Burn-out-Syndrom:Kollaps am Schreibtisch

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Sie sollen ständig erreichbar sein, verspüren einen brutalen Leistungsdruck - und brechen schließlich unter Weinkrämpfen zusammen: Immer mehr Menschen werden durch die Arbeit psychisch krank.

Guido Bohsem

Die nächsten Kandidaten kann Bernd Theuerkauff inzwischen auf den ersten Blick erkennen. "Sie verändern auf einmal ihr Verhalten und werden entweder aggressiv und aufbrausend oder passiv und traurig", berichtet der Betriebsrat von T-Systems in Karlsruhe. "Sie leiden unter Schlafstörungen und innerer Unruhe und kommen mit dem Stress immer weniger zurecht."

Wenn Arbeit krank macht: Chefs geben den Druck der Kunden oft ungefiltert an die Mitarbeiter weiter. (Foto: picture alliance / dpa)

Wer sich aus dieser Situation nicht befreien könne, dem drohe der Kollaps, das Burn-out-Syndrom. "Ich habe Kollegen erlebt, die unter Weinkrämpfen zusammengebrochen sind", berichtet Theuerkauff. Insbesondere in diesen Tagen, wo bei T-Systems wieder eine Sparrunde mit Personalabbau anstehe, hätten viele das Gefühl: "Egal wie schnell ich laufe, ich komme einfach nicht nach."

Frühwarnsystem für die Betriebe

Für Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, beschreiben Theuerkauffs Beobachtungen einen allgemeinen Trend. Durch einen brutalen Leistungsdruck hänge die psychische Gesundheit der Beschäftigten seit Jahren am seidenen Faden. "Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise droht dieser Faden zu zerreißen"', warnt Urban. Die IG Metall hat deshalb zusammen mit dem Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) Forderungen aufgestellt, mit denen sie der Gefahr begegnen wollen. Sie plädieren für Frühwarnsysteme in den Betrieben, um Überforderung schon im Ansatz deutlich zu machen oder zu vermeiden.

Glaubt man der Gewerkschaft, ist das auch im Interesse der Arbeitgeber, denn die Schäden sind immens. Während die Zahl der Betriebsunfälle von Jahr zu Jahr abnimmt, steigen die Ausfälle durch psychische Erkrankungen ständig - laut einer Studie der AOK zwischen 1995 und 2008 um 80 Prozent.

9,3 Prozent aller Fehltage gehen inzwischen auf das Krankheitsbild zurück, hat der Bundesverband der Betriebskrankenkassen errechnet. Als Krankheitsgrund liegen psychische Störungen auf dem vierten Platz. Schon jetzt sind sie die häufigste Ursache für Frühverrentungen. 2007 begründete jeder Dritte seinen verfrühten Ausstieg aus dem Beruf mit hartnäckigen Depressionen oder anderen seelischen Störungen. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes entstand durch die neue Volkskrankheit 2006 ein Schaden von 26,7 Milliarden Euro.

Keine Trennung von Privatleben und Job

Der Verband der Betriebsärzte sieht die wesentlichen Ursachen für die stressbedingten Erkrankungen in einer radikal veränderten, beschleunigten Arbeitswelt. So gäben Chefs den Druck der Kunden oft ungefiltert an die Mitarbeiter weiter, heißt es im Positionspapier von Ärzten und Gewerkschaftlern. Die Arbeitgeber verlangten umfassende Erreichbarkeit, etwa durch Mobiltelefone oder den heimischen Computeranschluss. So funktioniere die Trennung von Privatleben und Job nicht mehr. Zur Entspannung fehle den Menschen die Zeit.

Die Ärzte wollen der Krankmacherei am Arbeitsplatz zusammen mit den Betriebsräten gegensteuern. So sollen Mediziner in Vorsorgeuntersuchungen künftig gezielt auf Symptome für Überlastung achten. Dazu müssten die Betriebsärzte aber besser ausgebildet werden. Vor allen in kleinen und mittleren Betrieben sei die medizinische Betreuung nicht ausreichend. Hier müsse die Politik deshalb mehr Geld zur Verfügung stellen und die Zahl der arbeitsmedizinischen Lehrstühle ausbauen.

© SZ vom 9.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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