Bologna-Reform:Die Bachelor-Blamage

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Eine umfassende Reform brachte den deutschen Studenten Bachelor, Master und viel Ärger. Sogar Professoren klagen, die Universitäten hätten sich in ein Irrenhaus verwandelt.

Tanjev Schultz

Wenn Studenten aus ihrem akademischen Leben berichten, bekommen Eltern, deren eigene Studentenzeit Jahre zurückliegt, Ohrensausen. Da ist von Modulen die Rede, von workloads und credit points. Und unvermeidlich: von den neuen Abschlüssen Bachelor und Master. Die Anglizismen sind kaum zu umgehen, sie holen auch Germanistik-Studenten ein.

Dunkle Wolken über den Bachelor-Absolventen: Viele Hoffnungen, die Politiker mit dem Bologna-Prozess verbinden, haben sich bisher nicht erfüllt. (Foto: Foto: dpa)

Die Sprache ist aber nur das Symptom eines grundlegenden Wandels. Früher trabte man als Student in eine Vorlesung (oder entschied sich fürs Ausschlafen), heute gibt es vielerorts Anwesenheitskontrollen, und fast jedes Lehrangebot endet mit einer Klausur oder einer Hausarbeit, deren Note in den Abschluss einfließt. Die Studenten sammeln Leistungspunkte (credit points) und besuchen Veranstaltungen, die fachlichen Modulen zugeordnet werden, in die soundso viel Arbeit investiert werden soll (workload).

Unheilvolle Verschulung

Die ständigen Prüfungen haben die Verbindlichkeit des Studiums erhöht, aber auch den Druck auf die Studenten. Selbst in geisteswissenschaftlichen Fächern, die früher sehr frei gestaltet waren, ist das Studium jetzt durchgeplant. Kritiker sprechen von einer unheilvollen Verschulung, heraufbeschworen durch den "Bologna-Prozess".

Bologna: Akademiker denken da kaum noch an die italienische Stadt, sondern an den Uni-Umbau. Vor zehn Jahren trafen sich in Bologna die Bildungsminister aus 29 Staaten und verabredeten, bis 2010 einen "gemeinsamen europäischen Hochschulraum" zu schaffen. An diesem Dienstag treffen sich die Minister im belgischen Löwen zu einer Bologna-Folgekonferenz, um den Stand der Reformen zu begutachten und sie voranzutreiben. Mittlerweile sind 46 Länder beteiligt, von Albanien bis Norwegen, von Frankreich bis Russland.

Keine Harmonisierung

Die Bologna-Vereinbarung war rechtlich unverbindlich, die Wirkung dennoch enorm. Nach und nach haben die Hochschulen ihre Studiengänge auf die zweistufige Struktur von Bachelor und Master umgestellt. Nach zumeist sechs Semestern machen Studenten nun den Bachelor-Abschluss, dieses Studium soll "berufsqualifizierend" sein. Einen Master können sie anschließend in zumeist vier Semestern erwerben.

Drei Viertel aller Studiengänge vergeben bereits statt Diplom oder Magister die neuen Bachelor- und Master-Titel, wie sie in den USA und Großbritannien seit langem üblich sind. Doch nur weil die Abschlüsse gleich heißen, steckt nicht auch das Gleiche dahinter. In den USA brauchen die Studenten in der Regel vier Jahre bis zum Bachelor, in Deutschland sollen drei Jahre reichen. Bei den Studieninhalten gibt es erst recht keine Harmonisierung, die Anrechnung von Leistungen, die an anderen Hochschulen erbracht wurden, bleibt kompliziert. Viele Hoffnungen, die Politiker mit Bologna verbinden, haben sich bisher nicht erfüllt.

Geringe Mobilität: Derzeit sammelt etwa jeder vierte deutsche Student Erfahrungen im Ausland, in den Bachelor-Studiengängen ist der Anteil mit 15 Prozent jedoch geringer. Den Studenten fällt es schwer, Auslandssemester in ihren Studienplänen unterzubringen.

Auf der nächsten Seite: Wie den Studenten der große Prüfungsstress und fehlende Freiräume zum Jobben zu schaffen machen.

Viele Studienabbrecher: Bundesweit bricht etwa jeder fünfte Student sein Studium ab, beim Bachelor sind es sogar 30 Prozent. Vor allem in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sind die Lehrpläne oft überfrachtet, weil die Professoren so viel Stoff wie möglich aus den alten Diplom-Zeiten ins kürzere Studium retten wollten.

Wenig Freiheit: Die Studienpläne sind oft starr und dicht gepackt; für Sonderwege und zeitintensives Forschen fehlen Freiräume.

Kaum Zeit fürs Jobben oder ein Ehrenamt: Studenten klagen über Probleme, Jobs oder ein Ehrenamt mit dem straff organisierten Studium zu vereinbaren.

Starker Prüfungsstress: Nach Angaben der Studentenwerke steigt die Zahl der Studenten, die sich bei ihnen wegen psychischer Probleme melden. Dafür sei auch der Prüfungsstress verantwortlich.

Viele Professoren standen den Reformen von Beginn an skeptisch gegenüber, der Deutsche Hochschulverband hat jetzt ein "Schwarzbuch Bologna" veröffentlicht. Darin schreibt der Gießener Wirtschaftsprofessor Wilfried Krüger: "Die tatsächlichen oder vermeintlichen Elfenbeintürme sind geschleift, gesprengt und abgetragen." Sie seien ersetzt worden durch einen "Narrenturm", die Universität habe sich in ein Irrenhaus verwandelt.

In Mainz gab der Theologie-Professor Marius Reiser vor kurzem aus Protest gegen die neuen Studiengänge sogar seine Professur zurück. Er wolle sich nicht in Vorgaben fügen, die er für unsinnig halte. So hätte er Bachelor-Studenten nur Themen für Seminararbeiten stellen dürfen, die innerhalb von zwei Wochen zu bewältigen sind: "Da ist eine Einführung in wissenschaftliches Arbeiten nicht einmal ansatzweise möglich", sagt Reiser.

Akademischer Verwahrlosung

Viele Professoren neigen allerdings auch dazu, die Zeit vor den Reformen zu verklären. Die Freiheit, die heute vermisst wird, diente früher oft nur der Ummäntelung akademischer Verwahrlosung. Heute wird manchmal so getan, als hätten die Studenten in früheren Zeiten viel wissenschaftlicher studiert und dabei auch über die Grenzen ihres Faches geblickt. Dabei durchblickten viele nicht einmal ihr eigenes Fach.

Es ist ja nicht so, dass die Hochschulen ihren Studenten früher den Geist auf großen Löffeln verabreichten. In der Zeit hat der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth, der in Berlin an der Humboldt-Universität lehrt, eindringlich vor einer Idealisierung der Vergangenheit gewarnt: "Das amorphe Studium von früher war doch eine Zumutung." Heute würden die Studenten einen besseren Überblick erhalten. Viele Probleme der Reform entstünden nur durch eine phantasielose Umsetzung.

© SZ vom 28.4.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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