Deutschland und Europa:Bologna im Blick

Die Gewerkschaften wollen mitreden beim europäischen Hochschulraum.

Hans Christof Wagner

(SZ vom 3.6.2003) Schicksalsjahr 2010. Nicht nur dass der Bundeskanzler es zum Zielpunkt seiner Sozial- und Wirtschaftsreformen auserkoren hat - auch hochschulpolitisch ist es von enormer Bedeutung. In sieben Jahren soll es einen europäischen Hochschul- und Forschungsraum geben, von Portugal bis Estland und von Finnland bis Zypern. So haben es die Bildungsminister 1999 in Bologna beschlossen.

Gerhard Schröders Agenda lehnen Gewerkschafter ab, die meisten jedenfalls. Dem europäischen Hochschul- und Forschungsraum aber stehen sie positiv gegenüber. Nur wollen sie den "Bologna-Prozess" nicht den Regierungen überlassen, sondern mitgestalten. Strategien dazu berieten jüngst in Berlin auf Einladung der Gewerkschaft und Erziehung (GEW) und der Bildungsinternationale (EI) 150 Gewerkschaftler und Wissenschaftler aus 25 Staaten.

Mehr Gemeinsamkeit

Vor allem ging es um die Qualität der akademischen Ausbildung und die Attraktivität der Arbeitsplätze in Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Die Bologna-Erklärung empfiehlt, Diplom- und Magisterabschlüsse durch Bachelor und Master zu ersetzen, die inzwischen auch hier zu Lande boomen. Die Qualität der neuen Studiengänge wird dabei zumeist durch eine externe "Akkreditierungs-Agentur" geprüft - als Voraussetzung für eine Zulassung.

Dabei geht es im "Bologna-Land" höchst unterschiedlich zu. Die mittel- und osteuropäischen Staaten haben Bologna nicht gebraucht, dort werden Studiengänge schon seit 1990 akkreditiert. In England sind die Hochschulen stark eingebunden, in Frankreich dominiert der Staat, in Deutschland gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den Ländern; auch wird mal vor der Zulassung eines Studiengangs akkreditiert, mal erst danach.

Für ein europäisches Ranking der Akkreditierungsverfahren ist es nach Ansicht der Gewerkschaften noch zu früh. An der Zeit finden sie jedoch den Appell zu mehr Gemeinsamkeit: Bei allen berechtigten nationalen Eigenheiten solle nicht jeder Bologna-Staat bei der Akkreditierung vor sich hinwursteln, forderte Gerd Köhler, im GEW-Vorstand für Hochschule und Bildung zuständig: "Wir wollen keinen europäischen Superakkreditierungsrat, aber um den USA Paroli zu bieten, brauchen wir gemeinsame Standards." Jedenfalls müsse die Zusammenarbeit intensiver sein als sie im European Network for Quality Assurance (ENQA), dem losen Verbund nationaler Akkreditierungsagenturen, praktiziert werde. Zudem müssten die an den Hochschulen Beschäftigten und die Studenten stärker an den Akkreditierungsverfahren beteiligt werden.

Magere Stipendien

Bei der Attraktivität der akademischen Arbeitsplätze in Europa rangen sich die in Berlin Versammelten dagegen zu einer Bewertung durch. Dabei schnitten die skandinavischen Länder am besten ab. Deutschland hat jedoch noch erheblichen Nachholbedarf, wenn es - wie in der Bologna-Erklärung gefordert - den brain drain, die Abwanderung europäischer Akademiker nach Übersee stoppen, ja umkehren will.

"Wir müssen weg von der Fixierung auf das Beamtentum, wir brauchen den Berufswissenschaftler in einem tarifvertraglich gesicherten Angestelltenverhältnis", nannte GEW-Mann Köhler eine Hauptforderung. In Skandinavien sei sie schon erfüllt.

Ebenso vorbildlich sei die Stellung der dortigen Doktoranden. In Norwegen beispielsweise haben sie vierjährige, passabel dotierte Arbeitsverträge und übernehmen Lehrverpflichtungen. "Mit mageren Stipendien, die kaum zum Leben reichen, haben wir international keine Chance, die akademische Welt gegenüber der Wirtschaft attraktiver zu machen", kritisierte der Kasseler Hochschulforscher Jürgen Enders die hiesige Realität.

Diese und die anderen Mahnungen waren nicht zuletzt an die Gastrednerin Edelgard Bulmahn gerichtet. Die Bundesbildungsministerin empfängt im September in Berlin ihre Kollegen aus den 33 Unterzeichner-Staaten der Bologna-Erklärung. Dann sollen die nächsten Schritte zum europäischen Hochschul- und Forschungsraum festgelegt werden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: