat. Schon 2001 hatten die Deutschen in Iglu bessere Ergebnisse erreicht als in den Pisa-Studien, in denen 15-Jährige getestet werden.

(Foto: Foto: SZ-Grafik/Ilona Burgarth)

Allerdings macht auch die Iglu-Studie deutlich, wo die Ursachen der deutschen Bildungsmisere zu suchen sind. Denn auch in der Grundschule entscheidet nicht alleine die Leistung eines Kindes über den Schulerfolg, sondern vor allem das Elternhaus. "Die neuen Ergebnisse dürfen als Ermutigung, nicht aber als Entwarnung gewertet werden", sagt der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm. Die Übergangsempfehlungen zu weiterführenden Schulen "strotzen von Ungerechtigkeit". Die Iglu-Studie zeige damit einmal mehr, dass Deutschland das gegliederte Schulsystem auflösen müsse. Die Iglu-Forscher selbst gehen jedoch nicht so weit: Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund, der die Iglu-Studie deutschlandweit koordiniert hat, fordert lediglich mehr Durchlässigkeit zwischen Gymnasien, Haupt- und Realschulen. Keine andere Nation sortiert ihre Schüler so früh und streng aus wie Deutschland. Dadurch werden einige Schüler früh zurückgelassen, wie auch die Iglu-Studie nahe legt.

Die wichtigsten Ergebnisse der Iglu-Studie im Überblick:

Ungerechte Bildungschancen: Die Bildungschancen hängen in Deutschland besonders stark von der sozialen Herkunft ab. "Der Grundschule gelingt es nicht zufriedenstellend, bestehenden sozialen Ungleichheiten kompensierend zu begegnen", heißt es in der Studie. Die Chance eines Akademikerkindes, aufs Gymnasium zu kommen, ist demnach ein Vielfaches höher als die eines Arbeiterkindes - bei gleicher Intelligenz und Leistung wohlgemerkt. So hat ein Schüler aus einer Arztfamilie eine zweieinhalb so große Chance als das Kind eines Facharbeiters, dass sein Lehrer ihm das Gymnasium empfiehlt. Aber auch die Eltern verbauen den Kindern oft den Weg ins Gymnasium: Bei gleichen Schulleistungen wünschen sich Akademiker für ihre Kinder fast vier Mal so häufig das Abitur als Facharbeiter oder Angestellte. In den Grundschulen in Kanada, Italien, Dänemark und Hongkong gelingt es dagegen, soziale Ungleichheiten gering zu halten.

Risikogruppe Migranten: Am Ende der Grundschulzeit gibt es in Deutschland vergleichsweise wenig sogenannte Risikokinder. Nur Hongkong und den Niederlanden gelingt es, deren Zahl noch kleiner zu halten. Außerdem hat sich im Vergleich zu 2001 die Schere zwischen guten und schlechten Lesern verkleinert. Lediglich 13 Prozent der Viertklässler gelten bei Iglu als schwache Leser. Auch Einwandererkinder schneiden inzwischen besser ab. Allerdings bleiben sie hierzulande stark benachteiligt: Sie erzielen deutlich schlechtere Leseleistungen als Einheimische. Lediglich Norwegen schneidet bei den Leseleistungen der Zuwandererkinder im internationalen Vergleich noch schlechter ab. Die Forscher merken in ihrer Studie allerdings an, dass der Leistungsrückstand in Deutschland oft eng mit der schlechten sozialen Lage der Kinder verknüpft ist.

Zu wenig Spitzenleser: Deutsche Viertklässler verstehen die Texte, die sie lesen, insgesamt deutlich besser als ihre Vorgänger im Test vor fünf Jahren. Wenn sie aus dem Gelesenen allerdings Schlussfolgerungen ziehen sollen, tun sie sich schwer. Die Interpretations-Fähigkeiten müssten stärker geschult werden, empfehlen die Forscher. Außerdem müsse sich der Anteil an Spitzenlesern unter den Viertklässlern erhöhen. Momentan gehörten nur knapp elf Prozent zu dieser Gruppe. ,,Dies ist unbefriedigend'', urteilen die Forscher. In Singapur, Bulgarien und in Provinzen Kanadas liege er zwischen 16 und 19 Prozent.

Eltern fördern das Lesen zu wenig: Bei der Iglu-Studie wurden unter anderem auch die Eltern dazu befragt, wie sie das Lesen ihrer Kinder vor und während der Grundschule fördern. Zwar lesen die Eltern mehr mit ihren Kindern als vor fünf Jahren, aber im internationalen Vergleich immer noch deutlich zu wenig: Deutschland liegt bei der Lesesozialisation sogar unter dem internationalen Mittelwert. Die Forscher raten zu besonderen Anstrengungen, um die Lernausgangslage der Kinder in den Familien zu verbessern, etwa durch Elternarbeit.

Lernbedingungen der Kinder: Die neuen Iglu-Daten zeigen abermals, dass die deutschen Grundschullehrer gute Arbeit machen, obwohl sie oft mit schlechteren Bedingungen als ihre Kollegen im Ausland zurecht kommen müssen. Deutsche Lehrer erhalten zum Beispiel selten Unterstützung, wenn Kinder ihrer Klasse Leseprobleme haben. Kein Wunder also, dass an Grundschulen oft noch traditioneller Unterricht stattfindet, in dem der Lehrer die Kinder vor allem anleitet und unterweist. Phasen, in denen die Schüler eigenständig Lesen oder Texte schreiben dürfen, sind hierzulande seltener als in den Vergleichstaaten, kritisieren die Forscher, loben aber gleichzeitig die Modernisierung des Unterrichts.

Kinder haben Spaß am Lesen: Deutschland gehört zu den Staaten, in denen besonders viele Grundschüler Spaß am Lesen haben. Mehr als die Hälfte der Viertklässler gab in der aktuellen Studie an, täglich oder fast täglich in ihrer Freizeit zu lesen. Das waren noch mehr als beim Test vor fünf Jahren. Sieht man von der Russischen Föderation ab, haben die deutschen Viertklässler damit mehr Lust zum Lesen als die Kinder in allen anderen Vergleichsstaaten. Allerdings nimmt die Lesemotivation später ab.

Mädchen lesen besser: In allen Staaten, die die Studie untersuchte, lesen Jungen schlechter als Mädchen. In Deutschland ist diese Differenz jedoch vergleichsweise gering. Die Schulen schneiden hierzulande ähnlich gut ab wie beispielsweise jene in Luxemburg, Spanien und Italien.

© SZ vom 29.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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