Auswanderungsland Deutschland:Hochqualifiziert? Nichts wie weg hier

Seit 2008 verlassen mehr Menschen das Land, als zuziehen. Besonders qualifizierte Ausländer kehren lieber in ihre Heimat zurück. Die Bundesregierung tut zu wenig, um sie zu halten.

Mattias Drobinski

Deutschland hat kein Zuwanderungsproblem, Deutschland hat ein Auswanderungsproblem: Seit dem Jahr 2008 verlassen mehr Menschen das Land, als zuziehen - und es gehen vor allem die Hochqualifizierten unter den Deutschen und den Zuwanderern. Das ist eines der Ergebnisse des Jahresgutachtens "Migrationsland 2011", das der aus neun Wissenschaftlern bestehende Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen für Integration und Migration an diesem Mittwoch vorgelegt hat.

Gut beflaggt ins Halbfinale

Die Deutschen gehen mit Ausländern realistisch um. "Ängste gibt es am Rande, aber nicht in der Mitte der Gesellschaft", sagt Migrationsforscher Klaus Bade.

(Foto: ddp)

"Erst haben wir über Jahrzehnte hinweg Zuwanderer ungenügend gefördert, jetzt vergraulen wir die neue Elite der Einwanderungsgesellschaft," kommentierte der Migrationsforscher Klaus Bade, der dem Expertengremium vorsitzt, die Zahlen.

Die Debatte um den Bestseller "Deutschland schafft sich ab" des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin habe zu einem "doppelten Eigentor" geführt: "Für junge, erfolgreiche Migranten war die Debatte ein regelrechter Bruch - und im Ausland setzte sich das Bild fest, die Deutschen seien Zuwanderern gegenüber feindlich eingestellt", sagte Bade und sprach von "populistischer Kulturpanik".

Dabei dominiere bei den Deutschen der "Migrationsrealismus": "Die Leute denken weder, dass das Boot voll sei, noch dass jeder, der wolle, ins Land kommen solle", so der Migrationsforscher. In einer Umfrage des Sachverständigenrates wünschen mehr als 60 Prozent der Befragten, dass mehr hochqualifizierte und bildungswillige Ausländer nach Deutschland kämen. 70 Prozent wiederum wünschen sich, dass weniger schlecht ausgebildete Menschen kommen.

Es sei falsch, eine restriktive Zuwanderungspolitik mit angeblichen Ängsten der Bürger zu begründen, sagte Bade: "Die Ängste gibt es am Rande, aber nicht in der Mitte der Gesellschaft", sagte er; die Politik aber behandle die "Bürger, die sich sehr wohl ein realistisches Bild von der Lage machen können", als säßen diese "in einem Kindergarten für Erwachsene". Den vorgelegten Statistiken zufolge hat Deutschland zwischen 1994 und 2009 eine halbe Million mehr Staatsbürger an das Ausland abgegeben, als von dort zuwanderte.

Es fehlt in "mutiges Gesamtkonzept"

2009 gab es 12.800 mehr Abwanderer als Zuwanderer; dies sei für Deutschland "ein gravierendes und langfristig wirkendes Zukunftsproblem", heißt es in dem Gutachten. Insgesamt kamen 721.000 Menschen nach Deutschland, 733.800 gingen. Die meisten Zuwanderer (112.000) kamen 2009 aus Polen; 27.200 kamen aus der Türkei - 35.400 Türken kehrten im gleichen Zeitraum in ihre Heimat zurück. "Die Vorstellung, Deutschland müsse sich vor Zuwanderung in größerem Umfang schützen, ist nicht nur empirisch falsch, sondern geradezu kontraproduktiv", urteilt das Gutachten.

Umworbene Studenten

Die Sachverständigen schlagen stattdessen vor, gezielt darum zu werben, dass Studenten, Fachkräfte und junge, aufstrebende Migranten nach Deutschland kommen beziehungsweise dort bleiben. Vor allem die derzeit 27.000 ausländischen Studierenden seien "verkannte Idealzuwanderer"; sie sollten künftig zwei Jahre nach dem Ende ihres Studiums in Deutschland bleiben können, nicht wie bislang eines.

In den kommenden Jahren würde Deutschland für Zuwanderer aus Nordafrika, Zentral- und Südostasien interessant werden, hier müssten "im Land aktive deutsche Institutionen als Sympathieträger für Deutschland wirken". Das Mindesteinkommen, das Fachkräfte brauchen, um sich in Deutschland niederzulassen, solle gesenkt werden, Naturwissenschaftler, Informatiker und Techniker sollen leichter als bisher im Land bleiben können.

Bei niedrig Qualifizierten habe sich die Migrationssteuerung bewährt - überhaupt bescheinigen die Experten Deutschland eine zufriedenstellende Integrationspolitik. Allerdings fehle "ein klares und mutiges Gesamtkonzept"; "Deutschland muss sich migrationspolitisch runderneuern", so Bade. Dazu gehöre auch, die bisherige Flüchtlingspolitik zu überdenken, die zu sehr darauf angelegt sei, Europas Grenzen abzuschotten. Die Europäische Union müsse "in überschaubarem Umfang legale Zuwanderungswege eröffnen", sagte der Forscher. Sie müsse aber auch "insbesondere den nordafrikanischen Ländern Entwicklungsperspektiven bieten" - ihm, Bade, schwebe "eine Art Marshall-Plan für die Region" vor. Auch das gehöre zu einer guten Migrationspolitik.

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