Deutsche Universitäten:Von wegen Humboldt!

Von unbeliebten Jammerprofessoren, Brotstudenten und philosophischen Köpfen: über das ewige Scheitern der Hochschulen.

Johan Schloemann

Die Universität feiert, die Universität klagt. Im schönen Freiburg wird gerade das Jubiläum zum fünfhundertfünfzigsten Jahrestag der Gründung der zuerst habsburgischen, dann badischen Alma mater begangen, die Walter Benjamin und Wolfgang Schäuble hervorgebracht hat. Es gibt Festakte, Konzerte und Kongresse. Es gibt ein Festmotto, das lautet "Freiburg - wir sind die Universität. Bright Minds for a Better World!". Und man hat sich eine Jubiläumsfestschrift in fünf Bänden gegönnt.

Von wegen Humboldt! Von unbeliebten Jammerprofessoren, Brotstudenten und philosophischen Köpfen: über das ewige Scheitern der Hochschulen.

550 Jahre Uni: Erstsemester-Vorlesung an der Uni Freiburg, die dieses Jahr ihr großes Jubiläum feiert.

(Foto: Foto: dpa)

Darin wird eine reiche historische Tradition der Gelehrsamkeit beschworen, wie sie die 1915 vor dem "Kollegiengebäude I" der Universität aufgestellten Sitzstatuen von Homer und Aristoteles verkörpern. In derselben Festschrift hat der Rektor der Universität, der Politologe Wolfgang Jäger, ein Ausblickskapitel geschrieben, das "Strategische Führung angesichts globaler Herausforderungen" heißt und das sich auch so liest: Da ist von "Konsensmanagement", von "unternehmerischer Initiative" die Rede, von der Hochschule als "internationalem Markenzeichen" und von "Corporate Identity".

Zwischen diesen beiden Polen - der großen Bildungstradition und der Managementpose - stehen, neben ausführlicher Beleuchtung der Rolle der Freiburger Universität im Nationalsozialismus, die Leistungsbilanzen der einzelnen Fächer, die sich im 19. und 20. Jahrhundert mächtig ausdifferenziert haben.

Milde Schnurrigkeit

Inmitten der großen Forschungserfolge, die Freiburg aufzuweisen hat, und neben Kapiteln, die die eindrucksvolle Reputation und Ausstattung gerade auch mancher geisteswissenschaftlicher Institute dort bezeugen, sind nun auch in dem Jubelwerk spielverderbende Töne zu hören, die nicht recht zu dem passen wollen, was der Rektor "effektive Außendarstellung" nennt.

Da heißt es beispielsweise: "Die Slavistik an der Universität Freiburg zählt zu den am schlechtesten ausgestatteten Instituten in der Bundesrepublik Deutschland. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Forschungsaktivitäten, dem breiten Lehrangebot, der internationalen Anerkennung und nicht zuletzt der . . . hohen Drittmitteleinwerbung."

Und der bekannte Romanist Hans-Martin Gauger rügt in einem Beitrag, wenn auch mit der ihm eigenen milden Schnurrigkeit, wieder einmal all das, was die als Typus so unbeliebten Jammerprofessoren zur Zeit allenthalben rügen: die geistige Einengung durch das Korsett der Bachelor-Studiengänge, welche die herkömmliche, allerdings vielfach zum Schlendrian verkommene Freiheit des forschenden Lernens ersetzen soll; die viel zu große Menge an Studenten; die Behinderung der Arbeit der Wissenschaftler durch Bürokratie und Gremiensitzungen.

Von der Philosophie, von derjenigen Disziplin also, der die Entstehung akademischer Schulen im Abendland überhaupt erst zu verdanken ist, und die in Deutschland kurz nach 1800 den Boden einer neuen, idealistischen, ganzheitlichen Idee und Organisation der Universität bildete - von dieser Philosophie hat die institutionalisierte Wissenschaft ihre Selbstreflexivität geerbt.

Von wegen Humboldt!

Sie zeigt sich immerzu, in jeder Sitzung, und sie findet in Jubiläumsbegängnissen ihren Höhepunkt. Adolf von Harnack etwa schrieb zum 200. Jubiläum im Jahre 1900 eine vierbändige Geschichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften und schärfte damit seine Überlegungen zur Organisation der wilhelminischen Großforschung. Und vor fünfzig Jahren, 1957, wollte Freiburg mit dem 500. Geburtstag nicht bloß seine Fähigkeiten demonstrieren, sondern auch seinen (und Westdeutschlands) Wiederanschluss an die westliche Gemeinschaft und an die freiheitliche Wissenschaft - ein Vorhaben, das allerdings durch einen Streit um den Auftritt Martin Heideggers als Festredner beeinträchtigt wurde.

Verstärkt noch vom heutigen Zwang der Publikationslisten und des Kampfes um externes Geld, bringt es jene Tradition der Selbstbesinnung mit sich, dass die Universität permanent ihren Stolz auf eigene Leistungen sowie gleichzeitig die Überzeugung formuliert, dass sie in einer schweren Krise steckt. So entsteht das Bild einer in der Stimmung schwankenden, aber immer auf sich selbst wie auf eine Person blickenden Einrichtung: eine Person auch, die, das gehört zu ihrem modernen Charakter, eine ewig scheiternde Figur sein muss. Damit wäre es auch zu rechtfertigen, dass der Berliner Wissenschaftshistoriker Rüdiger vom Bruch beansprucht, mit einer großen Geschichte der Berliner Universität im 19. Jahrhundert die "Biographie einer Institution" zu schreiben, in der er deren übliche von den "individuellen" Eigenschaften unterscheiden will.

Jubiläumsprodukte

Rüdiger vom Bruch hat sein Projekt am Montagabend in München, als Stipendiat des dortigen Historischen Kollegs, vorgestellt. Das entstehende Werk, das nach den Statuten des Kollegs ein "opus magnum" sein soll (ein Buch mithin, das zu schreiben der jetzige Universitätsalltag nur noch in den seltensten Fällen zulässt), ist seinerseits, wen wundert's noch, das Produkt eines Jubiläums. 2010 nämlich wird die heute Humboldt-Universität heißende preußische Neugründung ihren 200. Geburtstag feiern. Dieses Jubiläum wird, zumal wegen des damit verbundenen, zum Schlagwort gewordenen Konzepts "Humboldt", der nächste Besinnungshöhepunkt der gerade von rastlosen Reformen erfassten deutschen Universität sein.

Schon vom Bruchs Vortrag nun, der den sprechenden Titel "Vom Humboldt-Modell zum Harnack-Plan" trug, ließ erkennen, dass uns zu diesem Anlass gründlicher als bisher vorgeführt werden wird, wie scheinbar neue Konflikte in der Wissenschaftspolitik die alten sind. Dazu gehören zwei alte Feinde der deutschen Universität: Staatsabhängigkeit und die Nützlichkeit der Wissenschaft. Bei Rüdiger vom Bruch, der die Antriebskraft der idealistischen Bildungskonzeption von Männern wie Schiller, Wilhelm von Humboldt und Schleiermacher nicht in Abrede stellt, wird die Idee "Humboldt", so scheint es, gleichwohl noch viel utopischer, als sie es jemals war.

Vor allem zweckmäßig

So kollidierte beispielsweise die postulierte zweckfreie Bildung des ganzen Menschen keineswegs erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an mit dem Geist der Nützlichkeit, den wirtschaftliche Dynamik und aufstrebende Naturwissenschaften (heute heißt das: Globalisierung und Wissensgesellschaft) verbreiteten. Nein, der Traum von der Ablösung des "Brotstudenten" durch den "philosophischen Kopf" (Schiller), war schon in den Anfangsjahren der Berliner Universität, so vom Bruch, bloß ein solcher.

Bereits 1818 kritisierte etwa der Theologe Philipp Konrad Marheineke als Rektor die Berliner Studenten in einem Aufruf über die "zweckmäßige Einrichtung" des Studiums: Sie versäumten es, sich um allgemeine wissenschaftliche Bildung zu bemühen, und seien vielmehr nur darauf aus, "das Nothdürftigste für ihre künftige praktische Laufbahn zu erlernen". Und spätestens in den Jahren nach 1820 geriet in den stetig wachsenden Wissenschaften die geplante Gleichberechtigung der besseren Studenten mit den Professoren unter den Druck der Realität. "Das neue Wissenschaftsideal blieb zwar weiter als Anspruch gewahrt", kommentiert Rüdiger vom Bruch, "konfligierte indes früh mit der realen Dynamik einer Ausbildungsuniversität."

Außerdem war das System "Humboldt" im 19. Jahrhundert kaum explizites Vorbild für andere Universitäten in Deutschland; in Freiburg etwa entstanden neue Institute nicht einfach aus dem freien Geist der Weiterentwicklung des Wissens, sondern durch staatliche Eingriffe zugunsten der expandierenden Lehrerbildung. Paradoxerweise wurde "Humboldt" erst dann zur gesamtdeutschen Referenz, als um 1900 die Einheit von Forschung und Lehre in der neuen Reichshauptstadt Berlin durch die Großforschung à la Mommsen und Harnack faktisch aufgelöst und damit das Konzept "Humboldt" endgültig abgeschafft wurde - auch wenn man meinte, im Geiste desselben zu handeln.

All dies spricht keineswegs dagegen, die Idee der Humboldtschen Universität aufrechtzuerhalten, in Freiburg und überall. Aber es sollte lehren, mit der Chiffre "Humboldt" etwas vorsichtiger umzugehen - auch in all den akademischen Krisen- und Festreden, die gerade anstehen.

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