Boom von Assessment-Centern:"Auf beiden Seiten verdienen Psychologen daran"

Selbstpräsentation, Rollenspiel, Postkorbübung: Bei Unternehmen sind Assessment-Center noch immer sehr beliebt. Während sich Bewerber zunehmend mit Hilfe von Coaches vorbereiten, werden die Auswahlverfahren immer ausgefeilter. Experten sprechen von einer wechselseitigen Aufrüstung.

Vom Miriam Hoffmeyer

Die leitende Angestellte hatte sich gefreut, als ihr Konzern sie zu einer internen Weiterbildung einlud. Doch die Veranstaltung entpuppte sich als Assessment-Center, bei einem Rollenspiel sah sie sich unvermutet ihrem echten Chef gegenüber. Sie fühlte sich überfallen. Erst gegen Ende der Veranstaltung erfuhr sie den Zweck der Übungen: Man habe ihre Führungsfähigkeiten prüfen wollen.

"Vermutlich ging es auch darum, Belastungsgrenzen einzelner Mitarbeiter auszuloten", meint die Frau, die nun von der Aachener Therapeutin und Karriereberaterin Monika Koch betreut wird. Diese hält es für "ein Unding, dass man meiner Klientin erklärt, gerade weil sie so gut sei, müsse man ihre Schwächen herausfinden".

Derartige Verfahren sind nicht die Regel, sie schaden aber dem Ruf von Assessment-Centern, AC genannt. Jeder vierte Stellensuchende lässt sich wegen eines Auswahlverfahrens von einer Bewerbung abschrecken. Das geht aus einer aktuellen Studie mit 19.500 Befragten vom Jobbörsen-Portal Crosswater Systems und Profilo, einer Bewertungsagentur für Jobbörsen, hervor. Je weiter die Kandidaten auf dem Karriereweg fortschreiten, desto stärker werden ihre Vorbehalte: Ein Drittel der Geschäftsführer, Abteilungsleiter und Teamleiter betrachtet ein Assessment-Center als Hindernis für eine Bewerbung.

Von den Ergebnissen hängt ab, wer befördert wird

Trotzdem setzen heute 27 von 30 Dax-Unternehmen in der Personalauswahl und -entwicklung auf Verfahren zur Verhaltensbeobachtung. Das ergab die jüngste Befragung des Arbeitskreises Assessment-Center, einer Expertengruppe, die Qualitätsrichtlinien für AC aufstellt. Fast alle großen Konzerne testen mit ähnlichen Methoden auch eigene Führungskräfte. Von den Ergebnissen hängt ab, wer befördert wird. Beim Daimler-Konzern etwa müssen Sachbearbeiter, die eine Führungsposition anstreben, ein AC schaffen. Wer zweimal durchfällt, kann nicht mehr aufsteigen.

Zu den gängigsten Aufgaben gehören Selbstpräsentation, Rollenspiel, Gruppendiskussion oder die sogenannte Postkorbübung, bei der Dokumente unter Zeitdruck sortiert und bearbeitet werden müssen. Genaugenommen sagt der Begriff nur aus, dass mehrere Beurteilungsmethoden zusammengeführt werden. "Gerade deswegen sind AC anderen Auswahlverfahren überlegen", erklärt der Kölner Wirtschaftspsychologe Christof Obermann.

Ursprünglich wurde diese Vorgehensweise zur Auswahl von Offizieren erfunden. Das erste AC in der Wirtschaft fand Ende der Fünfzigerjahre bei der US-Telefongesellschaft AT&T statt. Zu den 15 Aufgaben gehörten Tests, außerdem mussten die Bewerber einen Vortrag halten und einen Aufsatz schreiben. "Heute gibt es eine Renaissance der Kernidee, mehr verschiedene Aufgaben und Methoden werden kombiniert", hat Professor Obermann beobachtet. Trotzdem enthalte das deutsche Durchschnitts-Verfahren lediglich sechs verschiedene Bestandteile: "Viele Unternehmen machen es noch so wie in den Achtzigerjahren."

"Bücherlesen allein bringt nicht viel"

Wie man die typischen Aufgaben am besten löst, wird in zahlreichen Ratgebern abgehandelt. Coaches wie der Stuttgarter Psychologe Martin Emrich bieten Vorbereitungskurse dafür an. In Kleingruppen erarbeiten Teilnehmer etwa Selbstpräsentationen oder schlüpfen in heikle Rollen wie die des Chefs, der einem Mitarbeiter sagen muss, dass dieser nicht gut riecht. Nach jeder Übung gibt es ein Feedback zu Inhalt und Verhalten - Mimik, Gestik und Stimme werden analysiert. "Zum Glück kann man für AC sehr gut üben. Bücherlesen allein bringt nicht viel, das ist wie beim Tanzen oder Kochen", meint Emrich.

Führt zu viel üben nicht dazu, dass Bewerber im Ernstfall ihr auswendig gelerntes Programm abspulen und unglaubwürdig werden? Nach Emrichs Angaben bestehen 80 Prozent der Teilnehmer anschließend ihr Auswahlverfahren. Allerdings, gibt er zu, kämen oft diejenigen zu ihm, "die ohnehin sehr gut sind und auf Nummer sicher gehen wollen." Die meisten Kunden seien um die 40 Jahre alt und planten einen Karriereschritt.

Maßgeschneiderte Assessment-Center

Emrich kennt beide Seiten, die der Bewerber und die der Personaler. Seit Mitte der Neunzigerjahre entwickelt und organisiert er auch Assessment-Center für Unternehmen. Deren Ansprüche hätten sich verändert, meint Emrich: "Das AC von der Stange ist nicht mehr gefragt, heute wollen die Unternehmen maßgeschneidert ihre Kultur darin wiederfinden."

So werde etwa gewünscht, dass Fallstudien die aktuelle Wirtschaftslage und Situation des Unternehmens spiegeln - auch aus Marketinggründen, weil die Bewerber davon erzählen. Emrich findet das etwas übertrieben. Die wechselseitige Aufrüstung - immer ausgefeiltere AC, immer besser vorbereitete Bewerber - kommt ihm selbst komisch vor: "Auf beiden Seiten verdienen Psychologen daran, da ist eine eigene Industrie entstanden."

Die Klientin von Monika Koch bereitet sich unterdessen gezielt auf die nächste Veranstaltung ihres Konzerns vor. Diesmal, hofft sie, wird sie es schaffen.

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