Bologna-Reform:"Studienreform als Sparbüchse"

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Hat Bologna versagt? Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, über Bachelor-Frust, Bildungsstreik und billige Lehre.

C. Burtscheidt und T. Schultz

Der Wissenschaftsrat setzt sich für eine bessere Lehre und eine bessere Betreuung der Studenten ein. In diesem Punkt stimmt das Gremium, das die Politik berät, mit vielen protestierenden Studenten überein. Der Rat hat allerdings auch die umstrittenen neuen Bachelor-Abschlüsse stets unterstützt. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, der Münchner Germanistik-Professor Peter Strohschneider, wendet sich jedoch gegen ein Einheitsmodell.

Peter Strohschneider: Der Chef des Wissenschaftsrats hält eine Abkehr von der Bologna-Reform für unrealistisch. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Strohschneider, wo waren Sie am 17. Juni?

Peter Strohschneider: Als die Studenten demonstriert haben? Da bin ich umgezogen und habe Bücherkisten ausgeräumt.

SZ: Haben Sie nicht daran gedacht, selbst auf die Straße zu gehen?

Strohschneider: Ich konnte ja schlecht meine Frau die Kisten alleine auspacken lassen. Mit einigen Forderungen der Demonstranten habe ich aber Sympathie.

SZ: Eine lautet: Die Betreuungsrelationen müssen besser werden. Da können Sie sich bestimmt solidarisieren.

Strohschneider: Die Hochschulen sind generell nicht ausfinanziert. Die Unterfinanzierung ist von Fach zu Fach unterschiedlich. In meinem Fach, der Germanistik, ist sie dramatisch. Auch in den Naturwissenschaften, wo die Lage oft erträglicher ist, gibt es Verbesserungsmöglichkeiten. Insgesamt gibt es eine Verlagerung von der Grundfinanzierung zur Drittmittelfinanzierung der Universitäten. Das führt zu einem Wettbewerb ohne ausreichende Basis.

SZ: Vor einem Jahr hat der Wissenschaftsrat 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für die Hochschulen gefordert, um die Qualität der Lehre zu verbessern. Das spielte aber bei den jüngst von Bund und Ländern beschlossenen drei Pakten für die Wissenschaft keine Rolle. Werden Sie genauso ignoriert wie die Studenten?

Strohschneider: Unsere Empfehlung kam kurz vor der Finanzkrise. Dafür hat sich die Wissenschaftspolitik sehr achtbar geschlagen. Immerhin hat sie es geschafft, 18 Milliarden Euro für die drei Pakte durchzusetzen, für zusätzliche Studienplätze, eine neue Runde der Exzellenzinitiative und für höhere Budgets der außeruniversitären Institute. Nun fehlt noch ein vierter Pakt, der zur Qualitätsverbesserung in der Lehre beitragen müsste. Man darf die verschiedenen Bereiche aber nicht gegeneinander ausspielen. Das ist schon viel zu oft geschehen.

SZ: Noch mehr Studienplätze, aber weiterhin miese Lehre - Quantität ohne Qualität: Ist das nicht Murks?

Strohschneider: Die zusätzlichen Studienplätze sind notwendig, ihre Finanzierung zu sichern, ist ein Erfolg, dabei bleibe ich. Es gibt übrigens etwas mehr Geld pro Platz als früher. Es handelt sich aber nur um eine gewisse Reduktion der strukturellen Unterfinanzierung und nicht, wie es die Politik gerne darstellt, um die notwendige Investition in mehr Qualität. An ihr müssen wir noch arbeiten.

SZ: In Bundesländern, in denen es Studiengebühren gibt, entstehen zurzeit vor allem günstige Stellen für Tutoren.

Strohschneider: Ja, Demonstrationen für mehr Tutoren sind zurzeit wohl nicht das Wichtigste. Nötig wären vielmehr grundfinanzierte Dauerstellen: Etwa 15 Prozent mehr müssten es mindestens sein. Zugleich ist die Personalstruktur zu starr: Sie berücksichtigt zu wenig, dass die drängendsten Finanzierungsbedarfe der Hochschulen im quantitativen Ausbau und der qualitativen Verbesserung der Lehre liegen.

SZ: Der Bologna-Prozess, die Studienreform mit Bachelor und Master, löst viel Unmut aus. Ist die Reform gescheitert?

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Strohschneider: Jedenfalls läuft die Reform nicht so, dass man sagen kann: Super, so machen wir einfach weiter. Ein Problem ist die zunehmende Verrechtlichung. Insgesamt braucht man sicher mehr Flexibilität bei der curricularen Struktur und der Studiendauer. Aber ich plädiere ausdrücklich nicht für so etwas wie eine "Reform der Reform". Komplexe Systeme wie die Wissenschaft können nicht beliebig beschleunigt und in Unruhe versetzt werden, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Und die Haltung des Wissenschaftsrats ist klar: Es musste etwas geschehen. Bologna ist ein Versuch, die Hochschulen realistischer zu betrachten und darauf zu reagieren, dass heute mehr als ein Drittel jedes Altersjahrgangs einen akademischen Abschluss anstrebt. Und dass es dabei auch um ganz andere Ansprüche und Interessen geht als diejenigen des künftigen wissenschaftlichen Nachwuchses.

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SZ: Die Ansprüche ans Studium sind auch im gleichen Fach unterschiedlich.

Strohschneider: Das Studierverhalten verändert sich, es differenziert sich aus. Ich habe zwei Kinder, die auf ganz verschiedene Weise Geisteswissenschaften studieren. Der eine tut das lesend forschend, sozusagen im alteuropäischen Stil; die andere studiert viel pragmatischer: Wo gibt es Scheine? Wie lange dauert das? Beides muss es geben können. Am Beispiel von Bologna wird nicht zuletzt der kulturelle Wandel der Universität gesellschaftlich verhandelt. Es geht auch um unterschiedliche Ideale und Stile des Studierens.

SZ: Warum kann es in einem Fach nicht beides geben: einen eher verschulten Bachelor und ein freies Studium? Für das freiere Modell könnten Studenten individueller, vielleicht auch härter ausgewählt werden, um sicherzugehen, dass sie genug eigene Motivation und Disziplin mitbringen.

Strohschneider: Ja, warum nicht? Man braucht allerdings inhaltliche Standards, die nicht unterschritten werden dürfen. Aber auch dann kann genügend Freiheit bleiben für unterschiedliche Formen, das Studium zu organisieren. Man muss wegkommen von einem Einheitsmodell für alle.

SZ: Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat die Fixierung auf sechs Semester für den Bachelor kritisiert.

Strohschneider: Man kann Sinologie nicht in sechs Semestern studieren. Auch in der Germanistik brauchen Studenten Zeit, um ein großes Buch wie Musils "Mann ohne Eigenschaften" zu lesen. Aber eine lange Studiendauer, das wissen wir aus der Zeit vor Bologna, ist auch keine Garantie für ein gutes Studium.

SZ: Wie steht es um die Mobilität? Die Studiengänge gleichen sich keineswegs an, die Spezialisierung und damit die Probleme beim Uni-Wechsel steigen.

Strohschneider: Mobilität ist ja kein Selbstzweck. Man geht doch gerade deshalb mit Gewinn woanders hin, weil es dort anders ist. Entscheidend ist, dass die Hochschulen bei der Anrechnung andernorts erbrachter Leistungen flexibler werden.

SZ: Und sollte die Studienreform nicht eigentlich einhergehen mit einer besseren Betreuung der Studenten?

Strohschneider: Dieser Anspruch ist viel zu wenig umgesetzt worden. Der Bologna-Prozess läuft leider nicht als ein Investitionsprogramm, sondern als Sparbüchse.

© SZ vom 6.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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