Denkzeit:Vielfalt anstelle von Einfalt

Viele sprechen zurzeit von Diversität, Vielfalt oder Diversity. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle dasselbe denken, wenn von kollegialer, gar geschwisterlicher Zusammenarbeit die Rede ist. Hanjo Seißler im Gespräch mit dem Wirtschaftsethiker Albert Löhr.

Viele führen zurzeit die Vokabeln Diversität, Vielfalt, Verschiedenartigkeit oder Diversity häufig im Munde. In Wirtschaft, Management, Politik, Verbänden und Kirchen. Es ist aber davon auszugehen, dass sie nicht alle dasselbe denken, wenn von globaler, kollegialer, gar geschwisterlicher Zusammenarbeit die Rede ist. Hanjo Seißler wollte von dem Sozialwissenschaftler und Wirtschaftsethiker Albert Löhr wissen, was er davon hält und wie er darüber denkt.

Denkzeit

Für den Wirtschaftethiker Albert Löhr geht das Thema Diversity weit hinaus über den Wirkungsbereich von Unternehmen. Er sieht darin einen Schlüssel für das Wohlergehen aller Menschen.

(Foto: Foto: Bettina Theisinger)

Die Vielfalt ist der Einfalt vorzuziehen. Das zu bestreiten, wird nur Einfältigen in den Sinn kommen. Was die Anekdote vom Thronfolger erhellt, der sich geweigert habe, die Mode mitzumachen, die von "Herren" verlangte, Beinkleider mit scharfkantigen Bügelfalten zu tragen. Er bleibe bei seinen stets zerknitterten Hosen, weil er "vom Volk" lieber "Edward der Vielfältige" als "Edward der Einfältige" genannt werden wolle. Bei den Textilien wird weiterhin auf Einfalt gesetzt. Im Umgang mit Menschen indes spielt die Vielfalt, auch Verschiedenartigkeit und in Kreisen von Politik und Wirtschaft Diversity genannt, mittlerweile eine tragende Rolle. Es stellt sich allerdings die Frage, ob, wenn von Diversity die Rede ist, alle dasselbe meinen.

Albert Löhr, zum Beispiel, definiert den Begriff viel umfassender als es die meisten Politiker, Manager und Verbandsfunktionäre tun. Der Inhaber eines Lehrstuhls für Sozialwissenschaften am Internationalen Hochschulinstitut in Zittau sieht die Welt mit den Augen des Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsethikers. Dieser Blickwinkel wird ihn bewogen haben, in Zittau den neuen integrativen Studiengang "Sozialwissenschaften mit wirtschaftsethisch orientierter interkultureller Managementlehre" aufzubauen. Auf Diversity-Management angesprochen, erklärt er, ihm fehle bei allem, was er darüber höre und lese, die Absicht, die Vielfalt in drei Stufen zu fördern und sie so für alle Menschen, einerlei wo sie leben und was sie gesellschaftlich darstellen, zu nutzen.

Die Menschheit brauche zunächst eine kulturale, aufeinander zugehende Diversität. Werde die weltweit akzeptiert, ergebe sich als zweite Stufe die politische, fast wie von selbst. Daraus könne folgerichtig drittens das ökonomische Miteinander der verschiedenartigsten Völker der Erde entstehen. Solange jedoch über solche Thesen wie die des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Phillips Huntington (1927-2008) ernsthaft diskutiert werde, könne es keine wirklich Völker verbindende, von allen Menschen gewollte Vielfalt geben.

Samuel Huntington verteidigte die Tatsache, dass die USA die einstige Militärdiktatur in Brasilien unterstützt hatten, als Erfolg. Er trat "für autoritäre Einparteiensysteme ein", um, "nötige Reformen auch radikal" durchsetzen zu können. 1960 bezeichnete er das Apartheid-System in Südafrika als "zufriedene Gesellschaft". Seine These vom Konflikt der "Zivilisationen" kehrte er sogar nach innen: Die Zuwanderung aus Lateinamerika in die Vereinigten Staaten hielt er für bedenklich und propagierte die Rückkehr zu den anglo-protestantischen Werten der ersten europäischen Siedler. Zu allem Überfluss erklärte er öffentlich: In besonderen Lagen sei "unter Beachtung enger Grenzen ein gerechter Krieg" gerechtfertigt. Keine dieser Äußerungen hat Huntington jemals zurückgenommen.

Eine „Sinn stiftende Klammer"

Der aus dem fränkischen Bamberg stammende Löhr gerät fast ins Schwärmen, wenn er vom ins Dreiländereck "Deutschland-Polen-Tschechien" eingebetteten Zittau erzählt. Nicht allein, dass der Ortsname der 30 000-Seelen-Stadt selbstverständlich auch auf Tschechisch, Polnisch und Sorbisch zu hören und zu lesen ist, nimmt für ihn offenbar ein Stück, der von ihm gewünschten, sich in drei Stufen entwickelnden Diversität voraus. Auch das vielsprachig friedliche Stimmengewirr am Internationalen Hochschulinstitut zeuge davon, dass Kultur in der Lage sei, Politik und Ökonomie, eine Schneise zu schlagen. So fand im Mai 2004 die zentrale deutsche, tschechische und polnische Feier zur EU-Osterweiterung in Zittau statt. Ende 2007 feierten dann europäische Staatsoberhäupter an den Übergängen Zittau Friedensstraße - Porajów und Porajów - Hradek (Grottau), dass die Kontrollen nach Polen und Tschechien anlässlich des Schengen-Beitritts flachfielen.

Diversity brauche eine "Sinn stiftende Klammer". Die könne aus der Erkenntnis erwachsen, dass "Systeme mit hoher Diversität wesentlich stabiler" seien als andere. "Eine Wildwiese, beispielsweise, ist imstande Pflanzen und Tiere, die ihr Schaden zufügen könnten abzuwehren. Eine Monokultur kann das nicht! Ein Kartoffelacker, der vom Kartoffelkäfer befallen wird, hat in aller Regel keine Chance zu überdauern." Es dürfe niemand, der seine fünf Sinne beisammen habe, meinen, Homo sapiens - der angeblich vernunftbegabte Mensch - stehe außerhalb des Kreises tierischer und pflanzlicher Lebewesen auf der Erde. Er sei die unantastbare "Krone der Schöpfung." Das sei ein tragischer Irrtum.

Die Verschiedenartigkeit von Menschen nur einzusetzen, um Umsätze zu steigern und Gewinne zu mehren, stelle auf Dauer nicht zufrieden. Im Gegenteil, es gefährde den Frieden. An der biologischen Vielfalt sei abzulesen, dass auf Gerechtigkeit bedachte, friedfertige Verschiedenartigkeit für Menschen wichtig ist. So wie die Biodiversität für die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und für die von Ökosystemen. Sie sei Lebens- und Überlebensgrundlage fürs Wohlergehen aller Menschen. Weil die Folgen schwindender biologischer Vielfalt jedoch in erster Linie die Ärmsten der Armen treffe - sie sind oft auf Erzeugnisse angewiesen, die sie sich aus der Natur holen - sei auf lange Sicht gesehen nicht allein der soziale Frieden auf dem Blauen Planeten gefährdet.

Spiele Diversity sich einzig und allein auf nebensächlichen Schauplätzen ab, so gehe sie an dem, was die Welt brauche, vorbei. Werde sie nur in kleinen Häppchen oder in dünne Scheiben geschnitten als Almosen serviert - "Jetzt holen wir 'n paar Frauen in den Vorstand" oder "Wir erfüllen die vorgegebene Quote für Behinderte" oder "Bei uns kommen im Augenblick sogar Langzeiterwerbslose unter" oder "Wir fördern einige Nebenerwerbsbauern in einem menschenleeren Landstrich" - berechtige das nicht dazu, zu behaupten, es sei damit etwas für die Vielfalt getan worden.

Betreffe Diversity Management ausschließlich einen "elitär zusammengestellten Zirkel von Leuten", die zwar von unterschiedlicher Hautfarbe sein, verschiedene Sprachen sprechen und aus den entlegensten Ecken des Erdballs stammen könnten, trage das keineswegs zur Gerechtigkeit im Verteilungskampf bei.

Auf die Frage, ob denn die jetzt global betriebene Diversity nicht ein inhaltsleeres Sammelsurium und ein gleichmacherischer Gedankenhaarschnitt sei, das und der dazu diene, Menschen ihrer persönlichen Schöpferkraft und ihrer generalistischen Fähigkeiten zu berauben, reagiert der Sozialwissenschaftler Albert Löhr, Mitglied des Vorstandes des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik (DNWE) so sanft, wie es seine Art ist. Weit davon entfernt, ein Revolutionär zu sein, nickt er auf eine Weise mit dem Kopf, die manches bedeuten kann: "Ja" oder "Nein" oder "Darüber muss ich noch nachdenken."

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