Bremer Ex-Jugendamtschef wird Honorarprofessor:Karriere trotz Kevin

Der Fall sorgte 2006 bundesweit für Entsetzen: Die Leiche des zweijährigen Kevin war vom drogensüchtigen Ziehvater in einen Kühlschrank gesteckt worden, während der Junge in den Akten als wohlauf geführt wurde. Der damalige Leiter des Jugendamts wurde an der Hochschule Bremen "geparkt" - und soll nun Honorarprofessor werden. Die Studenten sind entsetzt.

Johann Osel

Der Fall erschütterte ganz Deutschland, im Herbst 2006. Der zweijährige Kevin aus Bremen war längst tot und vom drogensüchtigen Ziehvater in einen Kühlschrank gesteckt worden, während der Junge in den Akten seines amtlichen Vormundes noch als wohlauf geführt wurde. 24 Frakturen und Spuren von Kokain stellte man bei der Obduktion des Kindes fest. Kevins Name steht seitdem symbolisch für die Defizite beim Kinderschutz. Der Amtsvormund hatte mehr als 200 Mündel zu betreuen, den Kontakt delegierte er an Sozialdienste, die auf die Lügen des Ziehvaters hereinfielen. Im Zentrum der Kritik damals: der Chef des Jugendamtes, Jürgen Hartwig. Nun, fünf Jahre später, steht Hartwig in Bremen erneut im Fokus der Öffentlichkeit: Er soll Honorarprofessor an der Hochschule Bremen werden.

Urteil im Kevin-Prozess erwartet

Der helle Grabstein mit der Aufschrift 'Kevin 2006' steht auf dem Waller Friedhof in Bremen. Er weist auf das Drama um den zweijährigen Kevin hin, der im Oktober 2006 tot im Kühlschrank in der Wohnung seines Ziehvaters entdeckt wurde.

(Foto: dpa)

Hartwig wurde 2006 vorläufig suspendiert, ein selbst angestrengtes Disziplinarverfahren und einen Untersuchungsausschuss überstand er aber unbeschadet. Er sei von oben zum Kostensenken angehalten worden, so sein Argument. Um ihn aus der Schusslinie zu nehmen, wurde der promovierte Erziehungswissenschaftler an der Hochschule "geparkt", für die Wirtschaftsfakultät forschte er fortan zur "strategischen Steuerung kommunaler Sozialpolitik". Die Fakultät will ihn nun zum Leiter des Europäischen Studiengangs Wirtschaft/Verwaltung machen und schlägt ihn zudem für eine Honorarprofessur vor, bestätigt ein Sprecher der Hochschule. Das Rektorat habe "keine fachlichen Einwände" und auch keine Bedenken wegen der Außenwirkung: Hartwig werde nichts zur Last gelegt.

Ein Honorarprofessor ist ehrenamtlich beziehungsweise nebenberuflich tätig; Hartwig steht nicht auf der Gehaltsliste der Hochschule. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung teilte das Sozialressort des Bremer Senats mit, dass es den früheren Amtschef weiterhin als Beamten auf Lebenszeit führt und vergütet - obwohl er an ganz anderer Stelle tätig ist. Hartwig selbst war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Studentenvertreter sind jedenfalls empört über den geplanten Honorarprofessor, der - wie auf solchen Posten üblich - Vorlesungen hielte, vier Stunden wöchentlich. Die Kommentare reichen von "äußerst problematisch" bis "moralisch nicht vertretbar, dass Herr Hartwig jetzt durch eine Professur gewürdigt wird". Allerdings hängt das Plazet dafür noch an der genehmigenden Behörde, der Wissenschaftssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD). Der Antrag der Hochschule soll dort in den nächsten Tagen eintreffen. Noch sei nichts entschieden, so eine Sprecherin. "Es gibt Beratungs- und Gesprächsbedarf, es wird letztlich eine politische Entscheidung sein."

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