Cybermobbing in der Schule:Gemein sein, bis der Arzt kommt

Immer mehr Jugendliche werden im Internet von Mitschülern bloßgestellt: Viele macht das krank, sie fühlen sich von allen abgelehnt, ihr Selbstbewusstsein ist kaum mehr vorhanden. Wie sich Schüler und Eltern wehren können.

Stefan Harnisch

Klara fühlte sich eigentlich recht wohl in der 9. Klasse ihrer Realschule. Es hatte zwar einige Probleme gegeben, als sie ihren Freund kennenlernte, aber sie glaubte, die Angelegenheit sei geklärt. Er kam aus der Parallelklasse. Andere Mädchen fanden ihn auch nett, aber er hatte sich für Klara entschieden. Komisch fand sie dann, dass Mitschülerinnen, die sie als Freundinnen bezeichnete, auf ein Mal in der Schule über sie lästerten, sie ausgrenzten und mit ihr nichts mehr zu tun haben wollten.

Internet-Mobbing gegen Lehrer

Gemeinheiten im Netz: Cybermobbing macht Jugendliche krank.

(Foto: dpa)

Klara bewegte sich virtuell nachmittags vorwiegend bei SchülerVZ und ICQ. Auch dort gingen die Lästereien weiter, allerdings noch härter und kränkender. Schlampe und Hure waren noch harmlose Bemerkungen. Anfangs mischte sie noch mit, rechtfertigte sich, schimpfte zurück. Doch die Sache nahm einen Verlauf, dem sie nicht mehr gewachsen war. Noch nie war sie im Leben so beschimpft und gekränkt worden. Sie traute sich nicht mehr aus der Wohnung heraus, zog sich immer weiter zurück, verlor Kontakte zu anderen Jugendlichen, auch die Beziehung zu ihrem Freund ging in die Brüche. Die Mutter erzählte ihr erst viel später, dass sie im Postkasten einen Zettel gefunden hatte mit der Botschaft, dass Klara doch sterben solle.

Nachdem Klara dann die Schule aus Angst vor weiteren Attacken ein halbes Jahr nicht mehr besucht hatte, kam sie zu uns in die Klinik. Emotional zutiefst verunsichert, verängstigt. Sie fühlte sich von allen abgelehnt, ihr Selbstbewusstsein war kaum vorhanden, sie war nicht mehr belastbar. Es gab Zeiten, da wollte sie nicht mehr leben. Ihre Eltern waren hilflos.

So fangen in den letzten Jahren Problematiken von einigen Jugendlichen an, die in die stationäre psychiatrische Behandlung kommen. Das Cybermobbing hat stark zugenommen, es macht die emotionale Verwundbarkeit von Jugendlichen noch größer und ist oft Auslöser für seelische und soziale Krisen. Mittlerweile gehört es zum Standard bei stationären Aufnahmen, auch die Aktivitäten im Internet abzufragen.

Festzuhalten ist, dass fast jeder aufgenommene Jugendliche Kontakte zu sogenannten Social Networks hat, Mädchen im Schnitt etwas umfassender als Jungen. Es geht nicht mehr um Erfahrungsaustausch und Wissenserwerb, sondern darum, sich einer Öffentlichkeit zu präsentieren, möglichst viele Kontakte zu knüpfen, "dazuzugehören" und Lebenswelten miteinander zu verbinden.

Verarmte Kommunikation

Im Grunde genommen ist virtuelle Kommunikation ein verarmter sozialer Austausch, da ihm grundlegende wesentliche Aspekte der Kommunikation fehlen - wie Gestik, Mimik, Blickkontakt und Distanzzonen. Folge ist ein reduzierter Austausch auf der Beziehungsebene, der kaum durch digitale Stilmittel kompensiert werden kann. Cyberkontakte beinhalten gewissermaßen Phantasiequalitäten, der Weg des Gedankens zum Ausdruck ist kurz, was durchaus verhängnisvoll für impulsive Jugendliche sein kann. So entstehen Botschaften mit sehr persönlichen Details, die mit geringer Rücksichtnahme auf andere verfasst werden.

Es gibt kaum schützende Instanzen

Betrachtet man nun das Internet als sozialen Interaktionsraum, so wird deutlich, dass es kaum sozial reglementierende und schützende Instanzen gibt. Informationen sind jedem anderen Nutzer zugänglich und der "digitale Fingerabdruck" bleibt. Es ist dabei nicht einmal nötig, selber aktiv zu werden. So können Informationen über Personen ohne deren Wissen unproblematisch und ohne großen Aufwand einer großen Öffentlichkeit preisgegeben werden.

Dies hat zur Folge, dass diese öffentlichen Medien von Schülern oder Studierenden zur Bühne von Streitigkeiten, Rachefeldzügen oder vermeintlich harmlosen Scherzen genutzt werden. Schaffen es die Betroffenen, ihre Scham zu überwinden und Hilfe zu suchen, stehen ihnen häufig ratlose Eltern und Lehrer gegenüber. Das Ausmaß des Problems und die Gefahren sind ihnen nicht bewusst. Ein Teufelskreis aus Ohnmacht, Angst, Scham und sozialem Rückzug droht, der zu Isolation, Schulversagen, psychischen Störungen bis hin zu Selbstmordgedanken führen kann.

Eltern haben oft keine Ahnung von den Internetaktivitäten ihrer Kinder. Diese haben in ihren eigenen Zimmern zeitlich unbegrenzt Zugang zum Internet, und es entsteht eine Kluft der Sprachlosigkeit in der Familie. Eltern können dann wie vom Blitz aus dem anscheinend heiteren Himmel getroffen sein, wenn sie von Cybermobbing (in der Opfer-, aber auch der Täterrolle) erfahren. Dieses betrifft alle Schichten. Die Eltern sind fassungslos, hilflos, teilweise schämen sie sich auch, da sie ihren Kindern ungehemmten Internetkonsum ermöglicht haben.

Eltern müssen sich informieren

Trotz dieser Gefahren darf das positive Potential, welches die neuen Medien mit sich bringen, wie etwa Entfaltungs- und Lernmöglichkeiten, bei der derzeitigen Diskussion nicht außer Acht gelassen werden. Gute EDV-Kenntnisse sind mittlerweile in fast jeder Berufsgruppe Grundvoraussetzung, eine grundsätzliche Abkehr vom Medium Internet ist kaum möglich. Es gilt vielmehr, einen Weg zu finden, Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Internet in einem angemessenen Rahmen zu vermitteln.

Die Täter sind identifizierbar

Eine wichtige Forderung an Eltern und Lehrer besteht darin, sich über die Möglichkeiten des Kontakts, der Kommunikation und der Gefahren der sozialen Netzwerke zu informieren. Erst dann ist es möglich, Jugendliche über die Gefahren des Internets aufzuklären sowie ein respektvolles und klares Konfliktmanagement zu entwickeln.

Aufklärung durch Öffentlichkeit

Bei offensichtlichem Cybermobbing aber muss Öffentlichkeit herstellt werden, wobei Jugendliche, Eltern und Lehrer beteiligt werden sollten. Es empfiehlt sich, die Polizei mit einzubinden, wenn sich über Cybermobbing Straftatbestände wie Nötigung, Beleidigung, Bedrohung oder üble Nachrede ergeben. Viele jugendliche Nutzer wissen gar nicht, dass über den sogenannten elektronischen Fingerabdruck auch die Möglichkeit besteht, über den Provider die IP- Adresse des Senders zu identifizieren.

Ziel des klinischen Aufenthalts ist es, Kinder wieder in ihr Leben zurückzuführen. Klara ist heute wieder zu Hause. Es geht ihr besser, bald soll sie wieder in ihre Schule gehen. Aber sie wird noch lange eine Nachbehandlung brauchen.

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