Burschenschaften:Ein Verhältnis fürs Leben

Zu Frauen ist man höflich, den Brüdern ewig treu und zum Bier trinken ist immer jemand da: Ein Besuch bei der Studentenkorporation Wiking.

Christiane Langrock-Kögel

Die Bundesbrüder tragen heute Abend Band. Weiß, rot, grün windet es sich um ihre Oberkörper in Hemd und Pullover. Sie tragen alle Lederschuhe und ordentliches Beinkleid, das gebietet der Anlass. Den Besuch bittet man in die Bibliothek des Vereinshauses, wo schwere Polstermöbel vor Bücherregalen stehen. Entsprechend der Kürzel im Veranstaltungsprogramm der Studentenverbindung würde dieser Abend vermutlich so gekennzeichnet: s.t.-o/D-. Das bedeutet: pünktlicher Beginn, offizielles Treffen, mit Dame.

Burschenschaften: Zwei Herren im "Vollwichs" - sprich "großer studentischer Tracht": Vorstand Matthias Baumgart (links) und ein Bundesbruder.

Zwei Herren im "Vollwichs" - sprich "großer studentischer Tracht": Vorstand Matthias Baumgart (links) und ein Bundesbruder.

(Foto: Foto: oH)

Die sechs Männer mit Band und kleiner, grüner Mütze gehören zur Hamburger Korporation Wiking. 300 Mitglieder hat sie, 25 sind Studenten, der weitaus größere Teil die sogenannten "Alten Herren". Zum alten Herrn wird jeder Bundesbruder automatisch, sobald er sein Studium beendet hat. Die Wiking ist eine katholische Verbindung und daher nichtschlagend; den traditionellen Fechtkampf lehnt ihr Cartellverband (CV) ab.

Auf ein Bier findet sich immer einer

Dessen Geschäftsführer überraschte kürzlich mit der Meldung, dass sich in seinen Reihen ein erfreulicher Mitgliederzuwachs bemerkbar mache. Mehr als 500 neue Füchse - wie Neumitglieder im Verbindungsdeutsch heißen - zählte der CV im vergangenen Jahr. Noch vor ein paar Jahren seien es weniger als 300 gewesen.

Die Wiking hat zum Wintersemester drei Füchse aufgenommen. Das könne man als steigenden Zulauf bezeichnen, sagt Matthias Baumgart, Senior im Chargenkabinett der Verbindung, sprich: ihr Vorsitzender. Was zieht einen wie ihn, seinen jüngeren Bruder Philipp oder den 21-jährigen Fuchs Falko Schulte in das Vereinsheim, einen recht uncharmanten Nachkriegsbau? Die zehn günstigen Zimmer in den oberen Stockwerken sind alle an Bundesbrüder vermietet. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, die Bibliothek, einen Veranstaltungssaal und die Kajüte, eine mit viel Holz und Seemannsgarn verzierte Kellerbar.

Den Knigge leben

Während des Semesters hängt immer ein Fass Bier an der Zapfanlage, dafür sorgt der Bierwart. Über dem Tresen baumeln Landjäger an einer Holzstange. Zu einem Abend in der Kajüte gehören Gesang, alte Studentenlieder übers Wandern und den Wein. Band und Mütze werden getragen, sobald vier, fünf Leute zusammensitzen. "Auf ein Bier findet sich immer einer im Haus", sagen die Bewohner. Jeder alte Herr hat einen Hausschlüssel, manche kommen spontan vorbei.

Die Brüder Baumgart und ihr Kommilitone Schulte haben Väter, die einer Verbindung angehören. Vater Baumgart ist heute Vorsitzender der alten Herren der Wiking. Seine Söhne sind großgeworden mit Traditionen und Ritualen, die ihren Altersgenossen verstaubt, rückwärtsgewandt und weltfremd erscheinen. Dass die Verbindungsstudenten den Knigge kennen und leben, ist unzeitgemäß, aber auch ganz angenehm, sie sind auf eine unaufdringliche Art Gentlemen. Aber ihr Leben im Verbindungshaus und ihre Freizeitgestaltung wirken antiquiert. Wochenendausflüge zu anderen Verbindungen, Bälle in Anzug und Abendkleid, Burschungsprüfungen, Zirkel, Convente und Keilstammtische - ihre enge, ritualisierte Gemeinschaft ist für Außenstehende doch gewöhnungsbedürftig.

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Ein Verhältnis fürs Leben

Fechten, trinken und laute Vaterlandsparolen grölen

Die Mitgliederzunahme, die der katholische Cartellverband registriert, ist kein allgemeiner Trend im deutschen Verbindungswesen. Bei vielen Korporationen herrscht eher Stagnation. Es gebe keinen "Zulauf, der aufhorchen lässt", sagt Hanno Dockter, Präsident des Rings Katholischer Deutscher Burschenschaften. Für ihn ist es ein Erfolg, dass in seinem Verband in den letzten Jahren vier Korporationen zurück ins Universitätsleben gefunden haben. Jahrelang bestanden sie aus alten Herren, heute haben sie wieder eine Aktivitas - junge Leute im Studium.

Dockter will sich erst nach genauer Nachfrage zum Thema äußern; er befürchtet, sein Verband werde mit den nichtkonfessionellen, schlagenden Verbindungen des Dachverbands Deutsche Burschenschaft in einen Topf geworfen. Die Furcht ist begründet, das öffentliche Bild von Studentenverbindungen ist geprägt von politisch weit rechts stehenden Burschenschaften, die fechten, trinken und laute Vaterlandsparolen grölen. Wegen ihrer Beziehungen zur rechtsextremen Szene stehen einzelne Burschenschaften immer wieder unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Konkurrenz- und Karrieredruck

Schätzungsweise ein bis drei Prozent aller Studierenden gehören einer Verbindung an. Je nach Ort schwankt die Zahl - in Großstädten, wo das Freizeitangebot besser ist, haben es die Verbindungen schwerer. "Mitglieder nehmen uns auch die Privat-Unis", sagt Gerhard Serges vom Convent Deutscher Akademikerverbände, "die sind selbst wie Verbindungen." Die Verbände setzen darauf, dass ihnen der Konkurrenz- und Karrieredruck unter den Master- und Bachelor-Studenten Mitglieder in die Arme treibt.

Die sechs Männer in der Bibliothek, zwei Füchse, drei Burschen und ein alter Herr, kennen das Befremden, das ihre Mützen und Bänder auslösen. "Wir distanzieren uns ausdrücklich vom rechten Rand", sagt Matthias Baumgart, der Wiking-Vorsitzende. "Wir sind satzungsgemäß keine politische Vereinigung." Seine Bundesbrüder nicken zustimmend hinter ihren Bionade-Flaschen. Ihre gediegene Kleidung und Sprechweise passen nicht zu ihren jungen Gesichtern. Einer von ihnen studiert Jura, ein anderer Maschinenbau, einer will Gewerbelehrer werden, ein anderer Arzt.

Liebeskämpfe im Verbindungsleben

Katholische deutsche Studenten können bei der Wiking Mitglied werden. Ausländer auch, wenn sie hier studieren. Frauen nicht. Zum einen will es die Tradition so, zum anderen befürchtet man Liebeskämpfe im Verbindungsleben. Was, wenn sich Bundesbrüder um eine Frau streiten? Aber die Damen seien bei vielen Veranstaltungen herzlich willkommen, und es finde sich immer einer, der ihre Rechnung übernehme. Ehrensache.

Nach einer Probezeit von zwei Semestern gilt in der Verbindung das Lebensbundprinzip. Der Bursche sucht sich einen alten Herrn als Leibvater - eine Art persönlicher Pate. Die Alten sind das Netzwerk der Jungen, finanzieren das Verbindungshaus und die Veranstaltungen. Der Student selbst zahlt nur 26,50 Euro pro Semester.

Blick über den Tellerrand

Als abends um zehn Uhr ein Bundesbruder nach Hause kommt, reicht er jedem die Hand und wünscht eine gute Nacht. Ist das der gute Ton im Haus? Wenn man müde sei, könne man auch mal grußlos nach oben gehen, sagt Matthias Baumgart. Aber erwartet wird die tägliche Teilhabe. Das gilt auch für die Veranstaltungen, meist zwei pro Woche, denen man nicht unentschuldigt fernbleibt. Auch wenn einen Vorträge zum Thema "Neue Entwicklungen bei HIV und Aids" oder "Die Olmeken - eine mesoamerikanische Subkultur" nicht interessieren. Der Blick über den eigenen Tellerrand gehöre zur Grundhaltung.

In der Verbindung suchen sie Rückhalt und Familiengefühl. Nach der dritten Bionade kommt man beim Begriff "konservativ" an. Ein Etikett, das keinen der Herren stört. Richtig verstanden möchten sie sich wissen: "Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern das Forttragen der Flamme."

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