Burn-out:"120 Prozent sind den Menschen nicht genug"

Burn-out tritt oft dann auf, wenn man es nicht erwartet: im Urlaub. Psychiater Götz Mundle über Burn-out im Job und den schwierigen Entzug vom Stress.

Titus Arnu

Wer davon betroffen ist, verliert die Lust am Leben und würde am liebsten nur noch schlafen. Burn-out nennen Forscher das Phänomen, das oft dann auftritt, wenn man es am wenigsten erwartet: im Urlaub. Götz Mundle ist ärztlicher Leiter der Oberberg-Kliniken, die auf die Behandlung des Burn-out-Syndroms sowie von Depressionen und Suchterkrankungen spezialisiert sind.

SZ: Herr Mundle, im Urlaub sieht man immer mehr Leute, die mit dem Blackberry am Strand sitzen und berufliche E-Mails abrufen, Aktienkurse checken oder Nachrichten verfolgen. Sind das alles zukünftige Burn-out-Patienten?

Götz Mundle: Nicht unbedingt. Aber viele Leute haben große Schwierigkeiten damit, mal Pause zu machen. Sie sind immer online, dabei ist es ganz wichtig, auch mal offline zu gehen. Ich will Blackberrys nicht verteufeln, ich habe selber einen. Aber irgendwann muss man die Dinger eben ausschalten.

SZ: Sind E-Mail-Junkies besonders gefährdet, einen Zusammenbruch zu erleiden?

Mundle: Die Frage ist, ob sie sich auch mal davon lösen können oder nicht. Manche Leute sind in ihrem Stress gefangen. Das ist wie mit einer Schallplatte, die einen Sprung hat. Burn-out-Patienten können das einfach nicht abstellen. Diese Leute müssen mühsam lernen, Stille wieder zu ertragen und irgendwann auch wieder zu genießen. Das kann man trainieren.

SZ: Wie denn?

Mundle: Ein Weg wäre durch Meditation. In der Gruppe machen wir Übungen, die es einem erleichtern, zur Ruhe zu kommen - etwa durch bestimmte Atemtechniken und andere Entspannungsmethoden.

SZ: Hilft Sport beim Abschalten?

Mundle: Es kommt drauf an. Bei manchen Patienten ist Sport kein Ausgleich, sondern zusätzlicher Stress. Leute, die in der Burn-out-Falle stecken, machen alles extrem, sie versuchen, in allem so schnell und effektiv zu sein wie möglich. Also gehen sie nicht eine Stunde joggen und entspannen sich dabei, sondern melden sich für den Ultra-Triathlon an. Dieser Typ von Patient will dann in der Burn-out-Klinik auch eine Turbo-Therapie, er will die Sache so schnell wie möglich durchziehen, um in seinem Beruf weitermachen zu können. Das kann nicht funktionieren. Im Kern geht es um Gefühle. Viele überarbeitete Menschen sind kaum mehr in der Lage, ihre Emotionen wahrzunehmen.

SZ: Wie kann man Menschen beibringen, wieder mehr auf Gefühle zu achten?

Mundle: Um Menschen wieder in Kontakt mit sich selbst zu bringen, braucht es oft mindestens eine Kurzzeittherapie von sechs Wochen. Wir nennen das Selbstmanagement. Bei dieser Therapie gibt es täglich Einzelgespräche und Gruppendiskussionen. Bevor wir so weit sind, dass wir therapeutisch arbeiten können, dauert es aber meistens ein, zwei Wochen.

SZ: Warum?

Mundle: Vorher kommt erst mal die körperliche Therapie. Die meisten Patienten brauchen zuerst eine Entgiftung. Viele haben einen erhöhten Alkoholspiegel und müssen schlicht nüchtern werden. Andere nehmen dauerhaft Medikamente, die sie erst absetzen sollen. Wir nehmen grundsätzlich alle suchtkranken Menschen auf, auch wenn sie noch narkotisiert sind. Und selbst wenn sie ausgenüchtert sind, ist es für viele immer noch schwierig, ihre Krankheit anzunehmen. Burn-out-Patienten sind so sehr in ihrem Hamsterrad drin, dass sie sich selbst nicht mehr als Person wahrnehmen, bei manchen ist das seit Jahren so.

SZ: Welche Art von Menschen sucht Hilfe bei Ihnen?

"Viele schämen sich dafür"

Mundle: Die meisten sind Mitte, Ende 40, je zur Hälfte Männer und Frauen. Viele sind Führungskräfte - Manager, Ärzte, Juristen, Unternehmer, Schauspieler. Für die ist es oft sehr schwierig, Schwäche zu zeigen. Interessanterweise fällt es gerade den Ärzten unter ihnen schwer zuzugeben, dass sie Hilfe brauchen, denn sie werden dadurch ja vom Helfenden zum Hilfsbedürftigen. Viele schämen sich regelrecht dafür: Ich als Arzt bin krank!

SZ: Warum sind gerade Ärzte gefährdet, ein Burn-out zu erleiden?

Mundle: Zum einen haben sie einen körperlich und seelisch anstrengenden Job. Zum anderen haben sie leicht Zugang zu bestimmten Medikamenten, und sie wissen, wie man diese einsetzt - so können sie sich betäuben oder aufputschen, je nachdem. Durch Drogen verstärken Betroffene ihre seelischen Probleme natürlich.

SZ: Aber nicht alle Menschen, die einen stressigen Beruf haben, erleiden zwangsläufig ein Burn-out.

Mundle: Zu einer Eskalation kommt es meistens, wenn aktuelle Probleme auf frühe seelische Wunden stoßen. Oft sind diejenigen besonders gefährdet, die gut für andere Menschen denken und sorgen können, aber nicht auf sich selbst achten. Das gilt für Ärzte und andere Leistungsträger genauso wie für Mütter, die alles für ihre Kinder tun, aber nichts für sich selbst. Vielen ist 120 Prozent nicht genug, die wollen 150 Prozent geben. Aber selbst 100 Prozent sind auf Dauer schon zu viel.

SZ: Welche Warnzeichen gibt es?

Mundle: Das vegetative Nervensystem ist überreizt und alle Organe können betroffen sein. Werden Warnzeichen nicht ernst genommen, können sich Störungen des Immunsystems, ein Herzinfarkt, Depressionen, Angst- oder Abhängigkeitserkrankungen entwickeln. Wer täglich Alkohol konsumiert, und zwar so, dass er nach ein, zwei Gläsern nicht aufhören kann, sollte einen Suchtexperten aufsuchen. Ein deutliches Warnzeichen ist es auch, wenn Menschen nachts aufstehen, um Alkohol zu trinken, um zu rauchen oder um E-Mails zu schreiben.

SZ: Betroffene werden solche Verhaltensweisen wohl als normal ansehen.

Mundle: Das stimmt. Es ist deshalb wichtig, auf andere zu hören - wenn Kollegen, Freunde oder Familienmitglieder einen auf solche Dinge ansprechen, ist es wichtig, sie ernst zu nehmen.

SZ: Wie hoch ist die Erfolgsquote bei Burn-out-Therapien?

Mundle: Wir bekommen über Selbsthilfegruppen und Nachfolge-Therapien viele Rückmeldungen von Patienten. Etwa 80 Prozent der Leute haben die Therapie erfolgreich hinter sich gebracht. Das bedeutet nicht, dass sie jetzt rundum glücklich sind. Es bedeutet, dass sie ihren Alltag und ihren Beruf wieder bewältigen.

SZ: Gibt es Vorbeugemaßnahmen, um das Ausbrennen zu verhindern?

Mundle: Die gibt es schon. Als Grundregel raten wir dazu, mindestens einen Tag in der Woche nicht zu arbeiten, mindestens zweimal die Woche pünktlich Feierabend machen und zweimal im Jahr in den Urlaub zu fahren. Eigentlich ist das selbstverständlich, aber den Patienten muss man das richtiggehend abringen.

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