Burn-out am Arbeitsplatz:Stress, der sich in die Seele frisst

Das Burn-out-Syndrom macht sich breit in deutschen Unternehmen. Doch viele Arbeitnehmer warten viel zu lange, um sich Hilfe zu holen. Die ersten Symptome sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, warnen Experten. Denn wer psychisch krank wird, fehlt oft für lange Zeit.

Sibylle Haas und Verena Wolff

Bei Javier Sayes Gomez war es ein schleichender Prozess - aber so richtig überraschend ist das Burn-out nicht gekommen. "Ich war im Stress, seit ich denken kann", sagt der in Deutschland geborene Sohn spanischer Eltern, der als selbständiger Kaufmann im Rheinland arbeitet. Als Kind stressten Schule und der tägliche Sport, dann die Ausbildung und dazu nachgeholte Schulabschlüsse, später der Beruf und in der knappen Freizeit noch ein Master-Studium. "Mein Terminkalender war immer voll, ich habe 80 bis 90 Stunden pro Woche gearbeitet", sagt der 38-Jährige.

Doch dann, irgendwann, schlich sich eine innere Unruhe bei ihm ein. Er war nicht mehr so recht zufrieden mit sich und seiner Arbeit, hatte das Gefühl, immer noch mehr leisten zu müssen. "Gleichzeitig war ich übellaunig und wurde immer schlapper", erinnert er sich. Das war im Jahr 2009. Zufällig sah er im Fernsehen eine Sendung zum Thema Burn-out und erkannte sich in vielen der gezeigten Symptome wieder. In der Sendung kam ein Experte zu Wort: Mazda Adli, Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störung an der Charité in Berlin. "Ihm habe ich sofort eine E-Mail geschrieben und innerhalb weniger Minuten eine Antwort bekommen", sagt Sayes.

Adli schlägt eine Therapie vor - und der Kaufmann sieht die Notwendigkeit, sein Leben zu ändern. Er nimmt eine Auszeit vom Beruf und arbeitet daran, den Stress in den Griff zu bekommen. "Ich habe zwei Monate nur geschlafen. Ich war total fertig", sagt Sayes. Damit ist er kein Einzelfall: Auch Prominente wie Fernsehkoch Tim Mälzer oder Skispringer Sven Hannawald machten ihr Burn-out öffentlich und erklärten, dass sie unter totaler Erschöpfung litten.

Doch so offen wie Prominente oder der Selbständige Sayes sind nicht viele. Noch immer ist Burn-out ein Tabu in der Gesellschaft. Dass jemand nichts mehr ordentlich auf die Reihe bringt, dass jemand total müde, unendlich traurig, in einem Wort: fertig ist mit der Welt - das wird oft totgeschwiegen. Dabei trifft es immer mehr Menschen: Die Anzahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von Burn-out ist seit 2004 drastisch gestiegen, berichtet die Bundespsychotherapeutenkammer. Dazu die Warnung: Burn-out-Symptome sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, weil dahinter meist psychische Erkrankungen steckten.

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Der volkswirtschaftliche Schaden ist hoch. Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) schätzt ihn allein durch arbeitsbedingte psychische Belastungen auf jährlich etwa sieben Milliarden Euro. Fast vier Milliarden Euro davon entfielen auf die Unternehmen, weil Mitarbeiter nicht zur Arbeit kommen. Der Rest seien zum Beispiel die Kosten für Krankenbehandlungen. Wer seelisch leidet, ist länger krank. Die Fehlzeiten bei psychischen Krankheiten betragen laut BKK 37 Tage. Ein durchschnittlicher Krankheitsfall dauert dagegen nur 13 Tage. Dies alles ist Grund genug für Firmen, psychische Belastungen zu reduzieren. Wie das geht, hat der BKK in einer Broschüre "Kein Stress mit dem Stress. Eine Handlungshilfe für Führungskräfte" zusammengefasst.

Burn-out ist keine Krankheit

Burn-out ist weder eine Krankheit, noch ist das Syndrom klar definiert. "Burn-out ist ein Begriff, der für alle möglichen Arten von Stress, Antriebslosigkeit und Formen der Depression verwendet wird", sagt Charité-Arzt Adli. Jeder stelle sich etwas anderes darunter vor. Müde, antriebslos, erschöpft - so wie bei Javier Sayes beginnt Burn-out in den meisten Fällen. Und wird doch oft nicht wahrgenommen, denn zu alltäglich scheinen viele Symptome. Schlaflosigkeit, Infekte, Erkältungskrankheiten, Rücken- oder Kopfschmerzen. Auch so kann sich der Körper beim Burn-out melden. "Die Konzentration wird schlechter, die Aufmerksamkeit schwindet, man wird vergesslicher, grübelt, die Gedanken kreisen", erklärt Adli. Wenn auch soziale Kontakte leiden, sollte man die Notbremse ziehen.

Fest steht, dass die ständige Erreichbarkeit durch Laptop und Smartphone mit dazu beiträgt, dass heute mehr Menschen als früher unter psychischen Störungen leiden. Seit Jahren weisen Mediziner und Arbeitspsychologen auf diesen Zusammenhang hin. Wer immer auf dem Sprung ist, immer bereit zu reagieren, der kann sich nicht erholen. "Die digitalen Medien sind Ausdruck von mehr Komplexität und einer schnelleren Arbeitswelt", sagt Stressforscher Michael Kastner. "Die Menschen haben das Gefühl, die Dinge nicht mehr im Griff zu haben. Das macht krank."

In den Unternehmen kommt das Thema allmählich an, weil Betriebsärzte Alarm schlagen. Bei ihnen melden sich immer mehr Menschen, die völlig erschöpft und kurz vor dem Umkippen sind. Das hat viele Gründe. Auf der einen Seite befragen Ärzte ihre Patienten heute intensiver als früher nach den Arbeits- und Lebensumständen, wenn sie erschöpft wirken, stellt die Bundespsychotherapeutenkammer fest.

Ein anderer Grund ist natürlich, dass viele Unternehmen in der Krise Stellen abgebaut haben und die Arbeit heute von weniger Leuten erledigt werden muss als vor zehn Jahren. Ein weiterer Grund liegt aber auch in der Führung. Mangelnde Wertschätzung, innerbetriebliche Veränderungen und fehlende Leistungsmöglichkeiten sind die Hauptprobleme am Arbeitsplatz, ergab vor einiger Zeit eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Gerade an diesem Punkt verFehlzeitenreport - Bürostress macht immer mehr Angestellte kranksuchen Unternehmen anzusetzen.

Die Deutsche Telekom zum Beispiel. Marion Schick ist dort Personalvorstand. Sie hat eine klare Meinung zu Handys und Laptops: "Nicht die Möglichkeiten der Technik sind das Problem, sondern - wie immer - der Umgang damit in einer verantwortlichen Grundhaltung ist es." Übertragen auf die Beziehungen zwischen Chefs und Mitarbeitern bedeute dies: "Wo Führung versagt, fängt Burn-out (leichter) an."

Wichtig seien Regelungen, die den Umgang mit Mails und Telefonaten festlegen, sagt Schick. Bei der Telekom untersagt eine Richtlinie den Chefs, Mails an Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit zu schreiben. Auch der Autokonzern Volkswagen hat den Umgang mit E-Mails geregelt: Der Server wird nach Dienstschluss einfach heruntergefahren. Solche Vereinbarungen, meint Schick, könnten aber nur flankierend wirken.

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"Wer Führung beherrscht, weiß, wann er stärker steuernd eingreift und wann er sich zurückziehen muss. Nicht jede Mail, die nach Feierabend geschrieben wird, überfordert die Mitarbeiter", betont die Personalchefin. Doch Führungskräfte sollten sich überlegen, ob eine Mail nicht bis zum nächsten Arbeitstag warten kann. Und: "Das, was die Mail auslöst, hängt ganz wesentlich von der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ab. Da ist von Angst bis hin zur hoch inspirierenden Anregung des gemeinsamen Arbeitens an einer Lösung alles drin."

Abschalten ist das Wichtigste

In vielen Firmen gibt es inzwischen Mitarbeiterbefragungen. Bertelsmann gehört zu den ersten Unternehmen in Deutschland, die so etwas gemacht haben. Dabei kam heraus: Je mehr Freiheit jemand in der Arbeit hat, desto besser fühlt er sich von seinem Chef unterstützt. Die am besten geführten Abteilungen hatten eine Krankenquote, die fast 30 Prozent unter dem Firmendurchschnitt lag. Die Krankenquote der schlecht geführten Bereiche übertraf den Durchschnitt dagegen um 46 Prozent.

Dies zeigt, partnerschaftliche Führung hält gesund. Ein ähnliches Ergebnis brachte eine Befragung von Unilever im Jahr 2008. Die Mitarbeiter berichteten von extrem viel Stress, mehr als die Hälfte litt an Schlafstörungen, mehr als ein Drittel hatte eine depressive Verstimmung. Die Ursachenforschung zeigte, ein Grund dafür war Führungsschwäche. Seitdem werden alle Führungskräfte geschult - die Mitarbeiter sind leistungsfähiger.

Abschalten, im Sinne des Wortes, ist wichtig. So hält sich nach wie vor die Annahme, Arbeitnehmer müssten jederzeit für ihren Chef erreichbar sein, wenn sie dienstlich ein Handy oder einen Laptop haben. Doch das Arbeitszeitgesetz zieht Grenzen: Grundsätzlich darf jemand höchstens zehn Stunden am Tag beschäftigt werden und nicht mehr als 48 Stunden in der Woche. Doch nicht nur einigen Vorgesetzten, auch manchem Mitarbeiter ist das egal. Das Perfide am Burn-out ist, dass er häufig Menschen mit Eigenschaften trifft, die einen guten Mitarbeiter auszeichnen: "Ehrgeiz, ein hohes Kontrollbedürfnis, aber auch ein hohes Beliebtheitsstreben. Eigenschaften, die uns antreiben, die aber auch zu Stressfallen werden können", sagt Charité-Arzt Adli.

So war es auch bei Javier Sayes. Als Selbständiger trug er eine hohe Verantwortung und ein hohes Risiko. Etwa drei Monate nach Therapiebeginn ging er wieder zurück in die Arbeitswelt. "Ich begann, ein paar Stunden jeden Tag zu arbeiten." Allerdings stürzte er sich nicht mehr zu sehr in den Job: "Ich gönne mir Ruhezeiten und habe einen anderen Ausblick auf das, was ich bereits geleistet habe." Heute komme es auch vor, dass er Handy und Laptop ausgeschaltet lasse und nur einen halben Tag mit seiner Arbeit verbringe. "Für mich war das Burn-out ein Warnschuss", sagt der Kaufmann. Sein Leben sei nun deutlich gesünder geworden - "und in meinem Job läuft es weiterhin gut".

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