China:Schönheit entscheidet in China über die Karriere

YEAREND REVIEW 2014: WOMEN'S ISSUES

Brust-OP in Hefei: "Die plastische Chirurgie bedeutet die Kapitulation vor der männerdominierten Berufswelt", sagt eine Frauenrechtlerin.

(Foto: REUTERS)
  • Der Trend zu Schönheitsoperationen schwappt von Südkorea zunehmend nach China über.
  • Dort nutzen viele Frauen die Operationen, um ihre beruflichen Chancen zu verbessern.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Dr. Chen Da lässt sich an diesem Vormittag bei der Arbeit über die Schulter blicken. Seine junge Patientin mag ihre platte Nase nicht. Unter Vollnarkose liegt die Frau jetzt unterm Messer in der Tida-Klink für plastische Chirurgie in Shanghai und lässt den Arzt werkeln. Es ist der dritte operative Eingriff in ihrem Gesicht. Sie mochte schon ihre Augen nicht und ließ sich die Lider aufschneiden, damit die Augen größer wirken. Die Konturen ihres Kinns sind auch geschärft.

Einen Tag später sitzt die junge Frau namens Zhang Bo mit einem großen Mullpflaster auf der Nase in ihrem Bett und sinniert schon über die nächste Operation. Der Aufpolsterung der Nase soll noch die Stärkung der Wangenknochen folgen. Erst dann sei die Runderneuerung ihres Gesichts abgeschlossen, erzählt sie. Ihre Beweggründe sind simpel. Die 22-Jährige arbeitet regelmäßig als Model und will ihre Chancen auf neue Aufträge erhöhen. "Aus meinem Freundeskreis hat das jeder gemacht. Ich finde das völlig normal", sagt Zhang Bo.

Besonders beliebte Tageszeit für kleine Eingriffe: die Mittagspause

Was für chinesische Models plausibel klingen mag, breitet sich zunehmend auf eine andere Berufsgruppe in China aus, nämlich die Büroangestellten. Die Suche nach einem Arbeitsplatz gestaltet sich für junge, gut ausgebildete Menschen im Land ohnehin schon schwierig genug. 7,5 Millionen Uni-Absolventen strömten allein 2015 auf den Arbeitsmarkt, so viele wie nie zuvor. Doch häufig genügt die akademische Leistung nicht mehr für eine Anstellung mit Perspektive. Vor allem Frauen müssen zunehmend attraktiv sein, um für eine Stelle überhaupt noch in Frage zu kommen.

"Wir stellen fest, dass viele Entscheidungsträger in großen Unternehmen nach hübschen, weiblichen Bewerberinnen fragen", sagt Shen Weijing, die für eine Personalvermittlung in Shanghai arbeitet. Die Verantwortlichen legten angesichts der großen Auswahl an Jobsuchenden verstärkt wert auf "etwas fürs Auge". Andere Agenturen bestätigen diesen Eindruck. "Es kommt in vielen Firmen vor, dass ein Abteilungsleiter dem anderen die schöne Assistentin neidet", sagt Shen. Also werden die Vermittler aufgefordert, nach einem besonders hübschen weiblichen Exemplar für das Büro Ausschau zu halten. Eine möglicherweise bessere Kandidatin erhält den Posten eben nicht, wenn dem Chef deren Nase nicht passt.

Kürzlich ließ sich eine Mitarbeitern eines großen chinesischen IT-Konzerns in der Tida-Klinik die Augenlider öffnen. Die Dame arbeitet für die Kommunikationsabteilung des Unternehmens und sagte dem Arzt, dass sie keine Chance auf eine Beförderung mehr habe, wenn sie nicht besser aussehen würde. "Wir haben viele Patientinnen, die aus beruflichem Kalkül zu uns kommen", sagt Dr. Chen.

"Kapitulation vor der männerdominierten Berufswelt"

Besonders beliebte Tageszeit für kleine Eingriffe wie das Aufspritzen ist die Mittagszeit. Die viel beschäftigten Arbeitnehmer nutzen die Pause für einen Schuss Botox in die Stirn oder Hyaluronsäure in die Lippenfalte. Mit dem Begriff der "Mittagspausen-Schönheit" macht die Tida-Klinik bereits Werbung.

Die Frauenrechtsaktivistin Xu Ziling erkennt darin Methode. "Die plastische Chirurgie bedeutet in unserer Gesellschaft die Kapitulation vor der männerdominierten Berufswelt", sagt Xu. Sie glaubt sogar, es sei üblich, dass Frauen im Büro nur Karriere machten, wenn sie ihren Vorgesetzten auch sexuell zur Verfügung stünden. Die Personalvermittler sind aber sicher, dass die große Mehrheit der Frauen nicht auf diese Form der Prostitution eingeht. Doch immer mehr Arbeitnehmerinnen fügten sich der steigenden Nachfrage nach perfekter Schönheit und ließen sich operieren.

Die Entwicklung konterkariert all das, was Millionen Frauen in China jahrzehntelang von ihren Müttern als wichtigen Ratschlag mit auf den Weg bekommen haben: "Du bist nicht schön, also lern fleißig, um später ein besseres Leben zu haben." Noch vor wenigen Jahren war es durchaus üblich, den Mädchen frühzeitig die Eitelkeit aus dem Kopf zu schlagen. Heute dreht sich die Welt jedoch in die entgegengesetzte Richtung.

Der Trend zu Schönheitsoperationen ist vornehmlich aus Südkorea in die Volksrepublik hinübergeschwappt. Südkorea verzeichnete 2013 statistisch gesehen mit 13,5 Patienten pro 1000 Bürgern die höchste Quote weltweit. In China kam im gleichen Jahr nur ein Patient auf 1000 Einwohner. Doch die Einkommen in China legen jedes Jahr zu und mit ihr die Umsätze der Branche. 82,8 Milliarden US-Dollar waren es im Jahr 2014. Nur in den USA und Brasilien verdienen die Kliniken noch mehr Geld. Die steigende Nachfrage in China hat aber auch viele unseriöse Anbieter auf den Plan gerufen. Die Zahl juristischer Auseinandersetzungen hat deutlich zugenommen in den vergangenen Jahren. Doch ein bislang mangelnder gesetzlicher Rahmen gibt Opfern von Pfusch wenig Möglichkeiten, sich entschädigen zu lassen.

Flugbegleiterinnen in China müssen zudem auch gertenschlank sein. Kürzlich machte der Fall einer Stewardess Schlagzeilen, die vom Dienst suspendiert wurde, weil sie das von der Airline vorgeschriebene Maximalgewicht für ihre Größe überschritten hatte. Offiziell hieß es, die Entscheidung sei aus Gründen der Flugsicherheit getroffen worden. Wenn die Crew zu schwer sei, erhöhe sich einerseits das Risiko einer Überlastung des Flugzeugs. Andererseits sei eine "übergewichtige" Flugbegleiterin in Notfällen in ihrer physischen Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Trotz öffentlicher Kritik blieb die Fluglinie bei ihrer Handhabe und bekam sogar Unterstützung von der Flugsicherheitsbehörde.

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