Brexit:Schwindende Anziehungskraft

Internal detail view of cafÄ seating area of Tanaka business school Kensington London UK Internal

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Brexit auch mit höheren bürokratischen Hürden für ausländische MBA-Studenten verbunden sein. Die Aufnahme entstand in der modern eingerichteten Cafeteria der Imperial College Business School im Londoner Stadtteil Kensington.

(Foto: Imago)

Eine Folge des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union dürften höhere Studiengebühren sein.

Von Jochen Bettzieche

Raus wollten sie aus der EU. Zumindest mehrheitlich. Am 23. Juni 2016 hatte eine Mehrheit der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Jetzt ist bei vielen der Katzenjammer groß, auch an den Universitäten und Business Schools, den Wirtschaftsfakultäten der Universitäten und den Wirtschaftshochschulen. Denn der Brexit könnte dazu führen, dass Studenten ihren Master of Business Administration (MBA) künftig bevorzugt in anderen Staaten machen. Restriktionen, höhere Kosten und weitere Aspekte machen es den Anbietern der MBA-Programme in einem derzeit ohnehin umkämpften Markt künftig wahrscheinlich schwer, Studenten anzulocken.

Dabei genießen viele britische Business Schools einen guten Ruf. In der Rangliste der besten europäischen Anbieter, erstellt von der Wirtschaftszeitung Financial Times, belegen derzeit 14 britische Institute einen Platz unter den Top 50. In Zukunft könnten sie schon wegen der Kosten für Studenten aus der EU an Attraktivität verlieren. Denn bislang zahlen EU-Mitglieder das Gleiche wie Briten, alle anderen deutlich mehr. Gehört Großbritannien nicht mehr zur EU, müssen die Hochschulen ihre Gebühren unter Umständen erhöhen, sodass Studenten aus der EU womöglich das Gleiche zahlen wie ihre Kommilitonen aus anderen Ländern außerhalb des Vereinigten Königreichs.

Selbst Dozenten aus EU-Ländern brauchen künftig vermutlich Visum und Arbeiterlaubnis

Und das angesichts der Tatsache, dass das Studium auf der Insel ohnehin schon teuer ist. "Manche MBA-Programme kosten bis zu 60 000 Pfund", heißt es beim britischen Branchenverband Chartered Association of Business Schools (CABS) in London. Die Abwertung des Britischen Pfunds infolge des Brexit wird Gebührenerhöhungen vermutlich nur zum Teil ausgleichen. Dabei ist Nachfrage aus dem Ausland wichtig für die Business Schools. In den Programmen machen ausländische Teilnehmer nach Angaben der Higher Education Statistics Agency (HESA) in Cheltenham mehr als die Hälfte der Studenten aus.

Peter Thuy, stellvertretender Vorstandsvorsitzender beim Verband der Privaten Hochschulen in Heidelberg, ist überzeugt, dass es nicht alle Anbieter gleich stark treffen wird: "Topschulen, bei denen es auf die Reputation ankommt, sind nicht ganz so betroffen wie das Massengeschäft." Zudem ist auch der Lehrkörper international. An der Saïd Business School in Oxford beispielsweise kommen nur 40 Prozent der Dozenten aus Großbritannien. Landesweit stammen laut HESA 13 Prozent aus der EU.

Für sie ist ein Aspekt genauso wichtig wie für Studenten: das Ende der Freizügigkeit. EU-Bürger dürfen in EU-Staaten arbeiten. Tritt Großbritannien aus, benötigen beide Gruppen Visa, Lehrpersonal darüber hinaus eine Arbeitserlaubnis.

Die britische Regierung ist in den vergangenen Jahren bereits scharf kritisiert worden, weil sie die Einreisebestimmungen verschärft hat. So gelten China und Indien laut Branchenverband CABS als wichtigste Herkunftsländer von Studenten, aber auch als die Länder, bei denen der Rückgang an Bewerbern in den vergangenen Jahren am größten war. In einer verbandsinternen Untersuchung klagten 60 Prozent der Business Schools über rückläufige Bewerberzahlen. "Internationale Studenten wählen andere Länder für ihre Bildung, weil unsere Immigrationsgesetze das Betreten dieses Landes schwierig und unattraktiv machen", klagt Verbandspräsident Simon Collison.

Zwar stammen die meisten ausländischen MBA-Studenten nicht aus der EU, dennoch fürchtet zum Beispiel Angus Laing, Dekan der Lancaster University Management School: "Sie könnten das Gefühl bekommen, in eine Schule oder Universität einzutreten, die Europa gegenüber weniger offen und weniger verbunden ist." Auch das könnte den Universitäten in Kontinentaleuropa einen Zuwachs sowohl von EU- als auch Nicht-EU-Studenten bescheren. Zumal zumindest in Deutschland die Visabestimmungen schon heute einfacher sind. "Zudem erhält jeder Absolvent eine Arbeitserlaubnis. Wir rechnen daher vermehrt mit Anfragen, nicht nur aus der EU, und werden unsere Kapazitäten bei Bedarf anpassen", erklärt Thuy.

Vor allem da die Aussichten auf einen Arbeitsplatz hierzulande für MBA-Absolventen größer sein dürften als in Großbritannien, wo der Finanzsektor infolge des Brexit Zehntausende Stellen streichen will. In der Luft hängen derzeit auch Kooperationen zwischen britischen und Business Schools aus anderen EU-Ländern. "Ich bin aber sicher, dass hier jeweils ein Weg gefunden wird, die Zusammenarbeit weiter fortzuführen", sagt Thuy.

Ebenfalls offen ist, wie sich Qualität und finanzielle Ausstattung der britischen Lehranstalten ändern werden. Auch das ist ein wichtiger Aspekt, um qualitativ gutes Lehrpersonal anzulocken. Laut CABS stammten 15,9 Millionen Pfund für Forschungsvorhaben an britischen Business Schools im Jahr 2014 aus dem öffentlichen und privaten Sektor in der EU, mit steigender Tendenz, während Mittelzuflüsse aus dem eigenen Land stark rückläufig sind.

Bis auf Weiteres läuft für Teilnehmer an MBA-Programmen noch alles wie gehabt

Viel hängt davon ab, wie EU und Großbritannien den Austritt tatsächlich gestalten werden, ob die Briten ähnlich wie die Schweiz und Norwegen nah an die EU angekoppelt bleiben. Darauf hoffen viele. Aber das könnte ein gefährlicher Trugschluss sein. Denn aus Kreisen in der Politik ist wieder und wieder zu hören, dass man ein Zeichen setzen und die Briten die negativen Folgen eines Austritts spüren lassen wolle. Schon allein, um zu verhindern, dass EU-Gegner in Frankreich, Österreich, den Niederlanden und anderen Staaten nachziehen und ähnlichen Erfolg haben.

Noch besteht für Teilnehmer eines MBA-Studiums in Großbritannien kein Grund zur Sorge. Aber sobald Großbritannien offiziell den Austritt aus der EU beantragt, tickt die Uhr. Dann läuft eine Frist von zwei Jahren. Diese kann nur mit einstimmiger und daher unwahrscheinlicher Zustimmung durch den Europäischen Rat verlängert werden. Einigen sich Großbritannien und die EU innerhalb dieser zwei Jahre nicht auf ein Austrittsabkommen, bestehen nach Ablauf der Frist auf politischer Ebene keine Verträge mehr zwischen EU und Großbritannien. Wer dann noch als EU-Bürger in einem britischen MBA-Programm steckt, kann nur hoffen, dass die britische Regierung für solche Fälle Ausnahmeregelungen zulässt, und er nicht wegen fehlenden Visums ausreisen muss.

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