Blog "Arm aber sexy":Mit Doktortitel, aber ohne Perspektive

Zwei Doktorandinnen kämpfen mit ihrem Blog Arm aber sexy gegen die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft.

M. Holzmüller

Befristete Arbeitsverträge, unbezahlte Überstunden, kaum Job-Perspektiven - worunter Angestellte immer häufiger leiden, gehört in der Wissenschaft schon lange zum Arbeitsalltag. Drei Doktorandinnen wollen jetzt mit ihrem Blog Arm aber sexy auf die missliche Lage von Nachwuchswissenschaftlern aufmerksam machen. Im Interview erklären die Mitgründerinnen Julia Rüthemann und Miriam Oesterreich, warum der Beruf des Wissenschaftlers unterschätzt wird und die Lage in den Geisteswissenschaften besonders prekär ist.

sueddeutsche.de: Was hat Sie dazu bewogen, den Blog Arm aber sexy ins Leben zu rufen?

Julia Rüthemann: Wir haben oft nächtelang über unsere berufliche Situation diskutiert. Darüber, dass wir wegen unseren Doktorarbeiten alle in neue Städte ziehen mussten und jetzt damit kämpfen, unseren Beruf mit unserem Privatleben vereinbaren zu können. Darüber, wie man als Wissenschaftlerin genug Geld verdienen kann, um eine Familie zu gründen und wie man als Frau oder Mann mit Kindern weiter in der Wissenschaft tätig sein kann, wenn es kaum Halbtagsstellen und und Krippenplätze gibt ...

Miriam Oesterreich: ... und wie man so einen Lebensstil, der zahlreiche Reisen zwischen Universität, Partner und Familie erfordert, überhaupt finanzieren kann. Je mehr Gespräche wir geführt haben, desto mehr Leute haben wir kennengelernt, die in der gleichen Situation stecken und darunter leiden. Also wollten wir etwas tun. Es war klar, dass wir nicht in die Politik einsteigen oder eine Gewerkschaft für die Rechte von Nachwuchswissenschaftlern gründen können. Aber mit unserem Blog wollen wir uns zumindest im kleinen Rahmen engagieren.

sueddeutsche.de: An wen richtet sich das Blog?

Rüthemann: An alle Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen und solche, die es werden wollen.

Oesterreich: Und an alle anderen Berufsgruppen, die mit befristeten Verträgen, prekären Arbeitsverhältnissen und ständiger Unsicherheit zu kämpfen haben.

sueddeutsche.de: Was wollen Sie erreichen?

Oesterreich: Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir sehr viele sind, die unter prekären Arbeitsverhältnissen leiden. Fast 80 Prozent im wissenschaftlichen Mittelbau sind nur befristet beschäftigt. Für die meisten ist das ein Tabuthema, über das sie nicht sprechen. Gerade in der Wissenschaft versucht jeder, sich im Konkurrenzkampf der Forschung zu positionieren und Gegner auszuschalten. Da werden keine Schwächen gezeigt. Aber wir wollen deutlich machen, dass wir nicht alleine mit unseren Problemen und Ängsten dastehen. Wir sehnen uns nach Ruhe, einem Zuhause - und der Bahncard 100.

sueddeutsche.de: Betreffen diese Probleme nicht alle Berufsanfänger?

Rüthemann: Junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen trifft es besonders hart. Eine Tätigkeit in der Wissenschaft wird von der Gesellschaft als Berufung angesehen - als Beruf ist sie nicht anerkannt. In unserem Bekanntenkreis werden wir häufig als Studentinnen wahrgenommen, oder irgendwo in dem Zwischenbereich zwischen Studium und Beruf. Dass die Wissenschaft unser Beruf ist und wir davon leben müssen, geht dabei oft unter. Gerade im Bereich der Geisteswissenschaften verstehen Außenstehende das Forschungsthema oft nicht und sehen es als Hobby an. Deshalb regt sich auch niemand über die Arbeitsbedingungen auf.

sueddeutsche.de: Wie kann man das ändern?

Rüthemann: Es muss mehr unbefristete Stellen im universitären Mittelbau geben, vor allem weil der Mittelbau vier Fünftel der Forschungsarbeit und zwei Drittel der Lehre erledigt. Den Doktoranden fehlt meist jegliche Perspektive, wie sie nach ihrer Doktorarbeit innerhalb der Universität weiterarbeiten können.

Oesterreich: Die einzige Möglichkeit, in der Wissenschaft finanziell erfolgreich und unabhängig zu arbeiten, hat man als Professor oder Professorin. Aber diese Stellen sind rar, nur ein Prozent aller Hochschulabsolventen bekommt irgendwann eine Professorenstelle. Alle anderen bleiben als gescheiterte Uni-Persönlichkeiten auf der Strecke. Das wäre anders, wenn es reguläre Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gäbe.

sueddeutsche.de: In der freien Wirtschaft gibt es noch immer weniger Frauen in Führungspositionen als Männer. Wie sieht es mit Gleichberechtigung in der Wissenschaft aus?

Oesterreich: Während der Ausbildung ist die Gleichbehandlung an Universitäten noch gewährleistet. Aber je weiter die Karriere voranschreitet, desto schwieriger ist es für Frauen, weiterzukommen. Nur elf Prozent aller Professuren sind von Frauen besetzt.

Rüthemann: Das Problem tritt spätestens dann auf, wenn es um die Kinderfrage geht. Allein die Möglichkeit, dass eine Frau Kinder bekommen könnte, schränkt ihre Chancen im Wissenschaftsbetrieb ein, nach dem Motto: "Wir haben derzeit keine Stelle für Sie, weil uns Ihre private Situation zu unsicher ist."

Oesterreich: Dadurch wird automatische ein traditionelles Geschlechterbild an der Universität zementiert.

"Es gab viel negatives Feedback"

sueddeutsche.de: Ist die Situation in der Wissenschaft wirklich schlimmer als in der Wirtschaft?

Rüthemann: Vor allem in finanzieller Hinsicht. In der Wissenschaft ist man von Anfang an auf einen prekären Status festgelegt. Man hangelt sich von Stipendium zu Stipendium und kann gerade so davon leben. Viele Wissenschaftler werden für 19,5 Stunden bezahlt - aber es wird erwartet, dass sie auf Konferenzen fahren, Beiträge veröffentlichen und damit an die 60 Stunden arbeiten.

Oesterreich: Die Begriffe "Flexibilität" und "Mobilität" sind eigentlich positiv besetzt, wir alle streben diese Werte an. Aber wenn sie zur Doktrin werden, dann entwickeln sie sich zu einem Diktat.

sueddeutsche.de: Wie ist Ihre derzeitige Vertragssituation?

Oesterreich: Wir haben beide einen Dreijahresvertrag - uns geht es eigentlich gut. Danach werden wir uns entweder um ein weiteres Stipendium bemühen, oder aber einen Lehrstuhl suchen, an dem wir habilitieren können. Das bedeutet dann wahrscheinlich, dass wir wieder umziehen müssen. Gleichzeitig ist das aber auch genau die Zeit, in der wir, ebenso wie Männer in der gleichen Situation, darüber nachdenken müssen, ob wir Kinder wollen. Wenn wir immer geographisch flexibel sein müssen, ist das unmöglich. Also müssen wir uns entscheiden: Für den Beruf als Wissenschaftlerin oder für Familie.

Rüthemann: Das muss sich ändern. Es kann nicht sein, dass Leute Arbeitsstrukturen, die ihnen eigentlich zuwider sind, hinnehmen und versuchen sich irgendwie durchzumogeln, wenn sie sich gleichzeitig mit anderen Betroffenen solidarisieren könnten - und vielleicht etwas ändern. Schon die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen oder Teilzeitstellen würde die Situation in der Universität leichter machen.

sueddeutsche.de: Welche Reaktionen gab es bisher auf Ihr Blog?

Oesterreich: Wir haben sehr viel positives Feedback bekommen - aber auch überraschend viel negatives. Viele Leute werfen uns vor, dass wir ja wussten, worauf wir uns mit unserer Berufswahl einlassen und jetzt nicht auf die Mitleidstour kommen sollten. Aber es hat sich auch gezeigt, dass außerhalb der Wissenschaft viele Beschäftigte unter ähnlichen Situationen leiden. Jetzt hoffen wir einfach, dass sich die Betroffenen miteinander solidarisieren. Denn trotz aller Widrigkeiten wollen wir auf jeden Fall in der Wissenschaft bleiben.

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