Arbeitsrecht:Kopfgeldjagd auf Mitarbeiter endet vor Gericht

Fahrzeug der Brauerei Wolters bei einem Karnevalsumzug in Braunschweig.

Da war bei Wolters noch gute Stimmung: Ein Fahrzeug der Brauerei bei einem Karnevalsumzug in Braunschweig.

(Foto: F.Scholz/Imago)
  • Unbekannte Mitarbeiter der Brauerei hatten sich im Kummerkasten des Betriebsrats über Kollegen und Vorgesetzte beschwert.
  • Bei einer Weihnachtsfeier wurden die Einsendungen verlesen - inklusive der Namen der Betroffenen.
  • Die Unternehmensleitung wertete das als "menschenverachtend" und versprach eine Belohnung für Hinweise auf die Verfasser. Ob das rechtens ist, bleibt ungeklärt.

Von Larissa Holzki

Die Richterin in Braunschweig war am Ende der Verhandlung wohl auch froh, dass sie kein Urteil fällen musste: Einen vergleichbaren Fall hatte schließlich kein deutsches Arbeitsgericht zuvor entscheiden müssen. Darf ein Arbeitgeber mithilfe eines Kopfgeldes nach Mitarbeitern suchen, die anonym in einem Kummerkasten Kollegen und Vorgesetzte kritisiert und sie damit vor der versammelten Belegschaft bloßgestellt haben?

In solch ein Postfach, das im verhandelten Fall der Betriebsrat einer niedersächsischen Privatbrauerei eingerichtet hatte, können Beschäftigte unerkannt Kritik einwerfen. Es soll eigentlich helfen, Missstände im Unternehmen aufzudecken, ohne dass einer der Hinweisgeber dafür sanktioniert werden kann, wenn ihm andere das Gesagte übelnehmen. Von Unternehmensseite müssen Einsendungen vertraulich behandelt werden. Doch für die Leitung des Hofbrauhauses Wolters kam das nach den Vorfällen der vergangenen Wochen plötzlich nicht mehr in Frage - und das ist gar nicht so unverständlich.

Der bierernste Streit in sieben Akten:

Mitarbeiter kritisieren anonym Kollegen und Führungskräfte

Ein oder mehrere Mitarbeiter hatten zum Jahresende mehrere Schreiben in den besagten Kummerkasten gesteckt. Die Zettel, mit denen der Ärger begann, sollen inzwischen vom Betriebsrat geschreddert worden sein. Bekannt ist aber: Die anonymen Schreiber haben Mitarbeiter und Führungskräfte heftig kritisiert - namentlich beziehungsweise für die Belegschaft erkenntlich. Nach Informationen des Regionsgeschäftsführers der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Manfred Tessmann, warfen sie ihnen unter anderem vor "von der Materie ihrer Arbeitsaufgaben keine Ahnung" zu haben und unnötige Arbeit zu generieren, eine der Führungskräfte sei "überflüssig". Tessmann wurde von den Betriebsräten um Rat gebeten - allerdings nicht sofort.

Anschuldigungen werden verlesen - auf der Weihnachtsfeier

Für den 8. Dezember hatten Geschäftsleitung und Gesellschafter der Brauerei - wie in den Jahren zuvor - zu einer kleinen Weihnachtsfeier "in entspannter Atmosphäre" eingeladen, so beschreibt es Wolters-Geschäftsführer Peter Lehna. Mit der Veranstaltung hätten sich die Gastgeber "bei der gesamten Belegschaft für die geleistete Arbeit des zu Ende gehenden Jahres" bedanken wollen, etwa 150 Menschen.

Nun ist es bei Wolters allerdings üblich, dass die Kummerzettel bei Betriebsversammlungen verlesen werden - so auch bei der vorweihnachtlichen Veranstaltung. Geschäftsführer Lehna vermutet, dass dem Betriebsrat der Inhalt bekannt gewesen sei, selbst wenn er die Einsendungen erst unmittelbar vor der Versammlung aus dem Kummerkasten geholt habe. So oder so: Die Beschwerden wurden vor der versammelten Belegschaft und in Gegenwart der Betroffenen vorgetragen, inklusive ihrer Namen. Die anwesende Geschäftsleitung nahm das an diesem Freitagabend augenscheinlich hin.

Geschäftsführung kündigt Konsequenzen an - für die Kritiker

Wahrscheinlich hatten Geschäftsführer und Gesellschafter aber nur noch mal tief Luft holen müssen. Am darauffolgenden Montag machten sie deutlich, dass sie Konsequenzen aus den Beschwerden ziehen würden - und zwar ausschließlich gegen die Verfasser. Sie sähen "in den anonym und in äußerst beleidigender und menschenverachtender Formulierung geäußerten Vorwürfen einen äußerst feigen und unkollegialen Akt", schrieb Lehna in einem offenen Brief an die Mitarbeiter, der der SZ vorliegt. Inhalt und Weg der Vorwürfe wertete die Geschäftsleitung als "massiven Angriff auf den Betriebsfrieden" und Straftatbestände.

Lehna kündigte eine juristische Prüfung an. Den betroffenen angeprangerten Mitarbeitern sicherte er uneingeschränktes Vertrauen und Unterstützung zu. Niemand im Unternehmen werde davor Angst haben müssen, dass ihm oder ihr das Gleiche widerfahre, schrieb er.

Gesellschafter loben für Hinweise auf Verfasser Belohnung aus

Die Unternehmensleitung will den Vorfall aufklären. Die Verantwortlichen sollen Stellung nehmen heißt es, aber auch, dass arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen werden würden - möglicherweise die Kündigung. Kein Wunder also, dass sie sich nicht freiwillig melden. Um sie dennoch zu ermitteln, haben zwei der Gesellschafter, darunter Lehna selbst, auf Bitten der Geschäftsführung nur wenige Tage später eine Belohnung von je 1000 Euro ausgesetzt für denjenigen, der mit Hinweisen zur Ermittlung der/des Verfasser(s) beiträgt.

Kummerkasten: Das sagt der Arbeitsrechtler

"Grundsätzlich können Arbeitnehmer erwarten, dass Anliegen aus dem Kummerkasten vertraulich behandelt werden. Das heißt aber nicht, dass man dort gedankenlos alles einwerfen kann - schon gar nicht, wenn man weiß, dass Einsendungen regelmäßig betriebsöffentlich vorgelesen werden. Ein solches Postfach ist dazu gedacht, konstruktive Kritik aufzunehmen, die im Idealfall dazu führt, dass Missstände abgestellt werden und das Unternehmen sich um Verbesserung bemüht. Wer Kummerkästen nutzt, um gegen Kollegen zu hetzen oder sie zu beleidigen, verfehlt diesen Zweck. Vor Gericht wird man im Zweifel abwägen müssen zwischen dem berechtigten Interesse an einer vertraulichen Behandlung und einer unter Umständen strafbaren Beleidigung, die möglicherweise dazu führt, dass ich kein Anrecht mehr auf Anonymität habe."

Daniel Hautumm ist Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Betriebsrat schaltet die Gewerkschaft ein

Der Betriebsrat der Wolters-Brauerei suchte daraufhin die Beratung der Gewerkschaft. Deren Regionsgeschäftsführer Tessmann sieht im Vorgehen der Geschäftsleitung eine große Gefahr. Die Belohnung zur Ergreifung des Anonymus sei nicht das probate Mittel, "weil sich möglicherweise niemand mehr traut, Kritik zu üben". Kritik sei - auch wenn sie scharf formuliert sei - von der Meinungsfreiheit geschützt.

Wolters-Geschäftsführer Peter Lehna erklärte der SZ, die Geschäftsleitung wolle niemandem aus der Belegschaft "einen Maulkorb verpassen". Konstruktive Kritik sei jederzeit angebracht und sogar erwünscht - nicht aber Verleumdung, vor der die Belegschaft geschützt werden müsse.

Mitarbeiter sind sauer auf den Betriebsrat

Dass sich nun auch noch die Gewerkschaft öffentlich zu dem Konflikt äußert, verärgert einige Wolters-Mitarbeiter umso mehr. In einem offenen Brief an den Betriebsrat heißt es: "Es ist schlimm genug, dass auf einer Betriebsversammlung einzelne Kolleginnen und Kollegen sowie ganze Unternehmensbereiche vor der gesamten Belegschaft beleidigt und verunglimpft werden." Dass der Konflikt schließlich seitens des Betriebsrates über Dritte an die Öffentlichkeit getragen worden sei, ließe erkennen, dass es ihm nicht mehr um die Interessen der Arbeitnehmer ginge - Arbeitsplätze würden fahrlässig aufs Spiel gesetzt.

Der Streit geht vor das Arbeitsgericht - Unternehmensleitung lenkt ein

Am Dienstag hatten sich Betriebsrat und Unternehmensleitung vor dem Braunschweiger Arbeitsgericht getroffen. Dort sollte entschieden werden, ob das sogenannte Kopfgeld rechtens ist. Doch einen Richterspruch brauchte es schließlich nicht, weil beide Parteien auf eine Einigung aus waren. Die Unternehmensleitung zog die Prämie schließlich zurück. Der Betriebsrat sicherte im Gegenzug zu, solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Die Einigung wurde gerichtlich festgehalten - offenbar will man bei Wolters nun ganz sichergehen, dass der Streit ein Ende hat.

Die Betriebsratsvorsitzende Peggy Seimert, die bei der Weihnachtsfeier die Beschwerden vorgelesen hatte, bezeichnete sich nach Informationen der dpa als "Unglücksrabe": Der anonyme Beschwerdebrief hatte sie erst kurz vor der Versammlung erreicht. Mit Entschuldigungen seien die Wogen daraufhin aber nicht mehr zu glätten gewesen. Der Kummerkasten soll von nun an 48 Stunden vor Betriebsversammlungen geschlossen werden, damit sich der Betriebsrat rechtzeitig mit der Kritik auseinandersetzen kann.

Der Belegschaft soll nun mitgeteilt werden, dass den betroffenen Mitarbeitern "ein unentschuldbares Unrecht widerfahren" ist. Vielleicht liegt ihnen ja noch genug an ihrem Arbeitsplatz und dem Versuch, den Betriebsfrieden wieder einkehren zu lassen, um es damit auf sich beruhen zu lassen.

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