Bore-out:Krank gelangweilt

Psychische Erkrankungen

Auch Unterforderung und Langeweile im Beruf kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken - und eine Abwärtsspirale in Gang setzen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Langeweile und Unterforderung im Job können genauso belastend sein wie ein Burn-out. Das Gemeine am Bore-out: Das Renommee eines überarbeiteten Managertypen gibt es nicht gratis dazu - im Gegenteil.

Von Christina Waechter

Agnes Maurer (Name geändert) hatte ihren neuen Job gerade erst angefangen, als sie merkte, dass in der Filiale einer Versicherung irgendetwas anders war. Der Chef hielt sich mit Arbeitsaufträgen zurück und war nur gelegentlich vor Ort, da er die Hauptfiliale in einer anderen Stadt leitete. Die Schreibtische der Kollegen waren immer voll mit Papierstapeln, so dass jeder gleich beim ersten Anblick die totale Arbeitsüberlastung der Kollegen registrieren musste. Alles Fassade, wie Agnes Maurer binnen kürzester Zeit feststellte.

Der Chef war nicht in der Lage, seine Mitarbeiter aus der Ferne zu koordinieren, gleichzeitig nicht bereit, Kompetenzen abzugeben und zu delegieren. Die Mitarbeiter fühlten sich vernachlässigt und hatten sich innerlich von dem Unternehmen schon längst distanziert. Statt zu arbeiten, verbrachten sie ihre Tage damit, Arbeit zu vermeiden, Arbeit zu simulieren und die Zeit bis zum heiß ersehnten Feierabend abzusitzen.

Mit dem Renommee des Bore-out ist es nicht weit her

Als "Bore-out" wird eine krankmachende Langeweile (auf Englisch boredom) und Unterforderung bezeichnet. Das Gemeine daran ist, dass die Symptome zwar denen eines Burn-out ähneln - und auch genauso ernstzunehmend sind. Aber das Renommee eines überengagierten Manager-Typen bekommt man nicht gratis mit dazu - im Gegenteil: Die Witze über Beamtenmikado ("Wer sich zuerst bewegt, hat verloren") machen sich quasi selbst. Dabei betrifft der Bore-out sehr viel mehr Menschen, als man meinen sollte.

Ines Heinold hat sich auf Coaching von Burn-out- und Bore-out-Betroffenen spezialisiert. Sie weiß um das Stigma des Bore-out: "Zu sagen 'Ich habe so viel zu tun, ich kann nicht mehr' ist anerkannt, diese rasante Art zu leben wird ja geradezu von der Gesellschaft gefordert. Der Bore-out dagegen ist fast schon stigmatisiert. Dazu kommt, dass Betroffene einen Burn-out sehr viel schneller erahnen. Sie wissen ja, dass sie viel leisten, sie wissen nur nicht mehr, wie sie wieder eine gesunde Lebensbalance erlangen." Bis jemand auf die Idee kommt, dass Symptome wie chronische Rückenschmerzen, Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf einen Bore-out hinweisen, könne dagegen viel Zeit vergehen. Denn Betroffene leiden zwar bis zur völligen Erschöpfung, wissen aber nicht, warum und suchen die Schuld vor allem bei sich selbst.

Agnes Maurer kam das neue Arbeitsleben anfangs paradiesisch vor. In ihrem vorherigen Job als Sachbearbeiterin hatte sie oft bis spät abends arbeiten müssen, um ihre Aufgaben zu schaffen. Privatleben und sogar ihre Gesundheit hatten darunter gelitten. Doch nach wenigen Wochen ohne konkrete Arbeitsanweisung und Feedback von ihrem Vorgesetzten begann sie sich zu langweilen - und die Arbeit zu hassen. Kein Wunder, findet Philippe Rothlin, Co-Autor von "Diagnose Boreout - wenn Langeweile krank macht": "Man will das, was man gelernt hat, umsetzen und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Wer ist schon gerne der gefühlte Außenseiter, der sich langweilt, während alle anderen etwas leisten? Das ist ein entscheidender Punkt beim Bore-out: der Leidensdruck aufgrund des Nichtstuns."

70 Prozent der Deutschen machen Dienst nach Vorschrift

Eine Studie des Gallup-Instituts hat ergeben, dass 15 Prozent der deutschen Arbeitnehmer innerlich gekündigt haben - und infolgedessen mitunter den eigenen Arbeitgeber sabotieren. Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr zwar gesunken, aber immer noch sehr hoch. Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten, nämlich fast 70 Prozent, zählen zu den gering ans Unternehmen gebundenen Mitarbeitern, die ausschließlich Dienst nach Vorschrift machen.

Bore-out betrifft häufig Verwaltungs- und Dienstleistungsjobs, in denen Aufgaben wegrationalisiert oder durch Software erledigt werden. Schuld daran ist aber auch in vielen Fällen das Führungsverhalten der direkten Vorgesetzten. Die allermeisten Führungskräfte wurden aufgrund ihrer Fachkenntnis und Erfahrung befördert. Das sind zwar gute Gründe für eine Beförderung, aber wer Mitarbeiter führt, der braucht Talent zum Führen dringender als Fachkompetenz.

Vor allem Menschen mit geringem Selbstwertgefühl laufen Gefahr, in ein Bore-out zu rutschen. Heinold erklärt das so: "Wenn Sie sich nichts zutrauen oder glauben, sowieso keinen Job zu finden, der Ihnen Spaß macht und der sie interessiert, dann nehmen Sie womöglich einen Job an, der Sie unterfordert oder überhaupt nicht interessiert, nur um des Jobs willen." Eine Weile könne das gutgehen, aber irgendwann komme Langweile auf. "Aber weil Sie sich immer weniger zutrauen, machen Sie immer weiter. Und dann werden Sie müde, sind frustriert und antriebslos - und kommen so schnell nicht mehr raus."

Die "Work-Life-Balance" ist essenziell

Wer sich überhaupt nicht mehr mit seiner Arbeit identifizieren kann, der neigt eher dazu, sich ausgebrannt zu fühlen und verliert auch die Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Und die ist essenziell für das Wohlbefinden. Jeder Mensch braucht einen Ausgleich zu seinem Job. Wer sich zum Beispiel in der Freizeit im Fußballverein engagiert, kann sich dort die Freude holen, die ihm in seinem wenig interessanten Berufsleben fehlt. Wer so einen Ausgleich dagegen nicht hat, wer neben einer Leere in der Arbeit auch eine Leere im Privatleben empfindet, der hat bald einen Bore-Out.

Ines Heinold empfiehlt Betroffenen, sich unbedingt Hilfe zu suchen. Ob man die in einer Klinik oder begleitend zum Arbeitsalltag bei einem Coach findet, muss man selbst entscheiden. Philippe Rothlin setzt schon vorher an. "Das Wichtigste ist die Eigenverantwortung. Man muss selber etwas tun", sagt der Schweizer Unternehmensberater. Beschäftigte müssten aktiv vom Vorgesetzten Aufgaben einfordern. "Und vielleicht auch ungefragt neue Dinge erarbeiten, und sich nicht der Langeweile ergeben." Als letztes Mittel bleibe der Jobwechsel.

Agnes Maurer hat sich tatsächlich selbst aus der Langeweile-Spirale befreit. Nachdem alle Versuche, sich mit Kollegen zu solidarisieren und gemeinsam einen Weg aus der Situation zu finden, genauso fruchtlos blieben wie der Gang zum Chef, zog sie die Konsequenzen: Sie kündigte und suchte sich einen neuen Job. Einen, der sie tatsächlich interessiert. Zusätzlich begann sie, sich ehrenamtlich als Lesepatin zu engagieren. Gelangweilt hat sie sich seitdem nur noch sehr selten.

Mit Hilfe dieser Liste der Bore-out- und Burn-out-Symptome können Sie überprüfen, ob Sie selbst betroffen sind.

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