Deutschland fehlen Fachkräfte:Gefährlich unmodern

Obwohl den Firmen viele Fachkräfte fehlen, sperren sich die Volksparteien gegen Zuwanderung. Vor zehn Jahren war die Politik schon weiter.

Roland Preuß

Es ist, als hätte jemand das Licht ausgemacht während der Zuwanderungsdebatte: Damit sich neue Grüppchen bilden, die sich am Tage nie gemeinsam der Öffentlichkeit zeigen würden. Da fordert der FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle im Gleichklang mit der Grünen Renate Künast ein Punktesystem für mehr Zuwanderer. Und der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs stimmt auch noch mit ein. Auf der anderen Seite des Raumes findet sich Innenminister Thomas de Maizière mit SPD-Chef Sigmar Gabriel zusammen, um vor Lohndrückerei durch ausländische Fachkräfte zu warnen, während weiter rechts Horst Seehofer mit seinen CSU-Getreuen sogar qualifizierte Zuwanderer ablehnt, wenn sie aus fremden Kulturen kommen.

Fachkräftemangel kostet mehr als 20 Milliarden Euro

Allein auf weiter Flur: Deutschland feheln schon jetzt Fachkräfte.

(Foto: dpa)

Es ist unübersichtlich geworden in der Fachkräftedebatte, und es gibt wenig, worüber man sich einig ist. Zwei Punkte stehen aber fest: Erstens hat die pauschale Migranten-Kritik Fachkräfte abgeschreckt, die eventuell nach Deutschland kommen wollen. Zweitens ist klar, dass Deutschland bereits jetzt an Fachkräftemangel leidet und das Problem drängender wird, wenn nichts geschieht.

Welche Dimension der Mangel bereits hat, zeigt ein Blick auf die Fakten: Nach einer aktuellen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages haben 70 Prozent der deutschen Unternehmen Schwierigkeiten, die passenden Mitarbeiter zu finden. Fast die Hälfte erwartet in den kommenden fünf Jahren in ihrem Unternehmen einen Mangel speziell an Hochqualifizierten wie Spitzenmanager oder Forscher. Eine Studie für das Wirtschaftsministerium ergab bereits 2007, dass fehlende Fachkräfte die deutsche Wirtschaft jedes Jahr 20Milliarden Euro kosten. Und Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält 500.000 Zuwanderer im Jahr für nötig.

Besonders leiden Unternehmen, die IT-Fachleute und Techniker suchen. Laut dem Branchenverband Bitkom werden derzeit 28.000 IT-Experten gesucht - 8000 mehr als im Vorjahr. "Mit der konjunkturellen Erholung kommt das Fachkräfteproblem mit voller Wucht zurück", sagt Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. Der Berufsverband VDI ermittelte im Juli, dass in deutschen Firmen fast 37.000 Ingenieure fehlen. "Wir laufen Gefahr, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren", sagt VDI- Direktor Willi Fuchs.

Weit zurückgefallen

Soweit also der Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften. Und wie sieht es mit der in Deutschland so stark umstrittenen Zuwanderung aus, die diesen Bedarf stillen könnte? Die Zahlen fallen mager aus: Selbst im wirtschaftlichen Boomjahr 2008 kamen weniger als 30.000 Qualifizierte von außerhalb der EU ins Land, davon gerade einmal 311 Hochqualifizierte und Forscher. Selbst aus den EU-Ländern kamen 2008 netto nach Abzug der Rückkehrer nur noch 9500 Menschen ins Land, darunter viele, die nicht wegen der Arbeit, sondern wegen Studium oder Heirat zuzogen. Angesichts dieser Zahlen lässt sich getrost sagen: Die Anwerbung von Fachkräften funktioniert nicht.

Der Widerstand dagegen, anders und besser um Fachleute aus dem Ausland zu werben, ist dennoch breit - und er kommt aus beiden Volksparteien. In der Union macht er sich vor allem an der angeblich nicht integrierbaren Kultur der Zuwanderer fest. Und an der angeblichen Gefahr, dass die Einwanderer es sich schon bald mit deutschen Sozialleistungen bequem machen könnten. Dabei werden munter die unterschiedlichen Zuwandererströme vermischt: Kulturelle Abschottung, Armut und Arbeitslosigkeit gibt es vornehmlich unter den früher eingewanderten Gastarbeitern und ihren Kindern oder unter Menschen, die als Asylsuchende gekommen sind. Unter Akademikern lässt sie sich kaum feststellen.

Beliebt ist auch die Aussage, die Politik müsse sich erst um die heimischen Arbeitslosen und Schulabbrecher kümmern, ehe sie Ausländer ins Land lässt. Doch dies ist ein trügerisches Argument. Sicher benötigen diese Gruppen Weiterbildung und Umschulung. Doch es wird nicht möglich sein, die vielen niedrig oder nicht Qualifizierten unter ihnen zu begehrten IT-Experten fortzubilden.

Die SPD warnt zudem vor Lohndumping durch Zuwanderer - ein Argument, das eher ernstzunehmen ist. Eine breite Öffnung des Arbeitsmarktes könnte zu einem Unterbietungswettbewerb führen, ähnlich wie dies bereits bei Handwerkern aus den neuen EU-Ländern im Osten zu beobachten war. Allerdings: Bei Hochqualifizierten ist ein solcher Wettbewerb so lange nicht zu erwarten, wie lediglich der Mangel ausgeglichen wird. Ein Punktesystem, das Zuwanderer nach Ausbildung, Alter und Bedarf auf dem Stellenmarkt auswählt, könnte Lohndumping und andere Probleme vermeiden helfen.

Viel wird jedoch davon abhängen, wie Zuwanderung nach Deutschland den potentiellen Zuwanderern verkauft wird: Die bisherigen Gesetze sind so undurchschaubar wie das deutsche Steuerrecht, Unternehmen müssen sich oft Anwälte nehmen, um einen Experten ins Land zu holen. Ganz anders dagegen die einfach gehaltene Green-Card- Regelung für IT-Kräfte des früheren Kanzlers Gerhard Schröder (SPD): Sie lockte vor zehn Jahren relativ viele Experten an. Tausende Inder kamen damals und Hunderte IT-Fachleute aus arabischen Ländern und Pakistan. Nun lehnt CSU-Chef Seehofer diese Gruppen als Menschen aus "fremden Kulturkreisen" ab - das zeigt, wie weit die Debatte hinter die Erkenntnisse von damals zurückgefallen ist.

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